Schlangen beherrschen vier grundlegende Fortbewegungsarten. Darüber war sich die Wissenschaft bis vor Kurzem mehr oder weniger einig. Zum einen ist da die geradlinige Fortbewegung, bei der die Schlange ähnlich einer Raupe einzelne Körpersegmente anhebt und die hinteren nachzieht. Dadurch kommt sie langsam, aber pfeilgerade vorwärts. Die Serpentinen-Technik, also das klassische «Schlängeln» verwendet die Schlange, wenn der Boden rutschig ist oder es aufwärts geht. Mit seitlichen Wellen verschafft sie sich gute Bodenhaftung.

Eine Gophernatter bei der geradlinigen Fortbewegung

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Die dritte klassische Fortbewegungsart ist die Seitenwinder-Technik, bekannt von Klapperschlangen, die im heissen Wüstensand mit minimalem Bodenkontakt vorwärtsgleiten, um sich nicht zu verbrennen. Sie hinterlässt parallele, diagonale Linien im Sand als unverwechselbare Spuren. Die vierte Technik, die sogenannte Handorgel, ist eine Mischform aus den ersten beiden und wird besonders beim Klettern gerne verwendet.

Nun hat aber ein US-Forscherteam auf der Südseeinsel Guam Schlangen dabei beobachtet, wie sie eine ganz neue Fortbewegungsart anwendeten. Bei den Schlangen handelt es sich um Braune Nachtbaumnattern (Boiga irregularis), eine invasive Spezies, die seit ihrer Einschleppung Mitte des 20. Jahrhunderts eine Menge Unheil bei der einheimischen Vogelwelt angerichtet hat.

Die «Handorgel» ist eine Mischung aus Seitenwinder-Fortbewegung und Schlängeln

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Um zumindest die Vögel zu schützen, die auf Guam noch übrig bleiben, wollte das Team um Julie Savidge von der Universität Colorado untersuchen, was es braucht, um die Nattern von einem Vogelnest fernzuhalten. Eine 20 Zentimeter dicke, glatte Metallstange, so war man der Meinung, sollte den Job erledigen.

Kein Abrutschen mehr
Die nächtlichen Videoaufnahmen der Biologen sollten das Gegenteil beweisen. Zwar gelang es den Nachtbaumnattern mit den bis anhin bekannten Klettertechniken nicht, sich die Stange hochzumühen, doch dann kam das Lasso. Eine der Schlangen wickelte sich einmal um den Metallpfosten und verschränkte dann ihr Schwanzende um ihren Körper – wie ein Lasso eben. Mit diesem festen Griff konnte sie ein Abrutschen verhindern und sich in winzigen Schritten aufwärts bewegen.

Die Schlange macht das Lasso

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Enorm anstrengend sei diese Fortbewegungsart, sagen die Forscher – immer wieder habe die Schlange innehalten und tief durchatmen müssen. Aber letztlich, nach mehr als 15 Minuten, kam sie beim Vogelnest an, wo sie zwei auf Guam vom Aussterben bedrohte Karolinenstare tötete. «Das Video war ein Schock», liess sich der Biologe Tom Seibert zitieren, der Teil des Forscherteams war. «Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen.»

Für die beiden toten Stare kommt die Erkenntnis zu spät. Ihrer Art könnte ihr Tod aber immerhin geholfen haben. Zumindest kennt die Wissenschaft nun eine neue Fortbewegungsart von Schlangen – und sie weiss, dass ein 20-Zentimeter-Pfosten nicht reicht, um sie vom Klettern abzuhalten.