Im März kommt der Frühling – und das muss gefeiert werden. Das finden zumindest die Fischer von Muralto, einer kleinen Nachbargemeinde Locarnos. Immer am zweiten Sonntag dieses Monats laden sie zur traditionellen «Sagra del pesce», einem grossen Fischfest. Seit über 60 Jahren wird es von rund 50 Hobby-Fischern der Vereinigung Sant’Andrea organisiert.

In aller Herrgottsfrüh, um 6.30 Uhr, stechen die Fischer mit ihren Booten in den Lago Maggiore und tragen ihre Angelwettbewerbe für Berufs- und Hobbyfischer aus. Kurz nach 10 Uhr brutzeln dann bereits die ersten kleinen Fische zum Aperitif im heissen Öl – der Auftakt zu einem Volksfest mit vielen lokalen Fischspezialitäten, mit Polenta, Gorgonzola und Tessiner Weinen. «Wir wollen mit diesem Fest der Bevölkerung für ihre Unterstützung zum Erhalt des Fischbestandes in unseren Seen danken», sagt Ivan Pedrazzi, der Präsident des Vereins Sant’Andrea.

In der Tat trägt die hiesige Bevölkerung wesentlich dazu bei, dem Fischbestand im Lago Maggiore das Überleben zu sichern. Und zwar mit alten Christbäumen: Andernorts werden abgeschmückte Weihnachtsbäume zur Entsorgung an die Strasse gestellt und enden als Sperrgut oder Brennholz. Nicht so in Locarno und Umgebung. Hier stellt die Bevölkerung den Fischern ihre ausgemusterten Weihnachtsbäume zur Verfügung. Sporttaucher versenken die dürren Tannen dann im See, wo sie den Egli hervorragende Laichplätze bieten.

15 Kilometer lange Laichinseln
Ende Februar war es wieder Zeit für die einmalige Baumentsorgungsaktion, denn Ende März beginnt die Laichzeit der Egli. «Buon Natale!» ruft ein Witzbold einer Gruppe von Männern zu, die von einem kleinen Ledischiff  (ein Frachtschiff) in der Bucht von Locarno Tannenbäumchen ins Wasser werfen. In aufwendiger Arbeit befestigen die Sporttaucher des Vereins Sub Muralto die rund 1000 ausgedienten Weihnachtsbäume, die diesmal zusammengekommen sind, an Ketten am Seegrund.

Dabei spielen die Tiefe und der Abstand zum Ufer eine wesentliche Rolle, denn es gilt, dem Lebensraum und der bevorzugten Wassertiefe der Fische möglichst nahezukommen. Die Taucher versenken die Bäume deshalb rund 20 Meter vom Ufer entfernt in einer Tiefe von fünf bis acht Metern, binden sie im Abstand von einem Meter an eine 40 bis 100 Meter lange Eisenkette, welche ihrerseits mit Betonblöcken am Seegrund verankert ist. Somit entstehen auf der 15 Kilometer langen Strecke von Tenero bis Brissago eigentliche Laichinseln, die nun von den Egli zum Ablaichen benutzt werden können. Die Fische wickeln ihren Laich um die Tannli herum, fast wie das Lametta, das Wochen zuvor noch von seinen Ästen hing.

Die genauen Koordinaten dieser «Unterwasser-Weihnachtsbaum-Wälder» führen die Hobbyfischer in einer Karte auf, sodass sich die Berufsfischer beim Auswerfen ihrer Netze daran orientieren und diese Laichplätze meiden können. Für ortsunkundige Hobbyfischer haben die von der Wasseroberfläche kaum erkennbaren und ufernahen «stacheligen Laichhilfen» ihre Tücken, denn manch einer verfängt sich mit seinen Angelhaken oder Kunstködern in diesem Unterwasser-Geäst. So gesehen sind die Weihnachtsbäume nicht nur Laichhilfen für Egli, sondern auch Ködergräber für Hobbyfischer.

20 000 Franken teure Aktion
«Früher dienten die natürlichen Ufer mit Schilf und anderen Wasser- und Unterwasserpflanzen den Egli als Laichgründe», sagt der 62-jährige Hobbyfischer Pedrazzi. Und auch Schwemmholz sei den Fischen entgegengekommen. Es saugte sich an der Oberfläche zunächst mit Wasser voll, sank dann auf den Seegrund und konnte schluss­endlich von den Fischen als Laichablage benützt werden. «Heute sind jedoch nur noch sehr wenige Ufergebiete am Golf von Locarno in ihrem natürlichen Zustand, der Rest ist verbaut.» Und Schwemmholz werde im Interesse der Sicherheit der Schifffahrt aus dem Wasser gezogen, lange bevor es sich vollsaugen und auf den Grund absinken könne.

Schon seit vielen Jahren bieten die Hobbyfischer deshalb den Fischen künstliche Laichhilfen an. Ursprünglich waren es rund drei Meter lange Holzbündel aus Platanenästen, die sie im See versenkten. Doch die regelmässigen Entleerungen der Stauseen Luzzone im Bleniotal und Palagnedra im Centovalli spülen jeweils Unmengen von Schlick in den See, der die um diese Holzbündel gewickelten Laichschnüre erstickt.

So suchten die Fischer nach einer Alternative und fanden sie in ausgedienten Christbäumen, die sie nun schon seit 30 Jahren anstelle der Plantanenäste versenken. Die an den Eisenketten befestigten Baumstämme können dem Wellengang folgen, verschlicken nicht mehr und der Laich überlebt. «Würden wir diese Hilfe mit den Weihnachtsbäumen nicht leisten, würden 90 Prozent des Laichs in der Bucht von Locarno sterben», sagt Ivan Pedrazzi. Die spätweihnächtliche Rettungsaktion hat aber ihren Preis: 15 000 bis 20 000 Franken kostet sie jedes Jahr, dazu steuert der Fischerverein Sant’Andrea die Hälfte aus dem Erlös des Fischfestes von Mu­ralto bei, die andere Hälfte übernimmt der Kanton.

Neben dem weitverbreiteten Egli leben im Kanton Tessin 18 Warmwasser-Fischarten, die nur südlich der Alpen vorkommen. Dass die Alpen eine Barriere bilden für viele Fischarten, ist zurückzuführen auf zyklische Klimaänderungen in den vergangenen 2,5 Millionen Jahren, bei denen sich in den eisfreien Regionen im Süden Restpopulationen dieser Warmwasserarten erhalten konnten.

Beispiele dafür sind  die Savetta (auch Italienischer Näsling) und der Pigo (auch Frauennerfling), die laut Forschungsergebnissen zehn Millionen Jahre alt sind. Die vom Aussterben bedrohte Savetta kommt in der Schweiz nur noch im Luganersee, im Lago Maggiore sowie im Fluss Ticino und dessen Auensystem, den Bolle di Magadino, vor. Die Alborella hingegen, ein fetthaltiger Heringfisch, ist kaum bedroht und als frittierte Leckerei fester Bestandteil aller Fischfeste im Tessin, so auch an jenem in Muralto. 

Sagra del pesce, Piazzale Burbaglio, Muralto TI. Sonntag, 8. März, ab 10 Uhr.

Die Tessiner Fischfeste und das Fischereimuseum
Fischfeste werden im Tessin nicht nur in Muralto gefeiert, sondern Anfang Juni auch in Brissago und vor allem am Montag, 29. Juni, in Caslano. Dann begeht im rund zehn Kilometer südlich von Lugano liegenden einstigen Fischerdorf die Bevölkerung den Feiertag San Pietro e Paolo mit einem Fischfest, weil der Fisch ein altes christliches Symbol ist.

Caslano beherbergt auch das einzige Fischereimuseum des Kantons Tessin. Das 1993 ins Leben gerufene Museo della pesca wurde vor fünf Jahren renoviert und neu eröffnet. Die Ausstellung führt durch die Welt der Fischerei, von der Urgeschichte bis in die heutige Zeit, und behandelt unter anderem den Bootsbau, den Fischhandel, die Herstellung von Fischernetzen, die Fischarten und antike Fischereitechniken. Vor dem Museum beginnt ein schöner Rundgang am Seeufer entlang um den Monte Caslano.

Museo della pesca, Caslano:
Öffnungszeiten: 24. März bis 31. Oktober
Jeweils Dienstag-, Donnerstag-, und Sonntagnachmittag
www.museodellapesca.ch