Wie ein Pfadfinder schlägt sich Sylvain Dubey durchs Gesträuch. Blumen, Gräser und Büsche bedrängen den schmalen Weg von beiden Seiten. «Attention, hier ist es wacklig», warnt er, überquert flink eine völlig zugewachsene Stelle und steht vor zwei Teichen, deren Wasser vor lauter Grün kaum zu sehen ist.

Der braungebrannte, durchtrainierte Mann kennt hier jede Unebenheit, jeden losen Stein, jede morsche Holzplanke. Und natürlich jeden Teich: die zwei, vor denen er nun steht, und noch etwa zehn weitere. Schliesslich hat er sie einst selbst gebaut. Im Garten seiner Eltern, auf einem Grundstück in der Waadtländer Gemeinde Allaman, keine 50 Meter entfernt vom Ufer des Genfersees.

Fische würde man allerdings vergeblich suchen in Dubeys Weihern, zumal von diesen manche kaum grösser sind als eine Feuerschale und in heissen Sommern schon mal austrocknen. Nein, Dubeys Leidenschaft sind Frösche, Kröten, Molche. Den Amphibien hat er hier ein privates Schutzgebiet gebaut.

Das kommt nicht von ungefähr: Sylvain Dubey ist einer der profiliertesten Amphibienforscher des Landes. Der 39-Jährige lehrt als Privatdozent an der Universität Lausanne und arbeitet beim schweizweit tätigen Ökobüro Hintermann & Weber. In der Fachwelt einen Namen gemacht hat er sich vor allem durch genetische Untersuchungen von Amphibien und Reptilien. Untersuchungen, die Erschreckendes zutage förderten.

Grünschwarz und gewitzt
Dubey eilt bereits weiter durch den Garten. In einem Teich sitzt ruhig ein grünschwarzer Frosch. «Das ist einer», sagt Dubey, «aber dort hinten sind noch mehr.» Er betritt einen Teil des Gartens, in dem mehrere kleinere Tümpel nebeneinanderliegen. Ein Frosch taucht schnell ab, bevor der Forscher ihn packen kann. Dubey lässt das Tier in Ruhe und tritt ins Gehege von zwei mächtigen Schildkröten. Dort, am Rand eines Tümpelchens, sonnt sich ein anderer Grünschwarzer. Dubey nähert sich vorsichtig, greift zu, hat das Tier – doch da windet es sich aus seiner Hand und hüpft rasch ins Unterholz.

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Amphibienforscher Sylvain Dubey hat im Garten seiner Eltern ein privates
Schutzgebiet für Frösche, Kröten und Molche gebaut.
Bild: Adrian Baer

Dann eben ohne Anschauungsunterricht. Die grünschwarzen Frösche sind ohnehin Meister der Tarnung und Täuschung. Jahrzehntelang haben sie sämtliche Schweizer Amphibienspezialisten an der Nase herumgeführt, ihnen ihre wahre Identität verschleiert. Jahrzehntelang galten diese Frösche als waschechte Schweizer. Man teilte sie in zwei Arten ein, den Kleinen Wasserfrosch und den Teichfrosch, wobei der Erste etwas kleiner ist und der Zweite ein Bastard, den es nur wegen einer eingeschleppten Art gibt.

Eingeschleppt zu Speisezwecken
Vor ungefähr 100 Jahren begann nämlich die Globalisierung in der Froschschenkel-Industrie. Immer öfter wurden sogenannte Seefrösche zum Verzehr in die Schweiz importiert und zum Teil auch freigesetzt, grosse Frösche, die mit dem Kleinen Wasserfrosch eng verwandt sind. So verwandt, dass sie sich mit ihm paaren können. Aus solchen Paarungen entsteht der Teichfrosch. Allerdings ist es eine ungleiche Heirat: Produziert ein Teichfrosch Ei- und Samenzellen, wird das Erbgut des Kleinen Wasserfrosches zerstört, es bleibt ausschliesslich dasjenige des Seefroschs.

Weil Paarungen zwischen zwei Teichfröschen unfruchtbare Nachkommen ergeben, müssen Teichfrösche versuchen, sich mit Kleinen Wasserfröschen zu kreuzen. Für die allerdings ist das ein Verlustgeschäft: Es entstehen wiederum Teichfrösche, die nur das Erbgut des Seefrosches weitergeben.

Der Seefrosch sei aber vor allem aus einem anderen Grund eine Bedrohung für die einheimischen Wasserfrösche, sagt Dubey. «Er ist viel grösser und er hat weniger grosse Ansprüche an den Lebensraum.» Die Grösse macht ihn zu einem überlegenen Räuber, der junge Frösche en masse frisst – und daneben sogar dann und wann ein Vogelküken. Seine Anspruchslosigkeit äussert sich darin, dass er im Gegensatz zu Teich- und Wasserfrosch im Wasser überwintert. «Dadurch kann er sich auch in Gebieten halten, in denen nur ein Tümpel vorhanden ist, aber kein Wald, kein Asthaufen in der Nähe», sagt Dubey. Der Seefrosch hat auf diese Weise die beiden einheimischen Wasserfrösche vor allem in der Westschweiz vielerorts verdrängt.

So weit, so kompliziert. In aktuellen Studien hat Dubey gemeinsam mit Kollegen der Uni Lausanne allerdings herausgefunden, dass die Situation rund um die Wasserfrösche noch weitaus unübersichtlicher ist. Die Forscher untersuchten das Erbgut von Kleinen Wasserfröschen, Teichfröschen und Seefröschen von diversen Standorten in der Deutsch- und in der Westschweiz.

Invasion im Tarnmantel
Es zeigte sich, dass nicht nur der Seefrosch in die Schweiz eingeschleppt worden ist, sondern auch eine ganze Reihe weiterer, sehr ähnlicher Arten. «Sie stammen beispielsweise aus Griechenland und aus der Türkei», sagt Dubey. Weil sich diese Arten alle miteinander paaren können, besteht die Seefrosch-Population in der Schweiz heute aus den verschiedensten Kreuzungen. «Es ist alles durcheinandergemixt», sagt Dubey. Es sei zu befürchten, dass dieser Mix die Seefrösche noch stärker mache. «Das wäre wiederum schlecht für die einheimischen Wasserfrösche.»

Bei ihren Gentests stiessen die Forscher noch auf ein weiteres, völlig unerwartetes Resultat: Der Kleine Wasserfrosch ist gar kein Kleiner Wasserfrosch mehr. «Er ist praktisch überall in der Schweiz von einem aus Italien eingeschleppten Vetter verdrängt worden, dem Italienischen Wasserfrosch», sagt Dubey. Diese Verdrängung erfolgte auf eine äusserst perfide Weise: Vereinfacht gesagt, paarten sich die Eindringlinge mit einheimischen Kleinen Wasserfröschen, sorgten aber dafür, dass deren Gene nach und nach aus den entstehenden Kreuzungen eliminiert wurden. «Genetische Verseuchung», nennt Dubey diesen Vorgang.

Untersuchungen von Museumsexemplaren zeigten, dass der Italienische Wasserfrosch schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Schweiz gekommen sein muss. «Weil er so ähnlich aussieht wie unser Kleiner Wasserfrosch, hat die ganzen Jahre über niemand gemerkt, dass er diesen verdrängt hat», sagt Dubey.

Und die Frösche in seinen Teichen? «Italiener», sagt Dubey, «ich habe sie untersucht.» Nur gerade zwei unvermischte Populationen des Kleinen Wasserfrosches hat er in der Schweiz gefunden. Die eine liegt im Vallée de Joux im Waadtländer Jura, die andere im Tessin, ganz in der Nähe der natürlichen Lebensräume des Italienischen Wasserfroschs.

Ausrotten ist unmöglich
Bei beiden dieser Bestände handle es sich um etwas ganz Spezielles, sagt Dubey. Und jener im Vallée de Joux bestehe gerade noch aus etwa 60 Tieren, die in einem einzigen Teich lebten. Sie unterscheiden sich vom Aussehen her deutlich von den Hybriden der übrigen Schweiz. «Es sind keine grünschwarzen, sondern bräunliche Frösche», sagt er. Und Untersuchungen zeigten, dass sie auch mit Teichfrosch-Populationen aus Frankreich seit sehr langer Zeit keinen Gen-Austausch mehr gehabt hätten. Ein Minibestand also, der vielleicht auf dem Weg ist, sich zu einer eigenständigen Art zu entwickeln.

Was tun? Müsste man versuchen, die Wasserfrosch-Hybriden auszurotten? Dubey zuckt mit den Schultern. Das würde nicht gelingen, sagt er. «Sie sind ja überall.» Benedikt Schmidt, ein Amphibienforscher an der Universität Zürich und bei der Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz (karch), pflichtet ihm bei. «Es ist wohl unmöglich, die Bestände zu eliminieren, ohne auch einheimische Arten zu gefährden», sagt er. Die wichtigste Massnahme dünke ihn, eine weitere Verschleppung und Einfuhr von invasiven Arten zu verhindern – und natürlich die «letzten Mohikaner» zu erhalten.

Das findet auch Dubey: «Wir sollten nicht allzu viel Geld in die Förderung dieser Hybriden im Mittelland stecken. Stattdessen müssten möglichst viele Mittel in die Erhaltung der beiden reinen Populationen fliessen.» Gerade im Vallée de Joux dränge die Zeit. Aus Dubeys Sicht wäre es dringend nötig, dort einen zweiten Weiher zu bauen, um den Lebensraum dieser Tiere zu vergrössern. «Denn wenn der Teich verschmutzt wird, verlieren wir vielleicht auf einen Schlag die gesamte Population.» Es wäre die Hälfte dessen, was die Schweiz noch besitzt an einem Tier, das eigentlich als eine der bekanntesten heimischen Froscharten gilt.