Bevor es endgültig in die Weihnachtszeit geht und nur noch Mariah Carey, Michael Bublé und Wham! aus den Radiolautsprechern schmalzen, nutzen wir die Gelegenheit, noch einmal innezuhalten, den bequemsten Sessel auszuwählen, ein Kaminfeuer knistern zu lassen und einem klassischen Orchester zu lauschen. Schumann vielleicht, oder Vivaldi. Und dann schlies­sen wir die Augen und stellen uns vor, dass nicht menschliche Profimusiker an den Instrumenten sitzen, sondern gefiederte, fellige oder gar sechsbeinige Musikanten.

Es gibt nämlich eine ganze Menge musikalische Tiere, die sich auf dieser Doppelseite zu einem Orchester zusammenfinden. Zugegeben, damit das am Ende gut tönt, müssen sie wohl noch eine ganze Weile üben, aber es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen. Das klassische «Tierwelt»-Orchester ist, wie es sich gehört, rein instrumental. Wir verzichten daher auf Sänger, Schreihälse oder Quieker – kurz: auf alle Töne, die mit der Kehle und den Stimmbändern produziert werden.

 

Die hinter(n)ste Reihe

Vielleicht ist es nicht schlecht, den Hering in seinem Wasserbecken ganz hinten im Orchester zu platzieren. Denn er kommuniziert mit Fürzen. Und zwar äusserst musikalisch: Das Tonspektrum der Heringspupse umfasst, wie ein Forschungsteam herausgefunden hat, mehr als drei Oktaven. Ebenfalls mit dem Hintern kommuniziert die Birkenraupe Drepana arcuata. Sie hat ein speziell geformtes Hinterteil mit einer Art «Analruder», das sie über Blätter kratzen lässt, um zu kommunizieren. Das Geräusch soll laut einer Biologin tönen «wie Löwengebrüll». Das hat sie jedoch mit einem Laser-Schwingungsmessgerät herausgefunden, denn das Raupen-Gekratze ist für den Menschen unhörbar leise.

 

Die Perkussion

Was die Sandrasselotter nur dem Namen nach kann, beherrscht die Klapperschlange tatsächlich: Das Rasseln. Es entsteht dadurch, dass die Schlange ihren Schwanz schnell vibrieren lässt. Die Hornschuppen am Schwanzende der Schlange werden bei der Häutung nicht abgeworfen. Sie hängen lose ineinander verschachtelt herum und klappern bei Bewegung rhythmisch gegeneinander. Die Grosse Pauke im Tier-Orchester schwingt der Gorilla. Beim bekannten Brust-Trommeln schlägt er nicht mit den Fäusten, sondern mit flachen Händen auf seinen Oberkörper ein. Das tut er, um seinen Artgenossen – Weibchen, aber auch Rivalen – zu zeigen, wie gross und stark er ist: Je grösser der Gorilla, desto tiefer der Trommelton.

 

Video: Die Sandrasselotter musiziert virtuos

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Die Blasinstrumente

Wer die ganz grosse Trompete im tierischen Orchester schwingt, steht ausser Frage: der Elefant. Seine zum Rüssel umgeformte Nase schafft Lautstärken von bis zu 117 Dezibel, damit übertrumpft er im Savannen­duell sogar knapp den Löwen mit seinem Gebrüll. Ein etwas zierlicheres Blasinstrument, vielleicht die Piccolo-Flöte, übernimmt der Grosse Tümmler. Bei dieser Delfinart hat jedes einzelne Tier seine persönliche Lautfolge aus Pfeiftönen. Mit diesem «Namen» stellen sich die Tiere ihren Artgenossen vor. Am ehesten nach Dudelsack-Prinzip funktioniert der Sturzflug der Bekassine. Der auch in der Schweiz heimische Schnepfenvogel lässt sich zum Balzen steil durch die Luft fallen. Dabei zischt der Wind so durch sein Federkleid, dass ein wummernder Ton, das sogenannte «Meckern» entsteht. Und zuletzt wäre da noch das Walross. Das kann ganz nach Menschenart pfeifen und klingt dabei wie eine verstimmte Klarinette.

 

Video: Die Bekassine sind Teil der Bläser im Orchester

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Die Erste Geige

Kernstück eines jeden Orchesters bilden die Streichinstrumente. Und die erste Geige im Tierreich kann wohl niemand anderes als die Grille spielen. Die Konzerte von Feldgrille, Heuschrecke & Co. kennen wir aus sommerlichen Wiesen. Dabei richten die Männchen ihre Wohnröhre so ein, dass eine besonders gute Akustik entsteht, und zirpen drauf los, um den Weibchen zu imponieren. Das tun sie, je nach Art, indem sie entweder ihre Flügel zusammenreiben oder die gezahnten Hinterbeine über die Flügel reiben, wodurch der Zirpton entsteht. Stridulation heisst dieses in der Fachsprache – das tönt doch schon fast wie Stradivari.

Video: Die Grillen spielen natürlich die erste Geige

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Die anderen Streicher

Eine einzige Geige reicht natürlich für kein ganzes Konzert. Daher ist auch die zweite Reihe gut besetzt, zum Beispiel mit dem Streifen­tenrek, einem in Madagaskar heimischen, stacheligen Säuger. Er kann die Stacheln auf seinem Rücken so gegeneinanderreiben, dass ein rätschender Ton entsteht. Der das Tenrek-Weibchen anlocken soll. Auch eine Schlange findet Platz bei den Streichern. Vielleicht als Kontrabass. Die Sandrasselotter produziert ihre Warnlaute, indem sie ihre Schuppen aneinanderreibt. Das klingt wie grobes Schmirgelpapier – oder eben wie eine Rassel. Da der Ton aber eher wie ein Geigenton entsteht, darf die Schlange nicht bei den Perkussionsinstrumenten sitzen. Das Streichquartett komplettiert der Keulenschwingenpipra, einer der wenigen Vögel, die das Geigenspiel beherrschen. Seine Schwingen sind so geformt, dass sie, gegeneinander gerieben, Töne erzeugen. Der Nachteil: Diese Art, Töne zu erzeugen, belastet die Knochen stark, sodass die Vogelmännchen nicht mehr sonderlich gut fliegen können. Doch wer schon mit seiner Musik die Damenwelt bezirzt, muss kein Flugakrobat sein.

Der Tenrek muss sich mit der zweiten Geige zufriedengeben

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