Blattschneiderameisen sind winzig klein, aber sie haben mehr mit uns Menschen gemein, als man glauben würde. Wie der Homo sapiens waren die in den Tropen und Subtropen beheimateten Insekten einst Jäger und Sammler. Und wie wir haben sie sich im Laufe der Evolution zu einem Agrarvolk mit einer gut funktionierenden Landwirtschaft entwickelt. Die mehr als 40 Arten der Blattschneiderameisen haben sich nämlich der Pilzzucht verschrieben. 

Und das hat wiederum mit dem Namen der Blattschneiderameisen zu tun. Den verdanken sie nämlich der Tatsache, dass sie mit ihren scharfen Mundwerkzeugen Pflanzenblätter in kleine Stücke zerteilen und diese dann in langen Marschkolonnen in ihre unterirdischen Nester transportieren. Die Wissenschaft hat erst relativ spät, im Jahr 1874, herausgefunden, dass die stets sauber herausgeschnittenen Blattstücke den Ameisen nicht als Nahrung, sondern als eine Art Düngemittel dienen. Die Ameisen verwenden die Blattteile als nährstoffreiches Substrat, auf dem sie in unterirdischen Plantagen einen Pilz aus der Gattung der Egerlingsschirmlinge, Leucoagaricus, anbauen. Dieser Pilz ist die alleinige Nahrungsquelle der Blattschneiderameisen. 

Koloniegründung bei den Blattschneiderameisen (Video: DanLie):

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Bodyguards gegen Luftangriffe
Im Blattschneiderameisenstaat gibt es, im Gegensatz zu vielen anderen Ameisenarten, nicht nur einen Typ Arbeiterin, der alleine alle anfallenden Arbeiten erledigen muss, sondern es herrscht ein «Kastensystem»: Die Ernte der Blätter, der Transport der Blätter zum Nest, die Weiterverarbeitung sowie der Pilzanbau werden in fein aufeinander abgestimmten Schritten von äusserlich ganz unterschiedlichen Arbeiterinnen ausgeführt.

Zunächst gilt es bei den verschieden Kasten zwischen Aussen- und Innenarbeiterinnen zu unterscheiden. An vorderster Front bei den Aussenarbeiterinnen stehen sogenannte «Scouts», deren Aufgabe es ist, Bäume oder Sträucher mit reichlich Blattwerk zu suchen. Sobald sie ein geeignetes Objekt gefunden haben, legen sie von dort eine Duftspur zum heimischen Nest, mithilfe derer möglichst viele andere Aussenarbeiterinnen zum Einsatzort nachgeführt werden können. Als Nächstes sind die sogenannten «Blattschneider» an der Reihe: grosse, kräftige Ameisen, die mit ihren messerscharfen Mundwerkzeugen das Blattwerk in halbkreisförmige Schnipsel zerteilen. Diese übergeben sie sofort an die «Transporteure». Das sind Ameisen, denen wiederum die oft beschwerliche Aufgabe zufällt, die Blattstücke möglichst rasch ins heimische Nest zu transportieren.

Blattschneiderameisen in Aktion (Video: Zoo Rostock):

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Der Konvoi der Transporteure wird meist von mehreren sogenannten «Soldaten» eskortiert, riesigen Arbeiterinnen, deren Job es ist, Fressfeinde aller Art abzuwehren. Allerdings können die Soldaten die Transporteure nicht gegen Angriffe aus der Luft bewahren. Ziemlich oft greifen nämlich Buckelfliegen die wegen ihrer schweren Beladung verteidigungsunfähigen Transportameisen aus der Luft an, um ihre Eier in deren Hinterleib zu stechen. Aber auch für diesen Fall haben die Blattschneiderameisen mit einer eigenen Kaste vorgesorgt: Oben auf den Blättern reisen winzige «Bodyguardameisen» mit, die gezielt Ameisensäure auf die attackierenden Buckelfliegen spritzen und so mithelfen, dass die Transporteure und ihre Last unbeschadet ins heimische Nest gelangen.

Schneidarbeit am Fliessband
Ist die Beute erst mal im Ameisenbau angekommen, schlägt die Stunde der Innenarbeiterinnen. Sie haben die Aufgabe, die Blattstücke weiter zu zerkleinern. Das funktioniert wie am Fliessband. Innen­arbeiterinnen gibt es nämlich in verschiedenen Grössenausführungen, die Hand in Hand arbeiten: Die grössten zerteilen die frisch von den Transporteuren angelieferten Blattschnipsel, um diese dann an kleinere Artgenossen zur Weiterverarbeitung weiterzureichen. Je kleiner die Blattstücke im Laufe der Bearbeitung werden, desto kleiner werden auch die Innenarbeiterinnen. Letztlich vermischen die kleinsten die mittlerweile winzigen Blattschnipselchen mit ihrem Speichel, der diverse Verdauungsenzyme enthält, und zerkauen die vorverdaute Masse zu einem homogenen Brei. Diesen transportieren sie zu den unterirdischen Pilzgärten und legen ihn dort aus.

Dort, tief unten im Bau, warten die «Gärtnerinnen», die zahlenmässig grösste, aber auch die körperlich mit Abstand kleinste Ameisenkaste. Ihr verantwortungsvoller Job ist es, für die Anlage und die Pflege der Pilzgärten zu sorgen. Dazu stecken sie zunächst einmal kleine Pilzfäden in das von den Innendienstarbeiterinnen ausgebreitete Breisubstrat. 

Wie funktioniert das mit dem Pilz? (Video: AntGeek):

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Schon nach kurzer Zeit bildet sich auf dem nährstoffreichen Brei ein dichtes, schimmelartiges Geflecht von Pilzfäden. Die Gärtnerinnen beissen nun regelmässig mit ihren scharfen Kieferzangen die Enden der Pilzfäden ab. Dadurch verhindern sie, dass der Pilz Fruchtkörper ausbildet. Stattdessen entstehen an den Fadenenden kleine knollenartige Verdickungen. Diese Verdickungen, die reich an Eiweissen sind und in der Wissenschaft «Ambrosia-Körperchen» genannt werden, werden schliesslich von den kleinen Innenarbeiterinnen abgeerntet und an die Larven und die anderen Ameisen verfüttert. So hält ein ausgeklügeltes Teamwork den Blattschneiderameisen-Staat am Laufen.