Mit zwei Stoffsäcken in der Hand steigt die Biologin Nadine Apolloni die Leiter hoch. Ihr Ziel ist ein Nistkasten, der in einem Kirschbaum hängt – von diesen gibt es hier in der Ajoie, am äussersten Ende der Schweiz im Kanton Jura, noch mehr als andernorts in der Schweiz. Mit dem einen Sack verstopft Apolloni die Öffnung des Kastens. Dann dreht sie mit einer Zange den Haken an der Seitenwand auf und klappt den Nistkasten auf.  «Da ist was drin», sagt sie. «Wie viele?», fragt Damien Crelier, auch er ein Ornithologe aus der Region, von unten. «Vier», antwortet sie, und steckt die kleinen Steinkauzjungen eines nach dem anderen in den Stoffsack. «Nein, es sind fünf! Da hat sich noch eines versteckt.»

Kaum zu glauben, dass die flauschigen Knäuel, kaum grösser als ein Tennisball, eine Woche später schon ihr Nest verlassen werden. Fliegen können sie dann allerdings noch nicht. Sie sind damit  leichte Beute für Raubtiere wie Marder oder Füchse. «Wir versuchen die Bauern zu überzeugen, rund um die Bäume ein wenig Gestrüpp stehen zu lassen, zum Beispiel Brombeeren, wo sich die Steinkäuzchen drin verstecken können», sagt Nadine Apolloni.

Nur noch vier Steinkauzregionen
Gemeinsam mit ihren Kollegen vom Collectif Chevêche Ajoie (Gemeinschaft Steinkauz Ajoie) bemüht sie sich seit einigen Jahren, Bedingungen zu schaffen, in denen sich die Steinkäuze in der Ajoie vermehren können. Unterstützung können diese Vögel gut gebrauchen – von den fünf Jungen wird rein statistisch gesehen nur eines das erste Jahr überleben.

Es sind aber nicht die Raubtiere, die den Steinkauz in der Schweiz an den Rand des Aussterbens gebracht haben. Es ist der Mensch, der durch die Intensivierung der Landwirtschaft die Lebensräume dieser Vögel schwinden liess. Alte Hochstammobstbäume, in deren Höhlen die Steinkäuze brüten könnten, sind selten geworden. Das Mosaik aus verschiedenartigen kleinen Feldern ist durch einzelne grosse Felder ersetzt worden, die weniger attraktiv für Mäuse und andere Beutetiere des Steinkauzes sind und auf denen sie zudem schwerer zu finden sind. Und vermutlich trug auch der Einsatz von Pestiziden zum Schwinden des kleinen Raubvogels bei.

Der landesweite Bestand schrumpfte auf vier Populationen zusammen. Steinkäuze gibt es heute noch in der Magadinoebene im Tessin, im Kanton Genf, in der Ajoie im Kanton Jura sowie im Seeland. Zudem sind in der Region Basel schon einzelne Tiere aus dem Elsass beobachtet worden. In all diesen Regionen führen der SVS / BirdLife Schweiz und verschiedene Partner seit mehreren Jahren Projekte durch, um die Steinkäuze zu fördern – mit Erfolg.

Ring für jeden Vogel
Das Projekt im Jura, «Chevêche Ajoie», entstand, nachdem Damien Crelier Anfang des Jahrtausends zu zählen begonnen hatte, wie viele Steinkauzmännchen in dieser Region riefen – und auf gerade mal rund ein Dutzend Reviere gestossen war. Dieses Jahr sind es immerhin knapp 40. Wenn sich Paare bilden, ist die Chance gross, dass sie einen der rund 100 Nistkästen beziehen, die Crelier, Apolloni und ihre Kollegen aufgehängt haben. In den nächsten Jahren wollen sie die Zahl der Kästen verdoppeln. Im Frühsommer besuchen sie jeden davon und kontrollieren, ob Jungvögel drin sind.

An diesem Vormittag ist Nadine Apolloni, Koordinatorin des Projekts, mit Damien Crelier und Arnaud Brahier unterwegs, die das Projekt aufgebaut haben. Im Stoffsack trägt Apolloni die jungen Steinkäuze die Leiter hinunter auf den Boden. Brahier nimmt die Vögelchen auf den Schoss und gibt eines nach dem anderen Crelier. Der schliesst jedem mit der Zange einen Metallring um den Fuss. Apolloni notiert sich die Nummern der Ringe, bevor sie die Käuzchen wieder einpackt und nach oben in den Nistkasten bringt.

Wenn sie später einen beringten Vogel entdecken, können sie nachvollziehen, wie weit er sich von seinem Geburtsort entfernt hat. Doch immer wieder stossen sie auch auf unberingte Altvögel. Diese sind entweder ausserhalb eines Nistkastens geschlüpft, etwa in einer Scheune oder einer Baumhöhle, oder aus dem Ausland eingeflogen – Frankreich, wo die Vögel nicht systematisch beringt werden, ist nur ein paar Hundert Meter entfernt.

Im vergangenen Jahr hatten Vogelschützer einen Rekord von 121 Steinkauzrevieren in der Schweiz verkündet, davon 43 in der Ajoie. Dass es dieses Jahr etwas weniger sind, macht Nadine Apolloni keine Sorgen. «Das erklärt sich mit der natürlichen Schwankung, das vergangene Jahr war regnerisch und damit ungünstig für das Überleben der Jungvögel», erklärt sie.

Nistkasten als Vorratskammer
Apolloni und Crelier leisten einen grossen Teil der Stunden, die sie ins Steinkauz-Förderprojekt stecken, ehrenamtlich. Beide leben selber in der Region, was bei den Gesprächen mit der Bevölkerung hilft. Zudem arbeiten sie für den Kontakt zu den Landwirten und die Umsetzung verschiedener Massnahmen eng mit der Fondation rurale interjurassienne zusammen. Denn mit dem Aufhängen von Nistkästen ist es nicht gemacht. «Chevêche Ajoie» fördert unter anderem auch den Anbau von Nuss- und Hochstammobstbäumen. Zudem können Landwirte Entschädigungen beantragen, wenn sie ihr Land so bewirtschaften, dass es dem Steinkauz zuträglich ist – zum Beispiel wenn sie jeweils nicht die ganzen Wiesen auf einmal mähen, sondern die einen Stücke etwas früher, die andern etwas später. So bleibt erstens immer etwas stehen für die Insekten, die auf dem Speiseplan des Steinkauzes stehen. Zweitens finden die Mäuse im hohen Gras Schutz und können sich vermehren – und sobald sie sich hinaus auf eine abgemähte Fläche wagen, kann der Steinkauz sie entdecken und mit der Beute seinen Nachwuchs füttern.

Neben den fünf Jungen im Nistkasten in der Ajoie liegen als Futtervorrat zwei tote Feldmäuse und ein Hausrotschwanz. In früheren Jahren haben die Ornithologen auch schon Gartenrotschwänze und gar einen Grünspecht gefunden, die dem Steinkauz zum Opfer gefallen sind. Obwohl der Kauz ihr Fressfeind ist, profitieren auch diese Vögel von den landschaftlichen Massnahmen von «Chevêche Ajoie». Nadine Apolloni zeigt auf ein paar neue Häuser: «Eigentlich hätte sich diese Siedlung bis hier zur Wiese mit den Obstbäumen erstrecken sollen. Mit Einsprachen bis vor Bundesgericht konnte das Projekt verhindert werden.»

Der Steinkauz ist sogar vom Bundesamt für Umwelt zur prioritären Art erklärt worden. Nach wie vor ist er gemäss der Roten Liste «stark gefährdet». «Wir sind noch nicht auf der sicheren Seite, solange sich die Populationen auf wenige isolierte Orte beschränken», sagt Apolloni. Doch angesichts der Entwicklung der letzten Jahre besteht Grund zur Hoffnung.

www.chevecheajoie.com