Mittelmeermöwen brüten gerne in Kolonien. Dies bringt unter anderem einen besseren Schutz vor Feinden. Nähert sich ein Räuber, stossen die Vögel Warnrufe aus, so dass alle in der Kolonie gewappnet sind und sich entsprechend auf die Verteidigung einstellen können. Und dieser Schutz schliesst wirklich alle in der Kolonie mit ein – nicht nur die herumfliegenden Altvögel, sondern auch ihre in den Eiern heranwachsenden Babys. 

Diese nämlich können in der letzten Woche vor dem Schlüpfen schon hören und somit entegehen ihnen auch Warnrufe nicht. Das führt zu einer Reihe von Veränderungen im Embryo, schreiben die spanischen Forscher José Noguera und Alberto Velando von der Universität Vigo im Fachjournal «Nature Ecology & Evolution». Die Veränderungen sind einerseits physiologischer Natur: So stellten die Forscher höhere Werte von Stresshormonen und Veränderungen in der DNA fest, die zu Veränderungen in der Genexpression führen. 

So klingen die Warnrufe der Mittelmeermöwen (Audio: João Tomás):

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Die Warnrufe bringen die Embryos aber auch dazu, sich im Ei mehr zu bewegen und damit das Ei zum Vibrieren zu bringen. Diese Vibrationen werden im Gelege von Ei zu Ei weitergegeben. In einem Experiment zeigten Noguera und Velando, dass Eier, die zuvor Warnrufe gehört hatten, auf diese Weise Informationen transferieren. Jedes Ei, das mit einem vibrierenden Ei in Kontakt kommt, fängt selber an zu vibrieren.

Als die Möwenküken schliesslich schlüpften, wiesen alle dieselben physiologischen Anpassungen vor – auch diejenigen, welche die Rufe nicht gehört hatten. Sie hatten die Information also von ihren Geschwistern bekommen. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass auch diejenigen Embryos aus dem Gelege die wichtige Information erhalten, deren Hörvermögen noch nicht so gut ausgebildet ist.

Startvorteil für kleine Möwen
Die physiologischen Anpassungen bringen den Vögelchen einen Vorteil, wenn Räuber anwesend sind. Sie verhalten sich vor und nach dem Schlüpfen ruhiger und piepsen viel weniger. Ausserdem können sie sich schneller ducken als Artgenossen aus Gelegen, bei denen kein Ei irgendwelchen Warnrufen ausgesetzt war. Dafür zahlen sie aber einen Preis: Die erhöhten Stresshormonwerte sorgen dafür, dass sie weniger schnell wachsen.

Mittelmeeemöwen schlüpfen aus dem Ei (Video: George Konstantinou – Cyprus Wildlife Tours):

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Obwohl solch eine Kommunikation von Embryo zu Embryo laut den Forschern in dieser Studie zum ersten Mal festgestellt wurde, glauben die Beiden, dass sie es mit einem «weit verbreiteten Phänomen durch taxonomische Gruppen hindurch» zu tun haben. Als Nächstes wollen sie herausfinden, ob auch andere Informationen wie schlechte Umweltbedingungen weitergegeben werden können.

Vom Mittelmeer in die Schweiz
Mittelmeermöwen werden übrigens auch in der Schweiz mehr und mehr heimisch. Als ausgesprochene Generalisten und Zivilisationsfolger fühlen sie sich in allen möglichen Lebensräumen wohl. Innerhalb weniger Jahrzehnte ist der Bestand der aus dem Mittelmeerraum eingewanderten Möwenart auf über 1200 Brutpaare angewachsen. Die Mittelmeermöwe ist deutlich grösser als die bekanntere Lachmöwe.