Als Stephan Müller seinen Hofladen in Steinmaur ZH betritt, ist er sofort in seinem Element. Zielgerichtet greift er nach einem Gewürzspender mit Curry und fragt seine Besucher, woher der Inhalt wohl stamme. Wer nun auf ferne Länder wie Indien oder die zu Tansania gehörende Insel Sansibar tippt, liegt falsch. «Das ist tatsächlich Schweizer Curry», sagt Müller mit einem unüberhörbaren stolzen Unterton. Kein Wunder, denn er hat grossen Anteil daran. Die Hauptzutaten Ingwer (Zingiber officinale) und Kurkuma (Curcuma longa) stammen nämlich aus seinem Bioanbau unweit des Hofladens im Zürcher Unterland.

Und dieser kann sich sehen lassen. In Müllers Gewächshäusern, die eine Fläche von rund 25 000 Quadratmetern umfassen, sorgen die Felder mit Ingwer- und Kurkumapflanzen für einen beeindruckenden Anblick. In Hüfthöhe erstrecken sie sich wie ein dichtes Meer aus Halmen über etwa 5000 Quadratmeter. Mit einem kleinen Spaten sticht der Gartenbauingenieur in Windeseile eine Kurkumawurzel aus der Erde und präsentiert sie den neugierigen Gästen. «Das Dunkle ist die Mutterknolle, die gelben Ableger ihr Nachwuchs», erklärt er. Das auch als Gelbwurz bekannte Gewächs wird in den südasiatischen Tropen kultiviert. Aber eben nicht nur. So steht auf dem Bioland des 61-Jährigen im Dezember bereits die dritte Ernte mit einem Ertrag von rund 1,5 Tonnen an. 

Sieben Tonnen werden es sogar beim Ingwer sein. Die Ernte läuft bereits auf Hochtouren und dauert noch bis Ende des Jahres an. «Ingwer ist deutlich weniger aufwendig als Kurkuma», sagt Müller. Die Nachfrage ist dagegen um einiges höher, auch bei den Grossverteilern. Ein beliebtes Produkt ist dabei der Saft. Die Hälfte des angebauten Ingwers wird zu rund 7000 Litern Saft gepresst. Nur die besten Knollen können überwintern und weitergezogen werden, erklärt der innovative Landwirt. 

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Inspirationen aus den USA

Aber zurück zur flüssigen Form. «Der Sirup kommt besonders gut an und verfeinert zum Beispiel sehr gut Bier», verrät Müller. Eine Kostprobe – allerdings ohne Bier und dafür als Direktsaft –  darf angesichts der Vorschusslorbeeren natürlich nicht fehlen. In Schnapsgläsern reicht eine Verkäuferin im Hofladen zwei Getränkeproben. Gleich die erste erzeugt ein Nachbrennen im Hals, das an eine hochprozentige Spirituose erinnert, sich aber nicht unangenehm anfühlt. 

Dank seiner vielen Vitamine und Mineralstoffe ist der spezielle Drink zudem extrem gesund. Schliesslich ist es kein Zufall, dass Ingwer 2018 die Heilpflanze des Jahres war. «Das ist das wahre Red Bull und verleiht Flügel», sagt Müller nach einem kräftigen Schluck und lacht. Wem der Geschmack zu intensiv und scharf ist, kann auf eine mildere, rötliche Variante namens «Xundheit» zurückgreifen. Sie ist mit Schweizer Aroniabeeren verfeinert und eignet sich laut dem Fachmann im Winter perfekt als heisser Punsch.

Auf die Idee, die exotischen Knollen in die Schweiz zu holen, kam Stephan Müller übrigens vor rund sechs Jahren während eines USA-Aufenthalts. «Ich habe auf einem Bauernmarkt in Portland gesehen, dass einige Stände dort frischen Ingwer anbieten. Der fruchtige, fein-würzige Geschmack hat mich sofort begeistert», erzählt er. Da im amerikanischen Bundesstaat Oregon ein ähnliches Klima herrscht wie hierzulande, packte ihn der Ehrgeiz, selbst einen Anbauversuch zu starten. Deshalb sprach der experimentierfreudige Familienvater einheimische Farmer an und bat sie um Anbautipps. Bald darauf machte sich Müller auf die Suche nach lebendigen Bioknospen im Fachhandel. «Wir haben zwei Jahre gebraucht, bis wir produzieren konnten», sagt der Schweizer Ingwer-Pionier. Der Start fiel 2015 mit 200 bis 230 Kilogramm noch relativ bescheiden aus. 

Doch die Geduld und immer ausgeklügeltere, geheime Anzuchtmethoden zahlten sich mehr und mehr aus. Mittlerweile gedeihen in Steinmaur sogar drei Sorten der wohltuenden Wurzeln. «Der Chinesische Ingwer hat gröbere Knollen», sagt Müller und hält ein Exemplar zum Vergleich neben eines aus Peru. Der Südamerikanische Ingwer habe eine zartere Note und schmecke vollmundiger, erkärt er im Stil eines Weinkenners. Die dritte Sorte stamme aus dem südostasiatischen Myanmar und falle durch seine grün-blaue Optik sofort ins Auge.

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Immer wieder neue Produkte

Gemeinsam haben alle Ingwersorten, die in der Schweiz wachsen, dass sie im unbeheizten und nur bis zehn Grad temperierten Gewächshaus gedeihen, da sie weder Frost noch grös­sere Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen vertragen. Noch lässt die Klimaerwärmung also keine Freilandzucht zu, wie Müller aus eigener Erfahung mit einem gescheiterten Versuch weiss. Werden die Sommer künftig aber so heiss wie jener des vergangenen Jahres, sei das eine ernsthafte und weniger kostenintensive Option. Reich wird Müller mit Ingwer nämlich nicht. Seinen Haupterwerb erzielt er mit Tomaten, Gurken und Salaten. Der Profit stehe aber auch nicht im Vordergrund. Der Antrieb ist vielmehr die Lust, Nischenprodukte auszuprobieren und eine grosse Vielfalt zu fördern, auch wenn das deutlich aufwendiger sei.

«Ich arbeite seit 40 Jahren in meinem
Beruf und hatte mir einmal zum Ziel gesetzt, jedes Jahr zwei neue Produkte anzubauen», erzählt Müller. 80 Produkte habe er zwar nicht geschafft, doch ein paar aussergewöhnliche Pflanzen sind im Laufe der Zeit zusammengekommen. Zum Beispiel Okra, ein Strauch aus der Familie der Malvengewächse. Wegen zu vieler Schädlinge misslang das Experiment mit diesem Gemüse jedoch. Eine andere Kultur dagegen könnte Zukunft haben. «Wir haben kürzlich damit angefangen, Yacón zu pflanzen. Deren Knollen haben ein süssliches Aroma, das sich als Zuckerersatz eignen könnte», sagt Müller.

An guten Ideen mangelt es ihm also nicht. Und so dürfen die Konsumenten gespannt sein, welche exotischen Produkte «Made in Switzerland» künftig in den beiden Hofläden in Steinmaur und in Zürich-Schwamendingen oder im Detailhandel zu finden sind.

www.mueller-steinmaur.ch