Herr Bshary, Sie erzählen Geschichten von Kosmetiksalons im Meer. Klingt, als würden Sie Drehbücher für «Spongebob» schreiben. 
(lacht) Nein, das tue ich nicht. Aber immerhin sind meine Fische gerade in der englischen Kinderserie «Oktonauten» zum Einsatz gekommen, denn ihr Verhalten ist wirklich spannend. 

Inwiefern?
Mit den Kosmetiksalons ist es so: Putzerfische entfernen Parasiten von anderen Fischen, sogenannten Kunden. Die Putzerfische, die ich im Indopazifik vom Roten Meer bis Australien und Französisch-Polynesien untersuche, haben kleine Stationen, zu denen Kunden kommen, um sich behandeln zu lassen. Die Interaktion kann zwischen zwei Sekunden und fünf Minuten dauern, dann schwimmt der Kunde wieder weg. Er kommt fünf bis 30 Mal am Tag zum Putzer.  

Urchig
Zur Person
Redouan Bshary, geboren 1966 in Starnberg (D), studierte Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach Stationen in Cambridge und Liverpool ist er seit 2004 Professor für Verhaltensökologie an der Universität Neuenburg. Er forscht an innerartlichem und zwischenartlichem Sozialver-halten, insbesondere der Kooperation bei Fischen.

Das klingt ganz nach einem vorteilhaften Geschäft für beide.
Es gibt einen Interessenskonflikt. Putzerfische mögen Parasiten gar nicht so gern, sie bevorzugen den Schleim, der die Haut und die Schuppen der Kunden schützt. Mit jedem Biss in den Schleim zwicken sie den Kunden. Das nenne ich Betrug am Kunden. 

Und wie reagieren die Kunden darauf? 
Sie haben verschiedene strategische Optionen. Es gibt Raubfische, die den Putzer fressen können, wenn der Service schlecht ist. Das wissen die Putzer natürlich auch. Fazit: Raubfische werden nie gezwickt beziehungsweise betrogen. Sie bekommen immer einen perfekten Service, um das Risiko, gefressen zu werden, zu minimieren. Raubfische sind aber vergleichsweise selten. 95 Prozent der Kunden sind Friedfische, die Algen oder Krebstiere fressen. Die haben diese Möglichkeit der Drohung nicht. 

Können sie sich gar nicht gegen Betrug wehren? 
Wir unterscheiden bei den Friedfischen zwischen den Anwohnern, die selber nur ein kleines Streifgebiet und deswegen maximal eine Putzerstation zur Verfügung haben, und Besuchern, die grössere Streifgebiete und dementsprechend mehrere Putzerstationen ansteuern können. Der Putzer hat das Monopol für die Anwohner, aber er steht durch die Besucher in Konkurrenz zu anderen Putzern. 

Wie geht er damit um?
Diese Konkurrenzsituation löst er mit Servicequalität. Kunden, die Wahlmöglichkeiten haben, schwimmen tatsächlich zwischen Putzerstationen hin und her. Wenn der Service gut ist, kommt man zurück, wenn der Service schlecht ist, geht man woanders hin.

Wenn ein Stamm- und ein Laufkunde gleichzeitig kommen, wer wird bevorzugt?  
Putzerfische haben 2000 Interaktionen am Tag, das führt dazu, dass oft zwei Kunden gleichzeitig den Service beanspruchen. Dann muss der Putzer sich entscheiden, wem er Priorität gibt. Die gilt der Laufkundschaft, weil die davonschwimmen und einen anderen Putzer aufsuchen könnte. Der Anwohner muss sich sowieso gedulden, der kann ja nicht zu einem anderen. Also lässt der Putzer Stammkunden warten.

Dagegen können sich Anwohner nicht wehren? 
Gegen das Wartenlassen nicht, gegen Betrug dagegen schon. Sie müssen den Putzer erziehen. Wenn er betrügt, jagen sie ihn herum und bestrafen ihn. 

Das hilft?
Der Putzer merkt sich das, und das nächste Mal, wenn dieser Kunde kommt, dann ist er versöhnlich und macht seinen Job besonders gut. Er massiert den Kunden beispielsweise sanft mit den Flossen. Wir wissen, dass damit Stresshormone wie Cortisol bei den Kunden sinken. Sie geniessen die Massage und lassen sich so besänftigen. Dementsprechend ist das System im Gleichgewicht. 

Es scheint, als hätten Putzerfische Machiavelli studiert – sie manipulieren andere für ihr egoistisches Ziel ... 
Stimmt absolut, denn Putzerfische achten auch auf ihre Reputation. Wenn sie von einem potenziellen Kunden beobachtet werden, sind sie netter und machen besseren Service, als wenn sie nicht beobachtet werden. Da herrscht durchaus das Recht des Stärkeren. Und es herrscht Manipulation, indem man den Kunden mit Massagen in eine gute Stimmung versetzt. 

Putzerfische in Aktion (Video: The Nature Box):

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Das ist ungewöhnlich bei Tieren.
Das ist alles absolut faszinierend, denn es gab vorher keine Vorstellung davon, dass es Bestrafung oder Reputation im Tierreich gibt. Jetzt sind die Putzerfische auf beiden Gebieten das beste Beispiel abseits des Menschen. Putzer sind extrem manipulative Tiere, auf die man trotz aller Kooperation immer gut aufpassen muss.

Und wenn man nicht aufpasst? 
Wir haben ein Experiment gemacht, wo wir den Kunden anästhesiert und zum Putzer ins Aquarium gesetzt haben. Dann hat der Putzer überhaupt nicht nach Parasiten gesucht, sondern hat gleich angefangen, den Schleim zu fressen. Das zeigt, der Kunde muss stets wachsam sein.

Werden geschäftstüchtige Putzerfische auch gierig? 
Das ist der grosse Unterschied zum Menschen. Sobald es Geld gibt, kann man Nutzen anhäufen. Wenn es nur um einen vollen Magen geht, dann geht es nicht unendlich weiter. Im Gegenteil: Ein Putzerfisch, dem es richtig gut geht, ist netter als ein hungriger.

Hatten Sie mit solchen Fähigkeiten gerechnet, als Sie mit Ihrer Forschung anfingen? 
Ich habe sicher nicht erwartet, das zu finden, was ich gefunden habe. Vor 20 Jahren habe ich noch gedacht, dass viel genetisch codiert sei und Lernen und Kognition keine so grosse Rolle spielen. Da haben mich die Fische eines Besseren belehrt.

Ein Rifffisch spreizt die Flossen, um zu zeigen, dass er geputzt werden will (Video: Jon Slayer):

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