Unsere Vorfahren überlebten als Jäger und Sammler. Das sei heute mehr als überholt finden Jagdgegner. Verbände wie «Anti-Jagd», «Jagdkritik» oder «Wildtierschutz» möchten die Jagd am liebsten aus dem eidgenössischen Gesetz entfernen. Wobei Jagd nicht Jagd ist – Föderalismus sei Dank. Genf ist der einzige Kanton, in dem es nur Staatsjagd gibt. Andere Kantone teilen Reviere zu, in denen nur der Revierbesitzer und seine Jagdgesellschaft jagen dürfen. In wieder anderen gibt es Patente, das heisst, der Jäger darf eine gewisse Anzahl Tiere schiessen ohne Gebietslimite. 

Wie David Clavadetscher, Geschäftsführer des Dachverbandes JagdSchweiz, erklärt, haben Jäger noch weitere Aufgaben als Wild zu schiessen: «Meist bin ich ohne Waffe unterwegs, dabei geht es um Wildunfälle, Kitzrettung, Wildbestandesaufnahme oder Hegemassnahmen.» Je nach Jahreszeit dürfen die Jäger das eine oder andere Wild schiessen. Im Herbst – das heisst in unterschiedlichen Herbstmonaten – werden Hirsch, Reh, Gämse, Hase, Murmeltier, Fuchs, Dachs, Marder und geflügeltes Wild bejagt. Im Winter gönnt man den Tieren Ruhe, ebenso im Frühling und Sommer. Wobei im Sommer Böcke gejagt werden können. Im Herbst dürfen Jungtiere nach Vorschrift gejagt werden, weil sie dann von den Muttertieren entwöhnt sind. «Der Jäger schiesst nicht einfach drauflos», betont Clavadetscher. «Er muss sich bei seinem Eingriff in das Jagd-Kapital gut überlegen, welche Folgen das hat.»

Helfen Jäger sogar den Waldameisen – oder sind es bierselige Waffennarren?
Marion Theus vom Verein Wildtierschutz Schweiz zweifelt an der Notwendigkeit des Jägers: «Sogar ‹JagdSchweiz› hat kürzlich von sich gegeben, die Natur könne sich sehr wohl selber regulieren.» Dem widerspricht Clavadetscher: Die Regulation sei des Jägers Hauptanliegen, ihm gehe es primär um Hege und Pflege. «Wir beobachten den Wildbestand und helfen, tierisches Leben zu optimieren.» Dazu gehöre auch das Anlegen von Biotopen, in denen sich die Tiere wohlfühlen. Auch wenn der Jäger sehe, dass ein Ameisenhaufen am Zerfallen sei, richte er ihn wieder auf. Weiter führt David Clavadetscher aus: «Wollen Sie lieber ein Fleischpaket aus dem Supermarkt, von dem Sie keine Ahnung haben, ob das Tier gut gehalten wurde? Oder Wild, von dem Sie wissen, dass es ein glückliches Leben in der freien Natur hatte und den Horror eines Schlachthauses nicht durchmachen musste?» 

Wildtierschützerin Theus hat noch ganz andere Bedenken zur Jagd. Sie kritisiert, dass bei Jagdgesellschaften oft ein kräftiges Betrinken dazugehöre. «Das hat zur Folge, dass sich die durch Trunkenheit nicht mehr ziel­sicher angeschossenen Tiere ins Unterholz schleppen und dort unter schlimmen Zuständen verenden.» Clavadetscher widerspricht dem vehement. «Glauben Sie wirklich, wir hätten Interesse, angetrunken auf die Jagd zu gehen? Unser Ziel ist es, das Wild zu erwischen. Zudem würden wir uns nicht dem Risiko aussetzen, dass ein benachbarter Jäger betrunken und bewaffnet mit uns auf die Jagd geht. Hier spielt die soziale Kontrolle und die Vernunft sehr gut.» Es sei schön, mit Gleichgesinnten etwas zu unternehmen. Man könne zwar individuell jagen, aber Gemeinschaftsjagd sei oft erfolgreicher. «Wir tauschen Erfahrungen aus, beobachten zusammen, fachsimpeln», sagt Clavadetscher. «Und wenn wir nach der Jagd tatsächlich gemeinsam etwas trinken, so ist immer zu bedenken, dass wir ja mit dem Auto unterwegs sind und somit massvoll mit Alkohol umgehen.»

Eine Volksinitiative will den Jägern den Zugang zum Klassenzimmer verwehren
Wildtierschutz Schweiz wirft Jägern gar vor, sich nicht ans Gesetz zu halten: Es würden Muttertiere gejagt zu Zeiten, in denen das verboten sei. Um das zu verdecken, würden die Euter der Muttertiere abgeschnitten. An eine Kontrolle durch die Kantone glauben die Tierschützer nicht. «Glaubt irgendjemand, es sei genug Personal vorhanden, um den Jägern auf die Finger zu schauen?», fragt Theus. Clavadetscher sieht dies als üble Nachrede, die jeglicher Grundlage entbehre.

Wildtierschutz Schweiz hat seit September im Kanton Graubünden eine Volksinitiative am Laufen, die verschiedene Teile der Jagd ändern oder verbieten lassen will. Forderungen der Initiative sind unter anderem der Verzicht auf Fallen oder das Verbot des Anfütterns von Tieren. Zudem soll die Jagdeignung und Treffsicherheit periodisch überprüft werden. 

Allerdings ist es bei Weitem nicht so, dass einfach jeder nach Lust und Laune auf die Jagd gehen darf. Interessierte können ab dem 18. Altersjahr mit der anspruchsvollen Ausbildung beginnen, in der sie theoretisch und praktisch geschult werden und eine Prüfung zu bestehen haben. Auch ist es Bedingung, ein Jagdpatent zu lösen oder in Revierkantonen in einer Jagdgesellschaft aufgenommen zu werden. Praxiserfahrung in der Natur erlangen die Jagdlehrgänger dadurch, dass sie während der Ausbildung Hegearbeit leisten und erfahrene Jäger begleiten. Die eidgenössische Jagdverordnung verlangt seit diesem Sommer einen periodischen Treffsicherheitsnachweis. Alle Kantone sind daran, diese Vorschrift per 1. Januar 2015 umzusetzen.

Als besonders heiklen Punkt sieht Wildtierschutz Schweiz, dass bereits Kinder mit auf die Jagd genommen werden und Jäger regelmässig Schulklassen besuchen, um über ihre Arbeit zu berichten. «Kinder bis zu zwölf Jahren dürfen nicht auf die Jagd mitgenommen werden und dürfen schulisch nicht zur Jagd motiviert werden», steht darum im Initiativtext. David Clavadetscher schüttelt den Kopf. «Ist es nicht gescheiter, Kindern bei Besuchen in der Schule zu zeigen, wo ihr Fleisch herkommt? So kann jede und jeder für sich entscheiden, ob man Fleisch unter diesen Umständen essen mag oder nicht.» 

Ohne die Jagd würden sich Rehe stark vermehren und junge Bäume abfressen
Zur Frage, wie sinnvoll es wäre, die Jagd nicht mehr auszuüben, sagt Clavadetscher: «So wie der Bauer den Boden nutzt, Felder bestellt und die Ernte einfährt, so engagieren sich die Jäger für intakte, vernetzte Wildlebensräume und nutzen den natürlichen Zuwachs des jagdbaren Wildes nachhaltig und ohne dessen Bestand zu gefährden.» Am Beispiel des Rehwilds erklärt Clavadetscher, was unter anderem passieren würde, wenn die Jagd verboten würde: «Wenn es keine Jagd mehr gibt, steigt die Population dieser standorttreuen Wildart in einem Waldkomplex über ein erträgliches Mass.» Verstärkt sich die Konkurrenzsituation, kann das zu massiven Verbissschäden an Jungbäumen führen, sodass die natürliche Verjüngung des Waldes gefährdet ist. In diesem Fall liegt es im Interesse des Waldbesitzers und der Walderhaltung, dass die Jagd in den Bestand eingreift. «Wieso also sollte sie dies sinnvollerweise nicht tun?», fragt Clavadetscher.

Trotzdem: Jäger sind immer wieder der Kritik ausgesetzt. Theus: «Die einzige Legitimität der Jagd ist die Freude am Hobby Jagen und entfernt noch die Hege. Aber der Allgemeinheit kommt da nichts zugute. Im Gegenteil: Niemand sieht noch in Frieden Wildtiere auf der offenen Fläche, der grosse Jagddruck drückt die Tiere in den Wald und in die Nacht.» Deshalb werde die Sichtung eines Rehs, geschweige denn eines Hasen oder Wildschweins, in vielen Gegenden der Schweiz zur kleinen Sensation.