Das britische Wetter zeigt sich von seiner garstigsten Seite, als wir in das kleine, offene Boot steigen. Auf der kurzen Fahrt wird jedoch schnell klar: Es lohnt sich, heute nass zu werden. Bereits sind in der Ferne die ersten Vögel zu sehen, ihr Gekreisch und Geschnatter wird immer lauter, je näher das Ziel rückt.

Das Ziel ist Skomer Island, eine kleine Insel vor der Küste der Grafschaft Pembrokeshire im Südwesten von Wales. Das karge Eiland ist eine wichtige Station im Leben Hunderttausender Seevögel. Hierhin kehren sie jedes Jahr im Frühling zurück, um ihre Eier zu legen. Die steilen Klippen Skomers bieten Brutgelegenheiten für Trottellummen, Tordalken, Austernfischer, Eissturmvögel, Basstölpel, verschiedene Möwenarten und Kormorane. Ausserdem beherbergt die Insel zur Brutzeit mit ungefähr 310 000 Paaren mehr als die Hälfte der weltweiten Population des Atlantiksturmtauchers.

Vögel in Kaninchenlöchern
Die Hauptattraktion und der Grund für unseren Besuch sind allerdings die Papageitaucher. Denn während man die anderen Vögel – ausser dem nachtaktiven Atlantiksturmtaucher – auch sonst an der Küste von Pembrokeshire gut beobachten kann, sind die Papageitaucher empfindlicher. Sie brüten nur dort, wo es keine Ratten gibt, und suchen sich dafür meist abgelegene Inseln aus. So wie Skomer Island, wo man 6000 Paare aus nächster Nähe erleben kann. Um die Brutkolonien zu schützen, dürfen allerdings nur 250 Personen pro Tag auf die Insel.

Nach der Ankunft wird unsere Gruppe, vorwiegend bestehend aus walisischen Schulkindern, denen der Wind und die Kälte nichts anzuhaben scheinen, von der Insel-Hüterin Bee begrüsst. «Es ist äusserst wichtig, dass ihr die Wege nie verlasst», ermahnt sie. «Wisst ihr, warum?» Die Schüler wissen die Antwort. Weil sowohl Papageitaucher als auch Atlantiksturmtaucher in verlassenen Kaninchenbauten brüten. Würden die Besucher auf der Insel überall herumspazieren, könnten diese einbrechen und die Vögel sterben.

Bee heisst eigentlich Brigitta und kommt aus Konstanz. Seit vier Jahren leben sie und ihr Mann auf der Insel, hinbeordert vom Wildlife Trust of South and West Wales. Zu ihrem Job gehört es auch, mit einem Boot um die Klippen zu fahren und die Brutpaare der Vögel zu zählen. Ein einfaches Leben sei es, aber ein schönes, sagt Bee. Und als die wetterfesten Kinder von dannen ziehen erklärt sie zu unserem Erstaunen, dass wir Glück hätten mit dem schlechten Wetter. Wäre es schön, würden wir kaum so viele «Puffins» (Papageitaucher) sehen. Sie wären dann nämlich ausgeflogen.

Schmerzhafte Bisse
In der Tat sehen wir Tausende der lustigen Vögel, die mit ihrem farbigen, grossen Schnabel und ihrem schwarz-weissen Gefieder ein bisschen wie eine Mischung aus Papagei und Pinguin aussehen. Etwas tollpatschig wirken sie, mit ihren kurzen Flügeln, mit denen sie unter Wasser besser «fliegen» können als in der Luft – und sie sind Besucher wohl gewohnt, denn sie watscheln teilweise kaum einen halben Meter von den Menschenbeinen entfernt über den Pfad. Zu nahe kommen sollte man ihnen aber auf keinen Fall. «Ihre Bisse sind sehr schmerzhaft», sagt Bee und lacht. Bis Ende Juli sind die Vögel noch auf Skomer – dann ziehen sie mit ihren Jungen wieder in ihre jeweiligen Winterquartiere.

Die zutraulichen Papageitaucher im Video:

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Neben Vögeln und Kaninchen können wir an diesem Tag fünf Kegelrobben beobachten – und sind begeistert. Nicht nur von Skomer, sondern von ganz Pembrokeshire. Die Grafschaft entpuppt sich als wahres Paradies für Tier- und Naturliebhaber. Ein Wanderweg führt auf rund 300 Kilometern der gesamten Küste des Countys entlang, so auch durch den Pembrokeshire Coast National Park, den einzigen Küsten-Nationalpark Grossbritanniens. Der Weg führt durch wunderschöne, vielseitige Küstenlandschaften. Ständig geht es hinauf auf schroffe Klippen und wieder hinunter an feine Sandstrände, was teilweise ganz schön anstrengend sein kann, zumal einige Etappen des «Coast Path» derart abgelegen sind, dass es keine Restaurants oder sonstige Erfrischungsmöglichkeiten gibt.

Das Pub, der Treffpunkt für Wanderer
Die meisten Touristen kommen aus England, doch der Coast Path zieht Wanderer aus aller Welt an. Auch wir sind einige Tage auf dem Küstenwanderweg unterwegs. Für unsere Anstrengungen werden wir belohnt mit viel schönem Wetter und mit Begegnungen mit allerlei Meeres- und Singvögeln, darunter die seltene Alpenkrähe, von der es in Grossbritannien nur noch etwa 450 Paare gibt und die auch in der Schweiz stark gefährdet ist. Wir sehen Kaninchen, Füchse, ausgewilderte Ponys, eine Familie von Kanadagänsen und aufgeschreckte und laut gackernd davonfliegende Fasane. Und es gäbe noch viel mehr zu sehen: An einem Fluss in der Nähe des hübschen Dorfs Solva sollen etliche Fischotter hausen, Delfine und Schweinswale besuchen ab und an die Gewässer vor der Küste.

Immer wieder trifft man auf andere Wanderer, gibt Auskunft, unterhält sich abends in den Pubs. Dort trifft man auch auf die freundlichen Einheimischen, die immer für ein Schwätzchen zu haben sind. Auf Englisch, versteht sich. Obwohl alles zweisprachig angeschrieben ist, wird Walisisch, die keltische Sprache mit den vielen Konsonanten, vor allem im Norden gesprochen, wie uns Carl erklärt, ein junger Waliser, der nach langer Zeit im Ausland zurückgekehrt ist.  Hier, im Süden, spricht man mehrheitlich Englisch. Carl erteilt auch gleich ein wenig Nachhilfe in Sachen Aussprache – wir kriegen es nicht hin. Walisisch lernen wir in diesem Leben wohl nicht mehr. Dafür eine andere wichtige Lektion: Was man auch bei einer Reise nach Pembrokeshire auf keinen Fall vergessen darf, ist Sonnencreme. Die Grafschaft gilt als besonders sonniges Fleckchen. Unsere Sonnenbrände können das bestätigen.

Infos und Tipps
Nach Pembrokeshire gelangt man am besten von Basel oder Genf aus nach Bristol und von dort mit Zug oder Bus über Swansea nach St. Davids oder Fishguard. Die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr ist etwas mühsam, da es nur wenige Verbindungen gibt. Schneller ist, wer ein Auto mietet. Übernachtungsmöglichkeiten entlang des Coast Path reichen von Hotels, B&Bs und Pubs bis zu Jugendherbergen. Wegen des eigenwilligen Inselwetters eignen sich für eine Reise sowohl Frühling, Sommer als auch Herbst. Von April bis Ende Juli, zur Brutzeit der Vögel, sieht man die meisten Tiere.

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