Würmchen baden und stundenlang warten, bis ein Fisch anbeisst. So stellt sich manch ein Laie das Fischen vor. Doch wer Philipp Sicher zusieht und zuhört, merkt rasch, dass die Anglerei weit mehr ist als eine Gedulds- und Glückssache. Sicher ist Geschäftsführer des Schweizerischen Fischerei-Verbands und steht heute an der Sarneraa, die sich durch den Obwaldner Hauptort schlängelt. «Ein Angler liest das Gewässer», sagt er und deutet auf einen Gesteinsbrocken, der mitten im Bach liegt. «Dort, hinter dem Stein, wäre ein möglicher Standort für eine Forelle oder eine Äsche.» 

Der Grund dafür liege im Verhalten dieser Fische, erklärt der dynamische Urner mit der eleganten Schirmmütze, dem man seine 66 Jahre nicht geben würde. In einem Bach stehen Fische mit dem Kopf gegen die Strömung und lauern darauf, dass etwas Fressbares angeschwemmt wird. Um dabei Energie zu sparen, suchen sie sich eine ruhige Stelle – zum Beispiel unterhalb eines grossen Steins. «Nur wer über die Lebensweise einer bestimmten Fischart Bescheid weiss, wird sie in einem Bach wie der Sarneraa fangen», sagt Sicher.

Zapfen, Grundblei und Fliegenfischen
Fischen ist anspruchsvoll und trotzdem entspannend, man muss dafür raus in die Natur. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass der Sport oder das Hobby – je nach Blickwinkel – in der Schweiz zu einer Art Massenbewegung geworden ist. Die Zahlen des Sachkundenachweises zeigen, dass es rund 150 000 aktive Angler gibt in unserem Land. Tendenz steigend. Vor allem die Anzahl der Jungfischer und der Frauen nehme zu, sagt Sicher. «Heute angeln rund 18 000 Frauen, viermal mehr als vor zehn Jahren.»

Jede Anglerin, jeder Angler sucht sich seine bevorzugte Methode aus: Am bekanntesten und verbreitetsten ist das Zapfenfischen mit Haken und Wurm, Made, Brot oder Käse. Es gibt aber auch das Grundbleifischen oder das Hegenenfischen, und neben lebendigen Ködern verwenden Angler auch Löffel, Spinner, Wobbler oder Twister. 

Und es gibt das Fliegenfischen, Philipp Sichers bevorzugte Methode. Er hat inzwischen seine selbst gefertigte, gespliesste Bambusrute bereit gemacht: die Rolle befestigt, die Schnur durch die Ringe gezogen und ans Ende einen Köder gebunden, der einer Fliege nachempfunden ist. Als er auswirft, bleibt die Fliege auf der Wasseroberfläche liegen und treibt ein paar Meter bachabwärts, bevor Sicher sie langsam wieder einholt.

Die Fliegenfischerei ist eine anspruchsvolle Art des Angelns. Nicht nur, weil die Wurftechnik Übung erfordert, sondern auch, weil es dabei besonders viel Wissen über die Biologie der Fische braucht. «Man muss wissen, welcher Fisch welche Insekten frisst, welche Insekten an welchem Gewässer vorkommen – und zu welcher Tageszeit sie sich aufs Wasser setzen, um ihre Eier abzulegen», sagt Sicher. Je nach Situation kommt eine andere Köderfliege zum Einsatz.

Pacht, Patent und Freiangelrecht
Gerade die typischen Flussfische Äsche und Bachforelle sind laut Sicher sehr scheu und äusserst wählerische Fresser. Das Egli hingegen, der beliebteste Schweizer Speisefisch, ist viel beissfreudiger. Dies, und dass es sich in Seen oft sogar unter und rund um Bootsstege aufhält, macht es  zu einem vergleichsweise einfach zu angelnden Fisch.

Schwierig kann es hingegen sein, überhaupt ein Plätzchen zu finden, an dem man angeln darf. Zwar gibt es an den grossen Seen das sogenannte Freiangelrecht: Ist das Ufer frei zugänglich, darf sich jedermann mit seiner Angelrute hinstellen und den Köder auswerfen. Ansonsten herrscht eine ziemlich unübersichtliche Situation. Manche Kantone kennen ein Patentsystem, bei dem man eine Berechtigung kaufen kann, um während einer bestimmten Zeit angeln zu gehen. Andere Kantone setzen auf ein Pachtsystem. «Dabei werden bestimmte Gewässerabschnitte an einen Verein oder eine Gruppe verpachtet», sagt Sicher. «Das schliesst all jene aus, die dort nicht Mitglied sind.»

Allerdings ist das Pachtsystem in der Regel für den Fischbestand schonender. «Wenn ein Angler einen grossen Zander fängt, verbreitet sich das in der Szene wie ein Lauffeuer», sagt Sicher. «Ist es eine Stelle, für die jeder ein Patent lösen kann, kommen am Wochenende darauf unter Umständen ganze Heerscharen.»

Beton, Gülle und Wasserkraftwerke
Wie die Jagd provoziert auch die Fischerei zuweilen heftige Reaktionen. So vor einigen Jahren, als der Fischereiverband Basel-Stadt im Rahmen des Ferienpasses Jungfischer-Schnuppertage anbot. Tierschützer stellten die Fischer als verantwortungslose Tierquäler hin, die Fische «zur Bespassung» von Kindern missbrauchten, und um diesen das Töten von Tieren beizubringen.

Dass beim Angeln Fische getötet werden, stellt Sicher nicht in Abrede. Doch er wehrt sich gegen den Vorwurf der verantwortungslosen Tierquälerei. «Es ist unsere Pflicht, den Schmerz und den Stress für das Tier auf ein Minimum zu reduzieren», sagt er. Das lasse sich durch eine gute Schulung erreichen, wie es in den Ausbildungskursen mit dem Sachkundenachweis geschehe.

Der Schweizerische Fischerei-Verband setzt sich aber längst nicht nur dafür ein, dass seine Mitglieder das Angelhandwerk seriös erlernen. Wer angeln möchte, muss sich auch darum kümmern, dass Fische genügend Lebensräume vorfinden. Und da gibt es einige Baustellen, an denen Sicher und seine Kollegen arbeiten. «Im Gebirge ist vor allem die Wasserkraft ein Problem», sagt er. Die Kraftwerke brauchen Wasser für die Stromproduktion. Das verbleibende Restwasser reicht oft nicht aus, um frischen Kies den Bachlauf hinunterzuschieben, den viele Fische zur Laichablage benötigen. 

In tieferen Lagen setzen Verunreinigungen durch Gülle, Dünger oder Pestizide den Fischen zu. Und ein genereller Mangel an Lebensraum, durch Verbetonierungen und Eindohlungen. Trotzdem ist Sicher optimistisch. Er deutet bachabwärts, wo die Sarneraa eingepfercht ist zwischen Industriegebäuden und einer bewirtschafteten Wiese. «Hier arbeiten momentan Fischer, Naturschützer, Behörden und Landwirte gemeinsam an einem Projekt, um das Flussbett zu verbreitern.» Und das sei nur eines von vielen Projekten zur Renaturierung von Fliessgewässern. «Es geht zwar langsam, aber es geht vorwärts.»

Langsam zieht Sicher nun auch seine Köderfliege aus dem Wasser. Angebissen hat heute nichts. Aber das ist egal. Denn Sicher gehört nicht zu den «Fleischfischern», wie er jene nennt, die auf möglichst grosse Fänge aus sind. Für ihn zählt anderes. «Fliegen­fischen», sagt er, «das ist für mich abschalten, die Ruhe geniessen und sich mit der Natur auseinandersetzen.»