Sie mag sich zwar in der Industriezone befinden, neben einer Autogarage und einer Betonfirma, und doch ist die Kanderarena in Mülenen BE geradezu idyllisch gelegen. An diesem sonnigen Vormittag Mitte Mai findet hier ein öffentlicher Schlachtviehmarkt statt – der erste seit dem Corona-Lockdown und der bei Weitem grösste im Kanton. Fast 400 Kühe, Muni und Jungrinder stehen hier, säuberlich aufgereiht vor dem modernen Holzbau, hinter dem sich das Berner Oberländer Bergpanorama aufbaut. 

Die Bauern dürfen ihr Vieh wieder «bringen», nachdem die Märkte während knapp zwei Monaten verboten waren. Gerade im Kanton Bern setzten sich die Bauern vehement dafür ein, ihre Märkte so rasch wie möglich zurückzubekommen. Plötzlich waren die Anlässe – für die sich ausserhalb der Branche kaum jemand interessiert – in aller Munde. Nun, wo sie unter strengen Schutzmassnahmen wieder erlaubt sind, lohnt es sich hinzuschauen, was Schlachtviehmärkte überhaupt sind und was sie für die Bauern so wichtig macht.

Hans Jörg Rüegsegger weist den Weg ins Innere der Kanderarena, an einem Desinfektionsmittelspender und ein paar Männern mit Schutzmaske vorbei. Der Präsident des Berner Bauernverbandes öffnet eine Seitentür, die nur für Eingeweihte gedacht ist, und steht sofort mitten im Verkehr. In Einerkolonne führen Landwirte die Rinderkarawane von Posten zu Posten. Rüegsegger erklärt: «Zuerst bekommt jedes Tier eine Nummer, dann geht es auf die Waage, zur Einschätzung und schliesslich zum Auktionator.»

Auktion am Schlachtviehmarkt in der Kanderarena

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Zu jeder Kuh gehört ein Formular voller Zahlen, Abkürzungen und freien Kästchen, die nun nach und nach ausgefüllt werden. «MT» heisst es da bei den Kategorien, «JB» oder «VK». Dass das für Muni, Jungvieh oder Kuh steht, erklärt Rüegsegger geduldig. Mit prüfendem Blick untersucht ein Mitarbeiter der Proviande, des Dachverbands der Schweizer Fleischwirtschaft, jedes Rind auf seine Qualität. Auf «Fleischigkeit», auf «Fettanteil», wie Rüegsegger erklärt. Mehr Abkürzungen kommen aufs Formular. Abkürzungen, die entscheidend für den Preis sind, den die Bauern letztlich für ihre Tiere bekommen.

Versicherung und Abnahmegarantie
Das Geld ist laut Bauernpräsident Rüegsegger einer der beiden Hauptgründe, weshalb es dringend wieder Schlachtviehmärkte brauchte. Den anderen hat er kurz abgehandelt: «Unser wichtigstes Gebot war es, dass das Virus nicht auf die Betriebe kommt.» Während das Bundesamt für Gesundheit auf Viehmärkten ein grösseres Ansteckungsrisiko sah, ist Rüegsegger anderer Meinung und sieht eine grössere Gefahr bei Händlern, die von Hof zu Hof fahren, um Vieh abzuholen.

Keine Expertise braucht es, um zu sehen, dass das Portemonnaie der Bauern ohne Schlachtviehmärkte leidet. Müssen sie ihre Tiere direkt ab Hof an Viehhändler verkaufen, bekommen sie deutlich weniger Geld, als wenn das Vieh versteigert wird – bis zu 300 Franken weniger für ein- und dasselbe Tier.

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Wenn sie ihre Rinder zu Markt fahren, haben die Bauern laut Rüegsegger eine Übernahmegarantie. Wer sein Vieh bringt, wird es – mindestens zum Schätzpreis – auch los. «Wenn es zu viele Tiere gibt, macht Proviande eine Zuteilung, wer sie nehmen muss.» Dabei gingen die allermeisten Tiere an die Grossverteiler. Bell und Micarna, die Schlachtbetriebe von Coop und Migros, würden jeweils alleine rund 60 Prozent der Tiere ersteigern.

Und neben der garantierten Abnahme profitieren die Bauern an den Märkten von einem weiteren Schutz. «Sobald einer sein Tier hier im Stall angebunden hat, ist es versichert», erklärt Rüegsegger. «Wenn ich ein Tier direkt verkaufe und es bricht sich beim Verladen das Bein, gibt es Probleme und Diskussionen, wer zahlen muss.»

Neben den höheren Preisen, die an Viehmärkten erzielt werden, haben die Bauern noch einen anderen finanziellen Vorteil: Für jedes Tiere bekommen sie einen Transportbeitrag. Das sorgt politisch immer wieder für Unmut. Doch Rüegsegger relativiert: «Das sind vielleicht 20 bis 30 Franken pro Tier.» Das deckt je nachdem kaum die Fahrspesen, denn die Anfahrtswege aus den entlegenen Oberländer Tälern sind zuweilen weit.

Preise sind wieder oben
Neben der Kritik an den Subventionen gerieten die Schlachtviehmärkte auch ins Fadenkreuz von Tierschützern. Als sich abzeichnete, dass die Märkte bald wieder öffnen durften, verfasste die PETA einen Brief an diverse Gemeindepräsidenten und argumentierte: «Es besteht kein Grund, warum Tiermärkte in der Schweiz nicht Auslöser der nächsten Pandemie werden könnten.» Die Tierschützer beziehen sich dabei auf die Vermutung, dass das Coronavirus Ende des letzten Jahres auf einem Wildtiermarkt erstmals auf den Menschen übertragen wurde.

Unser wichtigstes Gebot war es, dass das Virus nicht auf die Betriebe kommt.

Hans Jörg Rüegsegger
Präsident Berner Bauernverband

Dass das Virus vom Menschen auf Rinder übertragen werden kann – oder umgekehrt – gilt aus wissenschaftlicher Sicht als sehr unwahrscheinlich. Der besorgte Blick in der Kanderarena dürfte daher eher den Menschen gelten. Wenn draussen nämlich alles im Sinne der Gesundheitsbehörden abzulaufen scheint, ist das drinnen offensichtlich etwas komplizierter. Rund zwei Dutzend Viehhändler, overallbekleidet in allen Blautönen, stehen im nächsten Raum, einem hölzernen Amphitheater, lichtdurchflutet und mit ausladenden Treppenstufen. Hier werden die Rinder versteigert. 

Es gäbe hier locker genug Platz für meterweite Sicherheitsabstände, doch die Viehhändler drängen sich eng an eng an das Metallgitter, um die beste Sicht auf ihre «Ware» zu erhalten. Ein Mundschutz würde nur stören und es dem Auktionator schwer machen, zu erkennen, woher das Höchstgebot kommt. Denn es geht rasant zur Sache. In Zehn-Rappen-Schritten steigen die Kilopreise. Kaum ein Bauer, der die Arena unzufrieden wieder verlässt. Die Fleischpreise, Anfang der Corona-Krise im Loch, haben wieder Normalmass erreicht. Nicht zuletzt, weil auch die Schlachthöfe wieder im Normalbetrieb arbeiten und wieder Restaurants beliefern können.

Enges Zeitfenster für Grossverteiler
Zufrieden ist auch Hansjörg Wyttenbach. Der aufgeweckte Bauer mit dem blonden Vollbart hat für sein Rind pro Kilo 40 Rappen mehr bekommen, als das Mindestgebot ihm zusicherte. «Gut, haben wir wieder Märit», sagt er und ergänzt: «Jetzt gehen sie winemoore.» Bei zwei Männern am Laptop, hinter einer Plexiglasscheibe, finalisiert er die Formalitäten, mit seiner Unterschrift stellt er sicher, dass das Geld demnächst auf seinem Konto landet. Die Kuh, die er mitgebracht hat, ist zu diesem Zeitpunkt schon im Besitz des Viehhändlers.

Für sie geht es nun schnell: In wenigen Stunden wird sie auf dem Schlachthof abgeliefert. Gerade die Grossverteiler haben laut Rüegsegger unheimlich enge Zeitfenster. Und das sei, jetzt schwingt fast ein wenig Wehmut in seiner Stimme mit, nochmals ein Grund, weshalb Schlachtviehmärkte unerlässlich seien. Es brauche die Viehhändler, die Sammeltransporte durchführten: «Ein Bauer kann nicht mit einem einzigen Rind bei Bell vorfahren. Das ist nicht mehr wie früher, als jedes Dorf seine Metzgerei hatte.»