Friedlich schwimmen sie auf dem Zürichsee. Schaukeln mit den Wellen, lassen sich treiben, ab und zu ertönt ein Schnattern. Es sind Stockenten. Zwischen ihnen gondeln Taucherli, auch die eine oder andere Kolbenente ist zu sehen. Einer der Wasservögel aber sticht besonders ins Auge. Knallrot ist der Schnabel, die Augenpartie weiss, der Scheitel schillert in den verschiedensten Farben. Dazu kommt ein rostroter «Bart». Am auffälligsten aber sind die Schmuckfedern an den Flügeln, die wie Segel aussehen. Es ist ein Mandarinente-Männchen, wahrlich eine Schönheit. Unweit von ihm schwimmt, in dezentem Grau, aber nicht weniger elegant, das Weibchen.

Szenen wie diese lassen sich am Zürichsee schon seit vielen Jahren immer wieder beobachten. Doch die Mandarinente ist kein einheimischer Vogel. Sie stammt – der Name lässt es erahnen – aus dem Fernen Osten. Wegen ihres Aussehens ist sie in der Ziergeflügelhalung sehr beliebt und fand so auch ihren Weg in die Schweiz, wo sie schon seit 1958 brütet. Die ersten Bruten gehen wohl auf Gefangenschaftsflüchtlinge zurück. Die Population der Mandarinente wuchs zwar mit den Jahren stets ein bisschen an, Konflikte mit heimischen Tierarten gab es aber bislang nicht.

Und die hübsche Ente ist nicht allein. Laut einem Bericht des Bundesamts für Umwelt (Bafu) gibt es in der Schweiz über 800 gebietsfremde Tiere, Pflanzen und Pilze. Nur 107 von ihnen werden als problematisch eingestuft. Zu Problemen kommt es, wenn sich eine Art stark vermehrt und invasiv verhält. «Als invasive Arten werden jene gebietsfremden Arten bezeichnet, die ökologische, soziale oder ökonomische Schäden verursachen», erklärt Gian-Reto Walther von der Sektion Arten und Lebensräume des Bafu. Zu diesen Schäden gehören das Verdrängen der konkurrenzschwächeren, einheimischen Arten, Ernteausfälle oder das Übertragen von Krankheiten auf Mensch und Tier. «Selbst wenn nur ein kleiner Anteil der gebietsfremden Arten invasiv ist, so können die Schäden doch
beträchtliche Ausmasse annehmen.» 

Schwierig, Probleme vorauszusehen
Der grösste Teil der Neozoen, wie gebietsfremde Tiere im Fachjargon genannt werden, aber begnügt sich mit einem friedlichen Miteinander. «Für sie besteht kein Handlungsbedarf, solange Menschen, Tiere und Umwelt nicht durch sie gefährdet werden», sagt Walther. Im Rahmen von laufenden Monitorings oder über Meldungen von Beobachtungen werden allerdings auch diese Arten im Auge behalten. Denn es kann passieren, dass eine Art nach einem jahrzehntelangen Nischendasein plötzlich doch noch invasiv wird. Dies vorherzusagen, sei «ausserordentlich schwierig», schreibt das Bafu. Es hänge vor allem mit drei Faktoren zusammen: artspezifischen wie beispielsweise der Fähigkeit, sich an neue Gegebenheiten anzupassen; Umweltfaktoren wie Klima, der Konkurrenz durch andere Arten oder der Anzahl natürlicher Feinde und nicht zuletzt der Einstellung des Menschen dieser Art gegenüber.

«Die Bedingungen im neuen Gebiet müssen so sein, dass die Art dort überleben kann», sagt Walther. «So sind für Arten aus tropischen Regionen die Winter in Mitteleuropa in der Regel zu kalt, um ein längerfristiges Überleben zu sichern.» Andererseits könne es aber sein, dass Faktoren, die eine Art im Heimatgebiet einschränken, im neuen plötzlich wegfallen und von keiner einheimischen Art kompensiert werden können. Dann werde die Art invasiv.

Europa ist ein Ausfuhrkontinent
In der Schweiz und in Europa gab es mit solchen Arten bisher vergleichsweise wenig Probleme. In fragilen Inselsystemen dagegen rotteten eingeschleppte Katzen, Mäuse und Ratten schon Dutzende endemische Tierarten aus. Dass dies bei uns nicht der Fall war, mag einerseits daran liegen, dass unsere Ökosysteme grösser, vernetzter und daher robuster sind. Andererseits waren es meist Europäer, die auf andere Kontinente auswanderten und diese Tiere mitnahmen. In Europa selbst gab es solche Einwanderungen nicht. 

Als Neozoen gelten nur solche Tierarten, die vom Menschen nach Kolumbus’ Entdeckungsfahrt 1492 direkt oder indirekt eingeführt wurden. Bei Landtieren und Pflanzen geschah dies häufig absichtlich, sei es zur Zierde oder wie beim Fasan als Jagd- oder beim Marderhund als Pelztier. Auch exotische Haustiere werden immer wieder ausgesetzt. Aquatische Kleinlebewesen wie Muscheln und Kleinkrebse dagegen werden meist unbeabsichtigt eingeschleppt, sie kommen als blinde Passagiere an oder auf Schiffen ins Land. 

Und dann gibt es noch diejenigen, die von selbst zu uns kommen. «Arten, die ihr natürliches Verbreitungsgebiet ohne Hilfe des Menschen ausdehnen, gelten nicht als gebietsfremd», sagt Gian-Reto Walther. So werde der eingewanderte Goldschakal gleich behandelt wie die einheimischen Grossraubtiere. Als weiteres Beispiel nennt Walther den Bienenfresser, der, auch wegen des Klimawandels, sein ursprüngliches Brutgebiet im Mittelmeerraum gegen Norden ausdehnen konnte und dessen Bestände in der Schweiz seit den 1990er-Jahren deutlich zugenommen haben.

Wie die Mandarinente ist auch der Bienenfresser ein farbenfroher Vogel, den zu beobachten Freude macht. In der Tat verursachen die meisten Neozoen nicht nur keine Probleme, sondern viele von ihnen können positive Effekte haben, findet der Biologe Martin Schlaepfer von der Universität Genf. Den Menschen Freude bereiten ist ein solcher Effekt, Schlaepfer zählt auch günstige Auswirkungen auf die Biodiversität und das Ökosystem dazu: «Sie können Nahrung und Unterschlupf für bedrohte einheimische Arten liefern oder Funktionen von einheimischen Arten übernehmen, die bereits verschwunden sind.» 

Neulinge mit Vorzügen
Schlaepfer plädiert deshalb für einen entspannteren Umgang mit nicht einheimischen Arten, die, wie er sagt, generell sehr negativ gesehen und schnell als «unerwünscht» abgestempelt werden. «Für mich wird dabei das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wir sollten uns zuerst einmal anschauen, ob diese Arten etwas Interessantes zu bieten haben», sagt er. «Im Allermindesten sollte man alle negativen und positiven Effekte einer Art untersuchen, bevor man entscheidet, sie zu managen oder auszurotten.» 

Der Forscher erinnert auch daran, dass sich eingeführte Arten oft in vom Menschen veränderten Lebensräumen besonders stark ausbreiten. So fand eine Studie aus Schottland letztes Jahr heraus, dass eine gesunde Baummarderpopulation das in Grossbritannien sehr invasive nordamerikanische Grauhörnchen in Schach halten kann. Fehlt der Baummarder, verdrängt das Grauhörnchen das Europäische Eichhörnchen. «Invasive Arten sind eine Konsequenz menschlicher Aktivitäten», sagt Schlaepfer. «Sie können für heimische Arten zur Ressource werden, sodass ihr Schadenspotenzial mit der Zeit abnimmt. Einfach zu sagen, alle gebietsfremden Arten seien schlecht, ist nicht recht.»