Ursprünglich war die Honigbiene ein frei lebendes Wildtier und bedurfte keiner Betreuung von Menschen. Wilde Honigbienen lebten in Baumhöhlen oder Felsnischen, in die sie ihre Waben bauten. Doch der Honig lockte den Menschen schon immer. Bilder von Honigjägern aus der Steinzeit und Zeugnisse aus dem Alten Ägypten belegen erste Nutzungen der Biene. Mit Rauch vertrieb man die Völker aus ihren Baumhöhlen im Wald, um an den Honig zu kommen. Später wurden Völker in Körben gehalten, bevor die Imkerpraxis mehr und mehr auf Kasten mit mobilen Waben wechselte, was den Zugang zum Honig erleichterte. 

Vom Wildtier ist heute kaum mehr etwas übrig: Bienen sind Arbeiterinnen im Dienste des Menschen geworden und haben ökonomische Auswahlkriterien zu erfüllen. Umweltschadstoffe, der Einsatz von Medikamenten, eine Landwirtschaft mit Monokulturen, elektromagnetische Strahlung und nicht zuletzt der Klimawandel, der die Blütezeit der Pflanzen verändert hat, schwächen die Bienen. Ohne ständige Kontrolle und Einsatz von Medikamenten würde es heute in Europa längst keine Honigvölker mehr geben, sagen Berufsimker. Doch: Warum sollten die Bienen, die es seit 30 Millionen Jahren schaffen, sich allen möglichen Umständen anzupassen, in der heutigen Zeit nicht überleben und sich verändernden Umweltbedingungen anpassen? 

Bienenhöhlen hoch in den Bäumen
Wir müssen die Bienen nur sich anpassen lassen, findet der junge Verein «FreetheBees». «Noch vor einigen Jahrzehnten gab es hier in der Schweiz eine namhafte wilde Bienenpopulation», sagt Präsident André Wermelinger, der selber Imker ist. Er möchte die noch wild lebenden Völker in der Schweiz unter Schutz stellen und diese fördern. Laut Wermelinger hat die natürliche Selektion bei wild lebenden Bienen die Anpassungsfähigkeit und damit die längerfristige Erhaltung der Art sichergestellt. «Es darf doch nicht sein, dass wild lebende Völker als vermeintliche Seuchenherde vernichtet werden und der Imker allein die volle Verantwortung für die Arterhaltung trägt.» 

In der Schweiz wird laut Wermelinger fast ausschliesslich intensive Honigimkerei betrieben. «Würde jeder Imker nur zehn Prozent seiner Bienen naturnah halten, so könnte er mit dem Rest seiner Bienen problemlos auf Ertrag arbeiten und die Natur könnte die stillgelegte Bienen-Evolution wieder parallel zur konventionellen Bienenhaltung aufbauen», sagt er. Nur wenige Imker hätten noch ein Verständnis für das Verhalten naturnah genutzter oder frei lebender Bienenvölker und deren Biologie und Ökologie. 

Das möchte «FreetheBees» mit verschiedenen Projekten ändern. Eines davon ist die Einführung einer ursprünglichen Art der Wald­imkerei, der sogenannten Zeidlerei. Die ersten Zeidler, die sich das Honigsammeln zum Beruf machten, lassen sich im Frühmittelalter nachweisen. In schwindelerregenden Höhen hieben sie Höhlen in alte Bäume, versahen den Eingang mit einem Brett, in das ein Flugloch eingebracht war. Dann warteten sie ab, ob Bienen in diese Behausung einzogen,  und sammelten den Honig ein. Im 19. Jahrhundert ging das Wissen um die Zeidlerei in Europa mehr und mehr verloren.

Ein Projekt für die Artenvielfalt
In der Luzerner Gemeinde Kriens soll das alte Handwerk nun wieder seinen Weg zurück in die Schweiz finden. In einem von «Free­theBees» international ausgeschriebenen Pilotkurs für zukünftige Zeidlertrainer – der sofort ausgebucht war – vermittelten polnische Zeidler diesen Frühling das Zeidlerwissen. Die Gemeinde Kriens stellte in einem Waldstück drei alte Bäume für Zeidlerhöhlen und eine aufgehängte «Klotzbeute», eine Bienenhöhle aus Holz, zur Verfügung. 

«Das Halten von Bienen in Baumhöhlen hilft, natürliche Nistmöglichkeiten aufzubauen und den Bienen langsam wieder ihre natürliche Auslese zu überlassen», sagt André Wermelinger. «Die Zeidlerei kann hier eine wichtige Lücke schliessen.»

Sascha Blum, Sachbearbeiter Umwelt in Kriens, war fast zeitgleich mit «FreetheBees» auf die Idee gekommen, dieses alte Handwerk zu fördern – und so kam eine Zusammenarbeit zustande. Für die Gemeinde stehen Massnahmen zur Erhaltung von alten und dicken Bäumen, den «Biotopbäumen», im Vordergrund. «Solche Mikrolebensräume erhöhen die Biodiversität im Wald», sagt Blum. Die Gemeinde sei bemüht, die Vernetzung der Lebensräume Kulturland und Wald sowie den Nutzen, den wir Menschen von ökologischen Systemen beziehen, zu fördern. Die Zeidlerei erfülle diese Ziele, ist Blum überzeugt. 

Denn die Waldbienenzucht ist auf alte Bäume mit einem grossen Stammumfang angewiesen – nur hier lassen sich Baumhöhlen errichten. Gleichzeitig bieten alte Bäume aber auch eine Vielfalt an Strukturen wie Höhlen, Rinden oder abgestorbene Äste. Darin finden viele verschiedene Tiere und Pflanzen Lebensraum: Vögel,  Baummarder, Wildbestäuber, Fledermäuse, Käfer und viele mehr – bis zu 900 Arten können beispielsweise auf einer alten Eiche Heimat finden. Die Zeidlerei hilft also nicht nur den Bienen. Dank ihr bleiben alte Baumbestände bestehen und damit die Lebensgrundlage für eine riesige Artenvielfalt.

Das Schlagen von Zeidlerhöhlen übrigens ist selbst für einen lebenden Baum unschädlich, wie Fachleute aus Polen und Russland versichern – und auch hiesige Förster sehen darin keine Gefahr. Der Saftstrom des Baumes verläuft zwischen Rinde und Stamm und wird nur in einem Bereich von zehn Zentimetern unterbrochen, was für den grossen Baum unproblematisch ist.

Ausschwärmen ist erwünscht
Die neuen Bienenhöhlen werden nun bevölkert. Ganz wild leben die Krienser Waldbienen aber nicht: Ein lokaler Imker betreut sie im Rahmen eines vom Forschungsinstitut für Biologische Landwirtschaft (FiBL) begleiteten Pilotversuchs. Die Tiere seien beim Veterinäramt gemeldet, würden regelkonform auf Brutkrankheiten und Parasiten kontrolliert und wenn nötig werde eingegriffen, sagt Sascha Blum von der Gemeinde.

Dass das Schwärmen als natürliche Vermehrung zugelassen wird, ist selbstverständlich. Denn nur dadurch, dass die alte Königin mit einem Teil ihres Gefolges den Bienenstock verlässt, kann sich ein Volk reinigen und erneuern. Das Naturwabenwerk in den Zeidlerhöhlen erlaubt es den Bienen nach ihrer eigenen Art zu bauen, es können nicht widernatürlich Honigräume aufgesetzt werden und der Schwarmtrieb wird so nicht beeinflusst. 

Diese natürlichen Abläufe zuzulassen, ist ganz im Bestreben des Vereins «Freethe­Bees», wieder robuste Bienenvölker zu schaffen. André Wermelinger ist sicher: «Langfristig kann nur eine natürliche Selektion dazu beitragen, dass in der Schweiz wieder Bienenvölker leben, die sich an die Umweltveränderungen anpassen und trotz vielfältiger Problematik wieder im Gleichgewicht leben können.» 

www.natuerliche-bienenhaltung.ch
www.freethebees.ch