Wer ein Hornissennest im Garten hat, der sollte sich freuen. Zum einen für die Tiere: Sie haben die heikle Phase des Nestbaus überstanden. Die Königin muss nicht mehr ausfliegen. Sie kann sich dem Eierlegen widmen, umsorgt von ihren Töchtern, den bis im Herbst immer zahlreicher werdenden Arbeiterinnen. Zu Dutzenden fliegen sie aus und ein, füttern die Larven in ihren diversen Stadien, bauen am Nest, patrouillieren am Eingang. Zum anderen ist ein Hornissennest auch faszinierend für uns Menschen. Es ist toll, die Entwicklung eines Hornissenvolkes mitzuerleben. 

Aber leben mit Hornissen im Garten, ist das nicht gefährlich? «Hornissen zählen zu den sanftmütigsten Faltenwespen. Nur bei Störungen im unmittelbaren Nestbereich reagieren sie empfindlich», sagt Andi Roost aus Neunkirch SH, Imker und Pionier des Hornissenschutzes in der Schweiz. Seit 26 Jahren begeistert er sich für Hornissen und ihre imposante Erscheinung. «Das Summen, die Grösse, die Farbe – was anderen Angst macht, hat mich sofort fasziniert», erinnert er sich an seine erste Begegnung mit «diesen majestätischen Tieren». 

Der Stich von Honigbienen ist giftiger
Damals war er 16; Literatur über Hornissen war kaum vorhanden. Die ist allerdings heute noch spärlich; Geld für Hornissenforschung gibt es kaum. Denn anders als für Honigbienen interessiert sich kaum jemand für Hornissen und andere Wespen, von denen es in Europa Tausende Arten gibt: 18 soziale Faltenwespen, 230 solitäre Faltenwespen (Eumenidae), circa 700 Pflanzenwespen und über 8000 Schlupfwespenartige. 

Vespa crabro, die Hornisse, zählt zu den grössten Arten (es gibt Pflanzenwespen, die noch grösser sind): Königinnen können 35, Arbeiterinnen 25 Millimeter gross werden. Es sind sanfte Riesen. «Schon ab zwei, drei Metern Entfernung vom Nest ziehen sie die Flucht dem Angriff vor. Sie sind sogar scheuer als Honigbienen», sagt Roost.

Zudem ist der Stich einer Honigbiene «giftiger» als der einer Hornisse: Versuche an Ratten und Mäusen zeigten, dass es 154 bis 180 Hornissenstiche pro Kilogramm Körpergewicht braucht, um 50 Prozent der Versuchs­tiere zu töten; das Gift der Honigbiene ist mit 40 Stichen pro Kilogramm deutlich wirksamer. Man schätzt, dass ein gesunder Erwachsener weit mehr als tausend Hornissenstiche auf einmal verkraftet. Doch so weit kann es nicht kommen: Selbst sehr grosse Völker umfassen meist 100 bis 700 Individuen und nur ein Teil davon verteidigt das Nest bei einer unmittelbaren Bedrohung. 

Leben mit Hornissen
Gartenhäuschen der Familie unseres Autors haben die letzten zwei Jahre Hornissen genistet. Das Zusammenleben funktioniert prima. Auch für Kleinkinder besteht keine Gefahr. Wie alle Staaten bildenden Wespen greifen Hornissen nur bei Störungen im unmittelbaren Nestbereich an, um Königin und Brut zu verteidigen. Bei Gewitterregen und manchmal am Ende der Flugzeit (Spätherbst) reagieren sie allerdings sensibler. Im Nestbereich sollte man Folgendes beachten:
– kein Stochern am Nest
– keine Erschütterungen
– kein Anatmen der Tiere
– das CO2 der Atemluft ist ein Alarmstoff
– keine hektischen Bewegungen
– dunkle, wallende Kleidung, lange Haare und glitzernde Kameras beunruhigen die Tiere
– den Geruch von Parfüm, Haarspray und Alkohol mögen Hornissen nicht – kein Verstellen der Flugbahn am Nesteingang
– Kleinkinder allenfalls mit einer Absperrung vom Nestbereich fernhalten
– Kindern biologische Zusammenhänge statt Horrorgeschichten erzählen
Falls das Nest an einer sehr ungünstigen Stelle ist, kann man den engeren Bereich des Nestes absperren. Auch Flugumleitungen, Sichtblenden und andere Absicherungen sind möglich. Dazu sollte ein Hornissenberater zurate gezogen werden. In besonders problematischen Fällen (Al­lergikerhaushalt, Rollladenkasten, Gebäudeschäden durch Kotreste etc.) kann, wo zugänglich, eine Umsiedlung erfolgen.
www.hornissenschutz.ch

Killer verkaufen sich 
Wird man doch einmal von einer Hornisse oder einer anderen Wespe gestochen, ist ein ruhiger aber schneller Rückzug angesagt. Denn mit dem Stich werden Alarmpheromone freigesetzt, die stechbereite Artgenossen anlocken. «Zehn, zwanzig Meter vom Nest entfernt, lassen Hornissen aber ab vom Störenfried», versichert Roost, der bei der Umsiedlung von Nestern auch schon vereinzelt gestochen wurde. «Der Stich schmerzt etwas und anschliessend brennt es leicht. Kühlen lindert Schmerz und Schwellung aber rasch», sagt er. Eine reelle Gefahr bestehe lediglich für Allergiker.

Laut dem deutschen Wespenexperten Rolf Witt reagieren etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerung allergisch auf Bienen- oder Wes­pengift. «Eine schwere Allergie entwickelt sich erst nach mehreren Kontakten mit dem Allergen, also nach mehreren Stichen.» Gemäss Witt liegt das Todesrisiko mit 1:5 660 000 im Vergleich zu 1:7500 bei Autounfällen «im fast zu vernachlässigenden Bereich». 

Wie konnte es trotz alldem zum miesen Ruf der Hornissen kommen? Vielleicht weil es bei uns keine Pfeilgiftfrösche, Rotrückenspinnen, Seewespen, Inlandtaipane und andere wirklich giftige Tiere gibt? Oder weil sich Artikel von «Killerhornissen» besser verkaufen? Denn glaubt man der Presse, müssen wir uns vor einer ganz besonders gefährlichen Hornisse in Acht nehmen, die sich gerade in Mitteleuropa breitmacht: «Killer-­Hornisse tötet heimische Biene» (20min.ch), «Angriff der Killerhornissen: Keine Chance für Honigbienen» (spiegel.de) – mit solchen Titeln wird über die Asiatische Hornisse (Vespa velutina) berichtet. 

Diese eingeschleppte Art hat sich innert einer Dekade in weiten Teilen Frankreichs ausgebreitet, ist letztes Jahr erstmals in Deutschland entdeckt worden (bei Karlsruhe) und wird (seit mehreren) Jahren auch in der Schweiz erwartet. Mit unguten Gefühlen. Die «Killerhornissen»-Presse berichtet von einer «rasend schnellen Ausbreitung» und einer neuen «Bedrohung für unsere Bienen». Besonders in Imkerkreisen ist man verunsichert.

Experten geben Entwarnung
Rolf Witt beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema. «(Bitte) Keine Panik!» lautet der Titel seines in deutschen Imkerzeitungen erschienen Artikels über die angeblichen Killerhornissen. «Gerade einer bereits aufkeimenden Angst oder gar unnötigen Panik unter der Imkerschaft gilt es sachlich zu begegnen, ohne dabei zu verharmlosen», schreibt er. Der «Tierwelt» sagt er: «Die in Europa heimisch gewordene Asiatische Hornisse ist keine Bedrohung für die Bienen. Nur geschwächte Völker können stärker in Mitleidenschaft gezogen werden. Für den Menschen besteht sowieso keine Gefahr.» Wahrscheinlich wird Vespa velutina in den reisserischen Medienberichten mit der nicht in Europa vorkommenden, tatsächlich aggressiven Japanischen Hornisse Vespa mandarina verwechselt.

Die Asiatische Hornisse baut ihre bis zu einen Meter hohen und 80 Zentimeter breiten Nester in der Regel frei in den Kronen von Bäumen, meist in über zehn Meter Höhe. Bei dichter Belaubung sind sie kaum zu entdecken. Obwohl ein Volk aus mehreren Tausend Tieren bestehen kann, fällt es erst nach dem Laubfall im Herbst auf. Zur Aufzucht ihrer Larven erbeutet die Asiatische Hornisse – wie unsere Hornisse – vereinzelt Honigbienen. Für starke Bienenvölker, bei denen eine Königin bis zu 2000 Eier am Tag legt, ist das nicht relevant. 

Auch mit Asiatischen Hornissen lässt sich gut zusammenleben. Die Mitglieder des Imkervereins Büchelberg können das bestätigen. Die ersten Asiatischen Hornissen Deutschlands nisteten im Eingang ihres Bienenhauses. «Das Volk verhielt sich sehr friedfertig», sagt Witt. «An den in unmittelbarer Nachbarschaft stehenden Honigbienenstöcken konnte die Art nie bei der Jagd beobachtet werden.» Sein pragmatischer Vorschlag: «Vespa velutina sollte schon jetzt als neuer Bestandteil der heimischen Fauna angesehen werden. Eine Ausrottung der Art ist nach den Erfahrungen aus Frankreich nicht möglich.

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