Mitte März stand ein Löwe vor dem Bundeshaus. Auf einem Zirkuspodest. Verantwortlich dafür war eine Gruppe von Tierschützerinnen und Tierschützern, die ebenjenes Bild verbieten möchten. «Für deinen Spass leide ich ein Leben lang», stand in Zirkusschrift neben dem Löwen – auf der Rückseite von zusammengepuzzelten Kartonschachteln. 

In ihnen verbirgt sich der Grund, weshalb sich die Vertreterinnen von «Vier Pfoten», «Tier im Recht» und «Pro Tier» vor zwei Monaten in Bundesbern versammelten: Die Schachteln beinhalteten die Unterschriften von rund 70 000 Menschen, die mittels Petition vom Bundesrat ein Wildtierverbot in Schweizer Zirkussen fordern.

Es ist nicht das erste Mal, dass Tierschützer dafür kämpfen, Löwen, Tiger & Co. aus der Manege zu verbannen. Und die Bestrebungen schienen zeitweise auch zu fruchten: Nach der Saison 2015 etwa hat der Circus Knie seine Elefanten in den Ruhestand geschickt. «Das haben wir sehr begrüsst», sagt Vanessa Gerritsen, stellvertretende Geschäftsleiterin der Stiftung für das Tier im Recht. 

In Bundesbern geht man offenbar davon aus, dass sich das Problem von selber löst, dass die Schweizer Zirkusse nach und nach  auch ohne Verbot auf Wildtiere verzichten. Die Zeiten der grossen Tiernummern, die seien vorbei, dachten sich auch die Tierschützer. Doch 2016 wurden sie bös ernüchtert, als gleich zwei Zirkusse mit neuen Löwennummern aufwarteten: im Circus Gasser-Olympia sowie im Circus Royal. Letzterer doppelte im vergangenen Jahr mit einer Tigernummer nach. Als sie das erfuhren, war für Gerritsen und ihre Kolleginnen von «Vier Pfoten» und «Pro Tier» klar: «Wir müssen wieder mal etwas tun.» 

«Wieder mal etwas tun» klingt etwas nach willkürlichem Aktionismus. Doch den Tierschützern ist es ernst. Ihre Petition ist deutlich ausformuliert mit einem ganzen Katalog von Argumenten gegen die Wildtierhaltung im Zirkus. In ihrer Summe sind sie kaum vollumfänglich zu entkräften. Die Tiere hätten zu wenig Platz, steht in der Petitionsschrift, sie seien unterbeschäftigt, gestresst, unnatürlich nah am Menschen, sie würden in der Manege vermenschlicht, lächerlich gemacht und erniedrigt oder würden zu kurz nach ihrer Geburt von der Mutter getrennt.

Freilich trifft nicht jeder dieser Kritikpunkte auf jedes Wildtier in jedem Zirkus zu. Die Schweizer Zirkusse geben sich in aller Regel grösste Mühe, ihren Tieren so viel Platz wie möglich zur Verfügung zu stellen. Dies anerkannte auch der Schweizer Tierschutz STS, der jedes Jahr einen Zirkusbericht veröffentlicht. Auch die Royal-Tigernummer von 2017 beurteilte der STS als «aus Tierschutzsicht unproblematisch». Den Tieren seien keine Kunststücke abverlangt worden und «der Umgang des Dompteurs mit den Tigern war respektvoll». 

Verhaltensstörungen oder nicht?
Und doch beharren der STS und die anderen Tierschutzorganisationen auf ihrer Position: Grosskatzen gehören nicht in den Zirkus. «Der Platz in einem Zirkus ist nunmal begrenzt», sagt Vanessa Gerritsen. Sie hat sich letztes Jahr mit ihrer Organisation persönlich von der Tierhaltung im Circus Royal überzeugt und sagt, sie habe dort Tiere gesehen, die Verhaltensstörungen gezeigt hätten. «Das ist ein deutliches Zeichen, dass den Tieren etwas fehlt und dass diese Haltung nicht akzeptabel ist.»

Ein Vorwurf, der Oliver Skreinig auf die Palme bringt. Der Direktor des Circus Royal sagt: «Ich war erschrocken, wie wenig Ahnung diese Organisationen haben.» Er meint damit die Vertreter von Vier Pfoten, Tier im Recht und Pro Tier. «Es fehlt an Grundwissen über Wildtiere und über Tierhaltung im Zirkus. Sie hatten ihre auswendig gelernten Phrasen, aber konnten keine einzige Frage fundiert beantworten.»

Vor einem Jahr haben sich die beiden Parteien zum Gespräch getroffen. Vertreter der Tierschutzorganisationen waren dabei, Skreinig ebenfalls. Dazu der bekannte Tierlehrer Martin Lacey, dessen Grosskatzen jeweils im Circus Royal zu Gast sind, sowie eine Wildkatzenspezialistin, die ein Gutachten über die Tigerhaltung erstellt hatte. Laut Skreinig eins, das dem Zirkus Bestnoten bescheinigte und in dem von Verhaltensstörungen nicht die Rede war. «Und dann massen sich diese Leute an, zu sagen: ‹Für Sie mag das so sein, aber für uns ist das eine Verhaltensstörung›», regt sich Skreinig über die Tierschützer auf.

Europaweit spriessen die Verbote
Oliver Skreinig ist der wohl letzte lautstarke Verfechter der grossen Tiernummern im Schweizer Zirkus. Der Nationalzirkus Knie setzt in der Manege hauptsächlich auf Pferde, seit die Elefanten im Ruhestand sind. Der Circus Gasser Olympia, 2016 noch mit Raubkatzen unterwegs, tourt dieses Jahr mit Büsi –genau, mit Hauskatzen. Und der Circus Monti hat schon 2011 den Entschluss gefasst, ganz ohne Tiere auf Tour zu gehen. 

Auch international steht Skreinig zunehmend alleine da. Die Liste der Länder, die Wildtiere im Zirkus verbieten, wird immer länger (siehe Karte). Italien und Irland ergänzten im Winter die Liste, die schon mehr als 20 europäische Länder umfasst. 

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Wildtierverbote in Europas Zirkussen: In mehr als zwei Dutzend europäischer Länder
ist schon ein Wildtierverbot im Zirkus beschlossen oder in Kraft. Die rot eingefärbten
Staaten kennen ein absolutes, die orange eingefärbten ein teilweises Verbot. In Polen,
Ungarn oder Estland sind etwa Tiere verboten, die in freier Wildbahn gefangen wurden.
In Finnland, Schweden und Tschechien existiert ein Katalog von verbotenen Tierarten,
während es in Portugal ein Fortpflanzungsverbot gibt.
  Karte: 3RUS/Shutterstock.com

Die Schweiz dürfte sich nicht dazugesellen. Eine Interpellation der grünliberalen Nationaltärin Isabelle Chevalley hat der Bundesrat Ende 2016 so beantwortet: «Die Schweizer Tierschutzgesetzgebung ist weltweit eine der strengsten.» Andere Länder, deren Gesetzgebung nicht so weit gehe, hätten daher entsprechende Verbote erlassen müssen. Doch hierzulande erachte es der Bundesrat «nicht als nötig, Wildtierhaltungen zu verbieten».

Für Vanessa Gerritsen ist diese strenge Gesetzgebung vor allem eine komplizierte Gesetzgebung. «Die Schweiz will nie klare Massnahmen ergreifen, das ist typisch», sagt sie. «Man will nichts verbieten, sondern komplexe Gesetze entwickeln, die schwierig zu kontrollieren sind. Ein Verbot wäre klarer und einfacher durchzusetzen.»

Die Krux mit den Mindestmassen
Es geht dabei weniger um die Tiernummern selber als um die Tierhaltung im Zirkus. Die ist nämlich streng geregelt. Aber das Tierschutzgesetz lässt eine Menge Spielraum für Ausnahmen. «Die Minimalbedingungen sind sowieso schon problematisch», sagt Gerritsen, «und die dürfen im Zirkus noch unterschritten werden.» 

Auf dem Papier hat die Juristin recht. Die Tierschutzverordnung listet in einer langen Tabelle jedes erdenkliche Wildtier auf und daneben den minimalen Platz, der ihm zur Verfügung gestellt werden muss. Die Tabelle gilt für private Wildtierhalter, für Zoos, aber auch für Zirkusse. Fünf Tiger zum Beispiel, wie sie der Circus Royal vergangenes Jahr hatte, benötigen 140 Quadratmeter Aussengehege und 75 Quadratmeter Innenraum. 

Nun dürfen Zirkusse Tieren, die «regelmäs­sig in der Manege trainiert und vorgeführt werden», mit Ausnahmebewilligungen weniger Platz zur Verfügung stellen. Ganze 30 Prozent weniger. Und wenn dann immer noch zu wenig Platz ist, darf das Aussengehege ausnahmsweise die Grösse des Innengeheges haben. Statt 140 Quadratmeter, wie eigentlich vorgeschrieben, dürften die Tiere also ausnahmsweise auf rund 50 Quadratmeter gehalten werden. Für Gerritsen unhaltbar. Und ihrer Meinung nach «ohne sachliche Begründung, sondern nur aus wirtschaftlichem Entgegenkommen».

Oliver Skreinig nimmt dieses Entgegenkommen nicht in Anspruch. Er sagt: «Ich habe davon noch nie Gebrauch gemacht.» Sein Zirkus überschreite jeweils die Mindestanforderungen des Bundes. Er verteidigt die Tierhaltung im Zirkus vehement und bläst seinerseits zur verbalen Gegenattacke: «Es wird immer das Bild vermittelt, Zirkusse kaufen in Afrika eingefangene Tiere, stecken die in einen Käfig und prügeln sie durch die Manege. Aber das stimmt einfach nicht!»

Im Gegenteil seien die Löwen und Tiger seit mehr als zwanzig Generationen in menschlicher Obhut und würden aufs Strengste kontrolliert. «Und im Zirkus gibt es kaum je Verstösse gegen das Tierschutzgesetz. Wieso stelle ich diese Tierhaltung an den Pranger und eine Haustierhaltung nicht?» Er beantwortet seine Frage gleich selber: «Weil es genau diese Leute sind, die die Tierschutzorganisationen finanzieren.»

Zirkuselefanten sterben aus
Dieses Jahr ist der Circus Royal ohne Raubkatzen auf Tournee. «Wir können dem Publikum nicht jedes Jahr dasselbe Programm bieten», begründet Skreinig den Entscheid. Mit der Petition der Tierschützerinnen habe das nichts zu tun. «Im Gegenteil, eigentlich hätten wir erst recht auf unserer Position beharren müssen.» 

Auf der anderen Seite klingt es ähnlich. Es sei nicht etwa unglücklich gelaufen, dass die Petition ausgerechnet in einem Jahr eingereicht werde, in dem keine Raubtiernummern in Schweizer Zirkussen zu sehen seien. «Man hätte das sogar als Erfolg verbuchen können», sagt Vanessa Gerritsen. «Es ist gut möglich, dass sich das Problem von selber löst. Wir rechnen aber damit, dass Royal bald wieder Wildtiere im Zirkus haben wird.» Eine Befürchtung, die Oliver Skreinig bestätigen kann. «Nächstes Jahr haben wir wieder Löwen im Programm.» 

Ob die Schweiz nun irgendwann ein Wildtierverbot im Zirkus erlässt oder nicht, es ist damit zu rechnen, dass sich das Zirkustier-Repertoire künftig auf einige wenige Arten beschränken wird. Wir werden kaum so bald wieder Giraffen, Gorillas oder Schimpansen im Zirkus sehen, das will auch Skreinig nicht: «Die Bedürftnisse solcher Tiere können wir im Zirkus einfach nicht erfüllen.» 

Und die pensionierten Knie-Elefanten? deren letzter Auftritt könnte auch das Ende einer Ära bedeuten. «Das wird sich in den nächsten paar Jahrzehnten von selber erledigen», sagt Skreinig. Es gibt nämlich ein Importverbot von Elefanten für Showzwecke. «Die letzten Zirkuselefanten sind Ende der Achtzigerjahre in die Schweiz gekommen.» Anders als bei den Grosskatzen hat es bei ihnen kaum je eine nennenswerte Nachzucht gegeben, also schlussfolgert Skreinig: «Die Zirkuselefanten werden von selber aussterben.»