Frau Marzec, wenn sich Menschenaffen mit Covid-19 anstecken, zeigen sie die gleichen Symptome wie Menschen?
Wir wissen sehr wenig darüber, wie sich Covid-19 bei Menschenaffen äussert. Erst kürzlich gab es die ersten bekannten Fälle einer Ansteckung: Im Zoo von San Diego fiel der Test bei mehreren Gorillas positiv aus («Tierwelt online» berichtete, Amn. d. Red.). Gemäss Zoodirektorin Lisa Peterson litten die kranken Tiere unter leichtem Husten und Verstopfung. Obwohl sie sich nun erholen, stehen sie nach wie vor unter sorgsamer Beobachtung, so dass wir hoffentlich bald mehr über den Verlauf der Krankheit wissen. Wir wissen auch, dass Menschenaffen anfällig auf andere Rhino- und Coronaviren sind, die normalerweise Menschen befallen.

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Zum Beispiel?
Zum Beispiel das humane Coronavirus HCoV-OC43, das bei Menschen und Schimpansen leichte Atemwegsbeschwerden auslöst. Es gibt aber auch Atemwegserkrankungen des Menschen, die für Schimpansen tödlich sind. Solange wir also nicht wissen, wie gefährlich Covid-19 für Primaten wirklich ist, ist es von allergrösster Wichtigkeit, dass sie sich überhaupt nicht erst anstecken.

Sind ältere Primaten oder solche mit Vorerkrankungen ähnlich wie bei uns Menschen besonders gefährdet?
In experimentellen Studien traten bei Rhesusaffen, Javaneraffen, Westlichen Grünmeerkatzen und Weissbüscheläffchen, die mit Covid-19 infiziert wurden, ähnliche Symptome wie bei Menschen auf. Zudem zeigten ältere Tiere schwerere Symptome als jüngere.

Sie sind auf Orang-Utans spezialisiert. Gibt es da schon Erkenntnisse?
Bis jetzt gibt es noch keine bestätigten Fälle von Orang-Utans, die sich mit Sars-CoV-2 infiziert haben. Da jedoch die Rezeptoren, an denen Sars-CoV-2 an der Zelle andockt, bei Menschen und Orang-Utans sowie vielen anderen Primaten sehr ähnlich sind, ist es wahrscheinlich, dass sie sich – wie auch im bekannten Fall der Gorillas – anstecken können. Wir sind speziell besorgt um die Tiere in unseren Auffangstationen, die näher zusammenleben, als sie dies in der Wildnis tun würden und mehr Kontakt zu Menschen ausgesetzt sind. Diese beiden Faktoren erhöhen natürlich das Übertragungsrisiko von Mensch zu Orang-Utan einerseits und zwischen den Tieren andererseits. Ausserdem ist bekannt, dass Orang-Utans in Gefangenschaft häufig unter Atemwegserkrankungen leiden. Es könnte bei ihnen zu Komplikationen und schweren Verläufen von Covid-19 kommen. Unser Fokus liegt deshalb darauf, die Übertragung des Virus auf die Orang-Utans in unserer Obhut zu verhindern.

Wie gefährdet sind wilde Populationen von Menschenaffen?
Es gibt nicht nur bei Orang-Utans, sondern auch bei anderen Menschenaffen bisher keine Beobachtungen von Covid-19-Infektionen in wilden Populationen. Trotzdem sind die Primaten uns genetisch so ähnlich, dass sie auf ähnliche Krankheiten anfällig sind. Bei einigen Schimpansen-Populationen in Tansania sind humane Atemwegserkrankungen wie bereits erwähnt eine der häufigsten Todesursachen. Afrikanische Menschenaffen leben in Gruppen und leiden daher häufiger an Infektionskrankheiten als Orang-Utans, die bis auf Mütter mit ihren Jungtieren grösstenteils Einzelgänger sind. Langzeitstudien aus Borneo geben bis jetzt keinerlei Hinweise auf verbreitete Infektionskrankheiten. Da Orang-Utans zudem den grössten Teil ihrer Zeit hoch oben in den Bäumen verbringen und nicht am Boden wie andere Menschenaffen, sind sie auch weniger gefährdet, sich bei Menschen mit Corona anzustecken. Zu viele Faktoren sind aber noch unbekannt, weshalb eine wirkungsvolle Prävention entscheidend ist.

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Wie kann dies erreicht werden?
Der Schlüssel liegt darin, den Kontakt zwischen wildlebenden Primaten und Menschen zu reduzieren. Touristen ist es zurzeit vielerorts nicht erlaubt, Menschenaffen in der Natur oder in Gefangenschaft zu besuchen, Forschungsprojekte limitieren direkte Interaktionen und überwachen stattdessen die Gesundheit der Tiere und die Auswilderung von rehabilitierten Orang-Utans wurde vorübergehend gestoppt.

Was wird sonst noch getan?
In unseren BOS-Auffangstationen wurden die Hygienemassnahmen verschärft, um die Verbreitung von Covid-19 zu verhindern. Dazu gehören unter anderem regelmässige Schnelltests und tägliches Temperaturmessen der Mitarbeitenden und das Reduzieren des Kontakts zwischen Pflegerinnen und Pflegern mit den Tieren auf ein Minimum. Orang-Utans, die schon an den Atemwegen erkrankt sind, werden speziell geschützt. In Gebieten, wo wilde Orang-Utans mit Menschen zusammenleben, arbeiten wir mit der lokalen Bevölkerung zusammen in der Entwicklung von Hygienemassnahmen, um damit nicht nur die Menschen, sondern auch die Primaten zu schützen. Auch unsere Projekte dürfen zurzeit von Touristinnen und Touristen nicht besucht werden.

Reisebeschränkungen und weniger Tourismus könnten aber doch zu vermehrter Wilderei führen.
Die Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass die Armut in der lokalen Bevölkerung gestiegen ist. Das kann in der Tat zu illegalen Aktivitäten wie Wildern führen. Wilderei und der illegale Wildtierhandel gehören sowieso zu den grössten Bedrohungen für Orang-Utans, zusammen mit Lebensraumverlust durch Abholzung und Brandrodung. Diese Bedrohungen bleiben bestehen, unabhängig von Einschränkungen aufgrund der Pandemie. Es ist deshalb wichtig, das Monitoring fortzuführen und in den Forschungsgebieten präsent zu bleiben und damit zu helfen, den Wald und seine Bewohner zu schützen.

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Umgekehrt bedeuten Einschränkungen für Menschen auch weniger Gesundheitsrisiken für Primaten.
Genau! Je weniger Kontakt zwischen Mensch und Tier, desto besser stehen unsere Chancen, wilde Primaten und solche in Gefangenschaft vor dem Virus zu schützen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass auch die lokale Bevölkerung und der Naturschutz von den Einnahmen aus dem Tourismus profitieren. Auch unsere Rettungsstationen standen vor finanziellen und logistischen Herausforderungen, als die Preise für Schutzausrüstung wie Handschuhe, Masken und Desinfektionsmittel aufgrund grosser Nachfrage durch die Decke gingen.

Glauben Sie, dass die Menschheit aus dieser Pandemie etwas lernen und in Zukunft besser auf die Natur Acht geben wird?
Wir haben nun alle gesehen, wie gefährlich Zoonosen sind, also Krankheiten, die von wilden Tieren auf Menschen übertragen werden. Und wir alle kennen den Grund für ihr Auftreten: Wir nehmen diesen Tieren ihren natürlichen Lebensraum. So kommen sie mit uns in Kontakt und mit ihnen die Krankheiten, die sie in sich tragen. Das zeigt uns doch, dass unsere Taten Konsequenzen haben. Dass Biodiversitätsverlust, Klimawandel und Umweltzerstörung unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden beeinträchtigen. Wir haben aber auch gesehen, wie mächtig unser Wissen und unsere Technologien sind und in welch kurzer Zeit sie Lösungen schaffen können. Wenn wir beginnen, diese Energie und Ressourcen in die grundlegenden Ursachen der Pandemie zu stecken und nicht nur in die Bekämpfung von deren Auswirkungen, dann gibt es Hoffnung.

Welche Hoffnung gibt es denn für Orang-Utans, Gorillas und Schimpansen nach der Pandemie?
Auch für sie besteht Hoffnung. Wir müssen aber unbedingt anerkennen, dass die Situation kritisch ist und wir dringend viel mehr unternehmen müssen, um den Verlust der Biodiversität zu stoppen. Alle Menschenaffen, darunter die drei Orang-Utan-Arten, sind vom Aussterben bedroht. Sie werden aus ihrem Lebensraum vertrieben, illegal als Haustiere gehalten oder zur Unterhaltung missbraucht. Die immer kleiner werdenden Bestände bedrohter Arten wirken sich negativ auf die Umwelt aus, denn alle von ihnen spielen eine einzigartige und wichtige Rolle in ihren Ökosystemen. Wir erfahren gerade einige dieser negativen Auswirkungen am eigenen Leib. Das sollte für uns alle ein Weckruf sein.