Der Wolf macht mal wieder Schlagzeilen. Quer durch die Schweiz keimen zurzeit die Forderungen nach Abschüssen und neuen Schutzkonzepten auf. In Graubünden, im Wallis, in Bern und der Waadt haben Bauern und Hirten im Alpenraum Angst um ihre Herden und wollen den Rudelräuber loswerden. 

Unbestritten ist: Der Wolf hat sich etabliert in den Alpen. Ob er da auch Platz hat oder nicht, ist eine hochpolitische Frage, die an dieser Stelle nicht behandelt werden soll. Doch klar scheint: Wer die Wölfe kontrollieren will, muss wissen, wo sie leben – und wie viele von ihnen es pro Rudel gibt.Um diese Fragen zu beantworten, verwendet die Wildhut in erster Linie Fotofallen. Zusätzliche Informationen gelangen durch genetische Analysen von Kot- oder Haarproben oder Speichelproben nach Nutztierrissen an die Behörden. Und dann gibt es noch eine dritte Methode, die drauf und dran ist, sich zu etablieren. Das akustische Wolfsmonitoring.

Stefan Suter ist der Mikrofonmeister im Wolfsland. Seit 2016 spürt er mit seiner Firma WildLife Solutions Wölfe anhand ihrer Heuler auf. «Das Heulen von Wölfen hat mehrere Funktionen», erklärt der Biologe und Dozent an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). «Es dient zum einen der Kommunikation innerhalb des Rudels.» Verlieren sich Wölfe auf der Jagd aus den Augen, fänden sie sich per Geheul später wieder.

 

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Bis zu drei Kilometer Abdeckung 
«Es kann aber auch eine Abgrenzung gegen aussen sein.» So warne das Wolfsgeheul fremde Rudel vor dem Eindringen ins falsche Revier. Das kann laut Suter Leben retten: «Wölfe machen kurzen Prozess mit ungebetenen Eindringlingen.» Dazu komme noch ein Gruppengeheul, welches das Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Rudels stärken soll.

Für Wölfe gibt es also genügend Gelegenheit, zu heulen. Und für Suter entsprechend viele Möglichkeiten, deren Stimmen aufzunehmen. In den Kantonen Wallis, Waadt und Glarus hat seine Firma zurzeit den Auftrag, mittels Tonaufnahmen herauszufinden, wie viele Wölfe sich wo herumtreiben. «Aktuell geht es darum, die Reproduktion nachzuweisen. Jetzt kommen die Jungtiere aus ihrem Bau und manifestieren sich.» 

Bis zu 20 Mikrofone hat Suter pro Wolfsgebiet verteilt. Bei Windstille und der optimalen Lage kann jedes von ihnen Wolfsheuler aus bis zu drei Kilometer Entfernung einfangen. Zum Vergleich: Eine Fotofalle deckt ein paar Dutzend Meter ab. Gegenüber den genetischen Untersuchungen wiederum hat das akustische Monitoring einen deutlichen Geschwindigkeitsvorteil. Das ist wichtig, denn, so Suter: «Die Kantone möchten möglichst schnell wissen, was läuft.»

 

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Wölfe seien die optimalen Tiere für sein System, sagt Stefan Suter. Er ergänzt aber: «Grundsätzlich funktioniert es mit allen Tieren, die Geräusche machen.» So habe ein ZHAW-Student dank diesem akustischen Monitoring auch schon eine Bachelorarbeit über die Geburtshelferkröte schreiben können. Versuche mit Heuschrecken oder Fledermäusen hätten ebenfalls funktioniert, deren hohe Tonfrequenzen würden aber die Speicherkarten im Aufnahmegerät viel schneller füllen als die tiefen Wolfstöne.

Bald eine automatische Auswertung?
Die Überwachung der Wölfe erfordert derzeit noch viel Handarbeit von Suter und seinen Mitarbeitenden. So müssen die Tonaufnahmen noch von Hand im Wald eingesammelt werden, um sie auszuwerten. Es sei zwar ein Prototyp in Arbeit, der die Arbeit erleichtern soll. Er soll die Töne von Wölfen automatisch erkennen und die Funde per SMS weiterleiten. «Das ist aber noch nicht ausgereift und liefert auch Falschmeldungen. Aus­serdem sind gewisse Mikrofone in der Waadt im Funkloch. Dort funktioniert das sowieso nicht.» Grundsätzlich glaubt Suter an die Möglichkeit, die Tonaufnahmen automatisch auszuwerten. «Bei Menschen können Computerprogramme inzwischen ja sogar schon die Stimmungslage erkennen», sagt er. Dereinst soll ein Programm denn auch in der Lage sein, nicht nur zu erkennen, wie viele Wölfe in einer Tonaufnahme gerade heulen, sondern auch, um welche Individuen es sich dabei handelt. «Dazu braucht es einfach noch viel grössere Datensätze.»

 

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Vorerst funktioniert die Auswertung der Tonaufnahmen noch mit einer Kombination aus Automaten- und Handarbeit. Der Automatische Teil wird durch ein Wolfsheuler-Erkennungsprogramm mit dem Namen «Wolf Detection App» übernommen. Suter erklärt: «Es basiert auf einem künstlichen neuralen Netzwerk, ist lernfähig und wurde mit Wolfsheulern trainiert.» Es nimmt die ganze Nacht über alle Geräusche auf, schlägt dem Biologen dann aber nur diejenigen Passagen vor, die von Wölfen stammen könnten. «So verpasse ich keinen Heuler und muss nicht die ganzen zwölf Stunden durchsehen.» Wohl aber, so Suter, würde das Programm noch viele falsche Töne aufnehmen, etwa diejenigen von Flugzeugen, Autos oder Rothirschen. «Das erfordert dann noch einiges an Handarbeit, um die Wolfsheuler rauszusuchen.» 

Suter wertet diese potenziellen Heuler nicht übers Gehör aus, sondern in erster Linie übers Auge. Auf dem Computer lässt er sich die Tonspuren anzeigen. Jeder Wolfsheuler erzeugt dabei eine Kurve auf dem Zeitstrahl. Wird das Heulen höher, steigt die Kurve an, wird es tiefer, sinkt sie ab. Setzt ein ganzes Wolfsrudel zum Gruppenheulen an, entsteht rasch ein nur für den Experten überblickbarer Kurvensalat. Zur Veranschaulichung: Das Bild unten zeigt die Tonspur von «mindestens fünf Wölfen» bei einem Chorheuler. 

Nicht immer dürfen alle mitheulen
Dank seiner Erfahrung und der automatischen Vorauswahl schafft es Stefan Suter, eine ganze Nacht in einer Minute pro Aufnahmegerät auszuwerten. Einzelne Wölfe erkennt er dabei schon an ihrer Kurvenform wieder: «Ein Männchen im Kanton Freiburg hatte beispielsweise einen ganz charakteristischen Kamelbuckel in seiner Tonspur.»  

Bei allen Vorteilen, die das akustische Wolfsmonitoring gegenüber den anderen Methoden hat, perfekt ist es nicht. Es erfasst nun einmal ausschliesslich diejenigen Wölfe, die auch Töne produzieren. «Die Wölfe ganz am Ende der Hierarchie dürfen oft gar nicht mitheulen», sagt Suter. So sei die Wolfsforschung mittels Tonaufnahmen nicht als ausschliessliches Werkzeug gedacht, sondern als Ergänzung zu Fotofallen-Aufnahmen und genetischen Untersuchungen.