Die Restaurants sind geschlossen, viele Stadtpärke und Flaniermeilen ebenfalls. Wo sich normalerweise Menschenmassen tummeln, essen und picknicken, herrscht nun Stille. Die Essensreste und Brösmeli, welche die Menschen dabei hinterlassen, sind für viele Tiere normalerweise ein gefundenes Fressen. Darunter für die Strassentauben.

In den letzten Tagen häuften sich daher Meldungen, dass die Tauben nun nichts mehr zu Fressen finden und verhungern müssen. Tierschützer forderten auf, sie zu füttern.

Daniel Haag-Wackernagel, Taubenexperte und Biologie-Professor an der Universität Basel, hält das für keine gute Idee. «Wenn jetzt gefüttert wird, beginnen die Tauben zu brüten», sagt er und erklärt die Fortpflanzungsstrategie dieser an das Leben in der Stadt bestens angepassten Vögel: «Sie legen auf die Grösse bezogen ganzjährig sehr kleine Eier, die wenig Energie kosten. Ist genug Nahrung vorhanden, kommen die Nestlinge durch, wenn nicht, ist nicht viel verloren, wenn sie sterben.» Je besser die Nahrungsgrundlage der Eltern, desto mehr Nestlinge bringen sie durch. Diese fliegen aus, überleben können sie aber nur, wenn sie dann selbst genug Nahrung finden.

Erfahrene Tauben verhungern nicht
Und das wäre momentan nicht der Fall, denn im Frühling sei eher wenig Nahrung vorhanden. «Bei Tauben hängt die Brutaktivität direkt von der Ernährung ab. Wenn man jetzt füttern würde, würde man nur die Fortpflanzung anheizen und Junge produzieren, die kaum eine Überlebenschance hätten.» Um die Altvögel muss man sich keine Sorgen machen, sie vertragen Nahrungsknappheit gut. Wer also Tierleid vermeiden will, füttert nicht.

Der Hauptengpass für die Tauben folgt jeweils im Herbst. Wenn es kälter wird, essen die Menschen wieder drinnen. «Das nimmt seit Jahren immer mehr zu, weil in der warmen Jahreszeit immer mehr Leute draussen essen und diese Nahrungsgrundlage dann im Herbst plötzlich wegfällt», sagt Haag-Wackernagel. Das hat zur Folge, dass viele Tauben sterben – ein natürlicher Prozess, der die Population gesund hält, indem kranke und schwache Tiere aussortiert werden.