Ein Forscherteam um den Biologen Michael Keane von der Universität Liverpool hat das komplette Genom des Grönlandwals entziffert. Der Vergleich mit dem Genom anderer Wale und Säugetiere ergab, dass der Grönlandwal Besonderheiten aufweist, die mit Zellteilung, Erbgut-Reparatur, Krebs und Alterungsprozessen verbunden sind.

Diese Besonderheiten erhöhen vermutlich die Langlebigkeit der Tiere und steigern etwa ihre Widerstandskraft gegen Krebs. Insofern könnte die im Journal «Cell Reports» veröffentlichte Studie Hinweise für Forschungen zu Alterungsprozessen generell geben.

Tricks auf den Menschen übertragen
«Unser Verständnis der Lebensdauer verschiedener Arten ist noch gering. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen geben uns genetische Kandidaten für künftige Studien», erklärt Keanes Kollege João Pedro de Magalhães. Seiner Ansicht nach haben die verschiedenen Arten unterschiedliche «Kniffe» für eine längere Lebensdauer entwickelt. «Indem wir die Tricks des Grönlandwals entdecken, ist es uns vielleicht möglich, sie auf den Menschen zu übertragen, um altersbezogene Krankheiten zu bekämpfen», so Magalhães.

Der Grönlandwal (Balaena mysticetus) lebt in den arktischen Meeren und kann bis zu 18 Meter lang werden bei einem Gewicht von bis zu 100 Tonnen. Die Tiere ernähren sich von Plankton, das sie mit ihren Barten aus dem Wasser filtern. Trotz ihrer Grösse und der damit einhergehenden grossen Anzahl von Zellen – grosse Wale haben über tausendmal mehr Zellen als Menschen – ist ihr Krebsrisiko nicht erhöht. Die Forscher vermuten daher, dass die Wale über natürliche Mechanismen verfügen, die Krebs effektiver als bei anderen Arten unterdrücken. Sie entdeckten auch Änderungen in Genen, die normalerweise bei Krebs eine Rolle spielen.

Erste Sequenzierung bei einem grossen Wal
Zudem weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass ihre Sequenzierung die erste bei einem grossen Wal ist. Insofern könnten die Ergebnisse auch Aufschluss über physiologische Anpassungen in Bezug auf die Körpergrösse geben. So hätten etwa Walzellen eine wesentlich geringere Metabolismusrate als die Zellen kleinerer Säugetiere.

Auch für diesen Unterschied fanden die Biologen genetische Erklärungen: So wies ein Gen, das in Zusammenhang mit Thermoregulation steht, beim Grönlandwal eine Besonderheit auf. Die Thermoregulation ist verantwortlich für die mehr oder minder grosse Unabhängigkeit der Körpertemperatur eines Tieres von der Aussenwelt.

Magalhães will nun Mäuse züchten, die er mit verschiedenen Genen des Grönlandwals ausstattet, um herauszufinden, wie wichtig bestimmte Gene für Langlebigkeit und die Widerstandskraft gegen Krankheiten sind. In einem nächsten Schritt müsste das Genom anderer langlebiger Arten entziffert und mit dem des Grönlandwals verglichen werden.

Originalpublikation:
Keane M et al.: «Insights into the evolution of longevity from the bowhead whale genome». Cell Reports (2014).
DOI: 10.1016/j.celrep.2014.12.008