Frau Hindenlang, im Sommer wurde das 300. Przewalski-Pferd, auch Takhi genannt, im Schutzgebiet «Great Gobi B» in der Mongolei gezählt. Ein Freudentag für Sie?
Ja, sicher! Es ist gelungen, eine Tierart zurück in die Wildnis zu bringen, in ihren angestammten Lebensraum in der Mongolei. Dies, nachdem sie als ausgestorben galt, 90 Jahre nach ihrer Entdeckung Mitte des letzten Jahrhunderts. Bei diesem professionell begleiteten Wiederansiedlungsprojekt war viel Pionierarbeit notwendig. Verschiedene europäische Institutionen haben dazu einen wichtigen Beitrag geleistet.

Wie kam es, dass der Bestand derart dezimiert wurde?
Einerseits wurden die Tiere stark bejagt. Wie in anderen Gebieten der Welt drang der Mensch auch in der Mongolei immer weiter in die natürlichen Lebensräume der Wildtiere vor. Die Konkurrenz zwischen Wildtieren und Nutztieren spitzte sich dadurch zu – die Konkurrenz um Lebensraum und Wasser.

Was macht die Przewalski-Pferde aus?  
Das Przewalski-Pferd ist eine charismatische, genügsame Tierart. Diese Pferde sind optimal an ihren rauen Lebensraum angepasst. Ich finde es faszinierend, wie sie es dadurch geschafft haben, ohne weitere menschliche Betreuung in ihrer natürlichen Umgebung wieder Fuss zu fassen. Das, nachdem sie in den Zoos gezüchtet worden waren und dadurch die letzten Tiere erhalten blieben.

Welchen Bezug haben Sie generell zu Pferden?
Ich habe in meiner Jugend mit Pferden gearbeitet, später mit Hunden. Ich war lange Zeit aktive Pferdesportlerin. Es besteht also durchaus eine Verbindung. Das Faszinierende an den Takhis ist, dass sie bis heute Wildtiere geblieben sind. Sie lassen sich nicht zähmen. Das Przewalski-Pferd ist ein Symbol für Weite, Unzähmbarkeit und Freiheit. Diese Sehnsucht tragen wir alle in uns.

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Haben Sie sich bereits während Ihres Studiums mit dem Gedanken befasst, dereinst Przewalski-Pferde zu betreuen?
(lacht) Nein, genauso wenig, wie ich mir geträumt hätte, einmal als Zoologin einen Tierpark zu leiten. Ich sah mich stets vielmehr als Forscherin, welche sich auf die Suche nach den letzten Tasmanischen Tigern macht oder in Europa Wölfen und Bären nachspürt.

Wie ist das Engagement des Wildparks für die Przewalski-Pferde zustande gekommen?
Moderne Tierparks und Zoos engagieren sich weltweit in Naturschutz- und Artenschutzprojekten und kümmern sich damit um den Erhalt von bedrohten Tierarten. Sie halten Tiere nicht bloss zur Freude der Besucher. Auch der Wildnispark Zürich engagiert sich auf verschiedenen Ebenen. Im Tierpark Langenberg halten wir einheimische Wildtiere. Unser grösstes Naturschutzprojekt ist der Naturerlebnispark Sihlwald vor unserer Haustüre, der sich als Naturwald und Wildnisgebiet frei entwickeln kann, Wildtieren einen naturnahen Lebensraum bietet und auch ein spannendes Forschungsgebiet ist. Przewalski-Pferde halten und züchten wir seit 1987 im Tierpark Langenberg und engagieren uns seit Beginn zusammen mit der International Takhi Group (ITG) für ihre Wiederansiedlung in der Mongolei.

Wie hat dieses Engagement begonnen?
Am Anfang standen – wie bei vielen solchen Projekten – engagierte Menschen, die für ihre Idee viel Leidenschaft aufbringen. Bei der Wiederansiedlung der Przewalski-Pferde waren dies Christian Oswald und Jean-Pierre Siegfried (von der ITG International Takhi-Group, Anm. der Red.). Sie organisierten ab 1992 die ersten Transporte aus der Schweiz in die Mongolei. Bald hatte der damalige Leiter des Langenbergs Christian Stauffer auch Feuer gefangen.

Wie sieht es heute aus?
Heute werden die Tiere in verschiedenen europäischen Zoos im Rahmen eines Erhaltungszuchtprogrammes gezüchtet, an dem wir ebenfalls beteiligt sind. Eine tragende Rolle für den Erfolg des Wiederansiedlungsprojektes spielte die ITG, die seit 1999 an dem Projekt mitarbeitet. Sie setzt sich an Ort in der Mongolischen «Great Gobi B» für den Schutz dieser Pferde und ihres Lebensraumes ein. Dabei arbeitet sie eng mit der mongolischen Regierung zusammen. Der Wildnispark Zürich ist Sitz und Mitglied der ITG.

Video-Beitrag über Thakis

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Was gab es da zu tun?
Am Ort der Wiederansiedlung braucht es neben dem geeigneten Lebensraum zu Beginn auch Infrastruktur und Betreuung. Es reicht nicht, die Pferde einfach mit dem Flugzeug ins Zielgebiet zu transportieren und dort frei zu lassen. Vielmehr müssen sie in sogenannten Auswilderungsgehegen zuerst an ihren neuen Lebensraum angewöhnt werden. Im Langenberg haben wir die für die Transporte ausgewählten Tiere aus verschiedenen Herkunftsorten vorgängig zusammengeführt und als Gruppe aneinander gewöhnt.

Wie bereiten Sie die Thakis auf die Herausforderungen eines Lebens in der freien Wildbahn vor?
Grundsätzlich sind Zoos und Tierparks bestrebt, die Tiere möglichst gemäss ihrem natürlichen Verhalten und ihren Ansprüchen zu halten. Wir füttern sie zum Beispiel nur mit Futter, das sie wirklich brauchen. Im Falle der Przewalski-Pferde ist es nicht sehr reichhaltig. Bevor man einzelne Tiere auswildert, werden sie untersucht. Nur gesunde Tiere werden ausgewildert. Zudem prüfen wir die Zusammensetzung der Gruppe, auch in genetischer Hinsicht. Das erwähnte Erhaltungszuchtprogramm ist zuständig für die Frage, welche Tiere in den beteiligten Institutionen miteinander verpaart werden, damit die genetische Vielfalt innerhalb der Population möglichst gross ist.

Was geschieht dort mit ihnen?
Zunächst kommen die Tiere im Auswilderungsgebiet in ein Angewöhnungsgehege, in dem sie sorgfältig überwacht und auch gefüttert werden. Hier können sich die Tiere ans Klima und an die Witterung gewöhnen, bevor man die Zäune öffnet und sie in die freie Wildbahn entlässt.

Wie viele Tiere wurden schon ausgewildert?
Seit 1992 wurden aus Europa über 90 Tiere in die Mongolei entlassen. Wie viele dabei aus unserem Tierpark stammen, ist schwer zu sagen, weil sie ja nicht uns, sondern dem Erhaltungszuchtprogramm gehören. Zudem hatten wir über viele Jahre hinweg Tiere aus verschiedenen Zoos bei uns, die dann weiter transportiert wurden. Nicht alle überlebten in der freien Wildbahn. In diesem Sommer wurde im «Great Gobi B»-Schutzgebiet, einem Naturschutzgebiet in der Mongolei am Rand der Wüste Gobi, das 300. Przewalski-Pferd gezählt, die Population scheint in dieser Grösse langfristig gesichert. Das ist ein wichtiger Erfolgsausweis eines Wiederansiedlungsprojektes.

Heisst das, dass es nicht mehr notwendig ist, unzählige weitere Tiere in die Mongolei zu bringen?
Heute geht es tatsächlich vor allem darum, den Lebensraum der Thakis vor Ort zu schützen und die gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen für ihr langfristiges Überleben zu schaffen. Mit der Vergrösserung des heute über 18'000 Quadratkilometer grossen «Great Gobi B»-Schutzgebiets wurde ein wichtiger Schritt erreicht. Die Fläche des streng geschützten Gebietes konnte seit den 1990er-Jahren verdoppelt werden. Wichtig ist es aber auch, mit der ansässigen Bevölkerung das Gespräch zu suchen. Die Menschen vor Ort stehen den Przewalski-Pferden grundsätzlich sehr positiv gegenüber, sie benötigen jedoch auch Weideland für ihre Nutztiere. Es braucht ökonomische Perspektiven, sei es im Rahmen von Tourismusprojekten oder Einkommensmöglichkeiten im Schutzprojekt selber, wie zum Beispiel als Ranger.

Beitrag über die Auswilderung von Thakis aus der «faz»

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Zahlreiche Institutionen spannen beim Zuchtprogramm zusammen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit unter den Zoos?
Es gibt einen Zuchtbuchführer, der momentan im Zoo von Prag beheimatet ist. Diese Person hat den Überblick über alle Tiere im Erhaltungszuchtprogramm und macht Vorschläge, welche Tiere in den einzelnen Zoos zusammengeführt und miteinander verpaart werden sollen, damit die genetische Diversität in der gesamten Zuchtpopulation möglichst gross bleibt. Wir haben im Langenberg zum Beispiel seit einem Jahr einen neuen Hengst aus einem Zoo in Deutschland, der optimal zu unseren Stuten passt und dessen Nachkommen für die Erhaltungszucht wertvoll sind.

Welches sind die nächsten Aufgaben des Schutzprojektes?
Die Takhi-Population im Schutzgebiet «Great Gobi B» ist wieder gross genug, dass sie sich weiter ausbreiten kann. Deshalb ist es wichtig, gemeinsam mit den zuständigen Regierungen ökologische Korridore zu schaffen: etwa zwischen den Schutzgebieten «Great Gobi A», «Great Gobi B» sowie den Reservaten im nordwestlichen China. Dadurch können sich die Populationen austauschen. Eine wichtige Rolle spielt aber auch die Überwachung der Tiere, Forschung und Monitoring.

Weshalb ist das so wichtig?
Man kann Tiere immer nur so gut schützen, wie man über sie Bescheid weiss und den Zustand des Bestandes kennt. Mit anderen Worten, es geht um Netzwerke – zwischen den Tieren, aber auch zwischen den existierenden Projekten, die zusammenarbeiten sollen. Und natürlich um das Netzwerk mit der lokalen Bevölkerung, die übrigens sehr stolz ist auf das Takhi. Es wird in der Mongolei als heiliges Tier verehrt. Umso wichtiger ist es dafür einzustehen, dass ihnen der Schutz dieser Tierart auch Vorteile bringt.    

Weitere Informationen zum Schutzprogramm