Bäume stellen alles in den Schatten. Durch ihre Fähigkeit, das Licht in gros­ser Höhe zu erreichen, beherrschen sie die Vegetation ganzer Kontinente. Weltweit geht ihre Zahl in die Billionen. Als Grossbetriebe der Natur leisten die grünen Riesen Enormes. Sie filtern die Luft, produzieren Sauerstoff, dämmen den Lärm und schützen das Erdreich vor Erosion. Da sie Niederschläge zeitverzögert abgeben, sorgen sie obendrein für einen ausgeglichenen Wasserhaushalt. Direkt oder indirekt sind alle Lebewesen von ihnen abhängig. 

Doch Bäume sind auch bedeutende Lebensräume. Auf einer ausgewachsenen Eiche können bis zu 400 verschiedene Tierarten leben. Hirschkäfer, Eichhörnchen, Buntspecht und Blaumeise teilen sich den Baum, als wäre er ein Mehrfamilienhaus. Man könnte meinen, dass es dabei ständig zu Reibereien kommen muss. Doch die Natur hat auch hierfür eine Lösung gefunden. «Nischentrennung» lautet das Zauberwort. Damit bezeichnen Biologen den gar nicht so seltenen Fall, dass sich Tiere einen Lebensraum untereinander aufteilen. 

Besonders ausgeklügelt ist dieses Prinzip bei den Meisen. Die Schwanzmeise bevorzugt dünne Äste bei der Nahrungssuche. Dort kann sie sich als Leichtgewicht mit nur acht Gramm Gewicht gut halten. Die doppelt so schwere Kohlmeise dagegen sucht auf den dickeren Ästen nach Insekten und Samen. Und die Blaumeise bewegt sich als Mittelgewicht dazwischen. Die Tannenmeise wiederum sucht oben an den Zweigspitzen nach Nahrung, während die Weidenmeise sich dicht an den Stamm hält. Jede Meise hat ihren Platz. So vermeiden sie kraftraubende Kämpfe.

Der Kleiber klebt die Höhle zu
So friedlich geht es aber nicht immer zu. Baumhöhlen sind hart umkämpfte Luxusgüter. Nur Spechte und die Haubenmeisen sind in der Lage, sich mit ihrem Meisselschnabel eigene Bruthöhlen zu zimmern. Eine Vielzahl anderer Tiere benötigt verlassene Spechthöhlen für die Aufzucht der Jungen. Siebenschläfer und Baummarder konkurrieren dabei mit Käuzen, Hohltauben, Staren, Wendehälsen und Kleibern. 

Manche Tiere sind bei der Suche nach einer neuen Mietwohnung nicht gerade zimperlich. Der Star verjagt schon mal andere Insassen aus einer Höhle, die ihm gefällt. Gegen einen Marder hat der freche Vogel jedoch das Nachsehen. Am schlausten ist der kleine Kleiber. Er verengt die Einflugöffnung mit Lehm und Speichel und hindert andere Interessenten am Eindringen. Nur im morschen oder alten Holz können die Spechte ihre Höhlen zimmern. Da alte Bäume jedoch noch zu selten stehen gelassen werden, sind solche Baumhöhlen rar. Eine Folge war der Rückgang höhlenbrütender Tierarten. 

Da haben es die Nestbauer schon leichter. Sie benötigen lediglich eine geeignete Astgabel, um sich ein Eigenheim aufzubauen. Besonders fleissig sind die Eichhörnchen. Die kleinen Kletterkünstler bauen sich gerne mehrere Nester (Kobel). Eines für die Jungen, eines zum Schlafen und eines zum Spielen und Ausruhen. Anscheinend lieben Eichhörnchen die Abwechslung. Wenn man schon die meiste Zeit des Tages auf den Bäumen verbringt, dann zumindest mit etwas Luxus!

Wurzeln, Rinde, totes Holz
Auch den Kleintieren und Pilzen bieten die Bäume unersetzliche Lebenszonen: Ein Millionenheer von Insekten, Schnecken, Asseln und Pilzen zersetzt die am Boden liegende Laubstreu. Regenwürmer ziehen die verrotteten Pflanzenteile in das Erdreich, wo Bakterien und Pilze sie weiter aufschliessen und ihre Nährstoffe freisetzen. Von den Recyclingspezialisten und von im Boden überwinternden Insekten leben wiederum Eidechsen, Frösche und Mäuse. Auch unter der Borke und im Splintholz leben Pilze, Käfer und andere Insekten, die Tieren wie dem Specht als Nahrung dienen.

Die Wurzeln eines Baumes sind mit dem Erdreich verbunden. Sie transportieren Wasser aus dem Boden für die Photosynthese bis in die Krone. Gleichzeitig gehen die Wurzeln Symbiosen mit Pilzen und Bakterien ein. Sie geben überschüssige Nährstoffe ab und nehmen im Gegenzug nutzbare auf. Das macht den Wurzelbereich der Bäume zum idealen Wohnraum für unzählige Pilzarten, Bakterien und Insekten.

Auch die Rinde ist für zahlreiche Lebewesen von zentraler Bedeutung. Sie bietet Schutz und Nahrung. Käfer legen dort ihre Eier ab. Die Larven bohren sich ins Holz hinein und leben darin, bis sie als fertige Käfer ausfliegen. Auch diese kleinen Höhlen sind begehrt. Sie dienen nach dem Verlassen anderen Insekten oder Pilzen als Lebensraum. 

Die Blätter und Früchte von Laubbäumen wie Buchen, Kastanien, Birken und Eichen ernähren gleich ein ganzes Heer von Insekten. Von Buchenblättern leben beispielsweise Schmetterlingsraupen, Rüsselkäfer, Blattläuse, Zikaden und Milben. Sie dienen Spinnen, Florfliegen, Marienkäfern und Schwebfliegen als Nahrung, und diese sind die Opfer von Meisen und anderen kleinen Vögeln. Von den Bucheckern ernähren sich Eichhörnchen, Waldmäuse, Eichelhäher, Krähen, Fasane, Waldtauben, Kohlmeisen sowie Buch- und Bergfinken. 

Und selbst nach dem Tod sind Bäume noch unersetzlich. Nach dem Absterben eines Exemplars zersetzen Pilze und Bakterien die Biomasse so weit, dass sie als natürlicher Dünger für den Boden fungiert. Daher sollten Waldbesitzer auch nicht alles wegräumen, was umkippt, abbricht oder abstirbt.