Am Rande der Existenz. So ist das Projekt «Edge of Existence» von der Zoological Society of London zu übersetzen. Am Rande der Existenz sind Tausende von Tieren weltweit. Täglich sterben gemäss verschiedener Quellen rund 100 Tier- und Pflanzenarten aus. Meist sind es noch gar nicht oder kaum erforschte Arten. Oft sind es auch Arten, deren nahe Verwandten unbehelligt weiterexistieren können. Dementsprechend ist der Einfluss auf Ökosystem, Tier und Mensch auch klein, wenn eine Ameisenart aus einer Familie verschwindet, die noch hunderte Verwandte hat, die im selben Lebensraum die entstandene Nische ausfüllen können.

Es ist also nicht ganz einfach, abzuwägen, wie «schlimm» das Aussterben einer Tierart ist, gerade weil sich die Natur seit Jahrmillionen laufend verändert und Arten kommen und gehen. Vom Menschen geschaffene Auswirkungen auf die Umwelt gehen einher mit natürlichen Veränderungen. Die Rodung eines Waldes kann genauso zum Verschwinden von Arten beitragen wie der Ausbruch eines Vulkans. Die Klimaerwärmung wurde zwar – das ist mittlerweile kaum mehr bestritten – vom Menschen ausgelöst, doch ist sie nicht einzigartig in der Erdgeschichte.

Ausgeprägt und gefährdet
Um auf wissenschaftlicher Ebene herauszufinden, um welche Arten es sich am meisten zu kämpfen lohnt, haben Forscher von der Zoologischen Gesellschaft London das Projekt «EDGE» auf die Beine gestellt. Neben der Bedeutung als «Rand der Existenz» steht die Abkürzung für «Evolutionary Distinct & Globally Endangered». Also «Evolutionär ausgeprägt und global gefährdet».

Die Wissenschaftler um Walter Jetz haben einen Weg gefunden, diese beiden Faktoren unter einen Hut zu bringen und sowohl die Gefährdung einer Art als auch ihre evolutionäre Einzigartigkeit zu berücksichtigen. Im Fachjournal «Current Biology» haben sie ihre Resultate veröffentlicht. Dabei haben sie in einem ersten Schritt bei jedem der fast 10'000 untersuchten Vögel die Stufe der Gefährdung gemäss der Roten Liste der IUCN in einen Zahlenwert umgerechnet. Tiere mit dem Status «nicht gefährdet» erhalten 0 Punkte, solche mit dem Status «vom Aussterben bedroht» 4 Punkte.

Schutzbedürfnis in Zahlen
Den daraus resultierenden Zahlenwert haben die Forscher mit einem «evolutionary-distinctness»-Faktor verrechnet. Dieser ergibt sich aus dem «evolutionären Abstand» zwischen der betroffenen Art und seiner nächsten Verwandtschaft. Ein Vogel, der keine nahe Verwandtschaft hat und in seiner Familie heraussticht, erhält also einen höheren Wert als eine Art unter vielen nahen Verwandten.

Anhand von diesen Zahlen ist es den Wissenschaftlern gelungen, eine Tabelle aufzustellen, die bei «unbedingt schützenswert» anfängt und bei «kein grosser Verlust, wenn das Tier ausstirbt» aufhört. Die Top-100 der einzigartigen Vögel hat die ZSL nun auf der Website des Projekts «Edge» veröffentlicht. 

Schön zu sehen: bei sieben der zehn schützenswertesten Vögel sind bereits Konservations-Bemühungen im Gange. Andere, darunter die Nummer eins der Liste, werden bislang nur begrenzt geschützt. Indem sie den Fokus auf solche Arten setzt, macht die ZSL aufmerksam auf eine Fauna, die es zu retten gilt und deren Aussterben ein einzigartiger Verlust – auch für die Menschheit – wäre.

Originalpublikation:
Jetz et al., Global Distribution and Conservation of Evolutionary Distinctness in Birds, Current Biology (2014) 
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2014.03.011