Der Wolf breitet sich aus in der Schweiz. Am Calanda-Massiv in Graubünden, in der Region Augstbord im Wallis und im Tessiner Valle Morob­bia haben sich in den letzten Jahren Wolfsrudel gebildet, Einzelwölfe und ein Wolfspaar waren dieses Jahr unter anderem in Freiburg, Uri und im Glarnerland unterwegs. Und in den kommenden Jahren wird die Wolfspopulation wohl weiter wachsen. Doch Wölfe leben sehr heimlich, und selbst wo ganze Rudel leben, bekommt man die scheuen Jäger nur selten direkt zu Gesicht. Sie in einem Gebiet nachzuweisen, ist deshalb gar nicht so einfach.

Bisher setzten die meisten Kantone und die nationale Raubtier-Koordinationsstelle Kora auf Fotofallen. Zudem untersuchen Wildhüter Spuren im Schnee, schauen sich gerissene Wild- und Haustiere genau an und sammeln Kot, Urin, Speichel oder Haare, die dann zur DNS-Analyse in ein Labor der Universität Lausanne geschickt werden. «Das ist aufwendig und teuer», sagt Biologe Stefan Suter von der Forschungsgruppe Wildtier­management der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. 

Zuverlässige Tonaufnahmen
Suter beschäftigt sich schon lange mit Bio­akustik, und als er auf die Publikation einer polnischen Forscherin stiess, in der es um die Heulaktivität der Wölfe im Verlauf des Jahres ging, war sein Interesse geweckt. «Bei Vögeln, Amphibien, Fledermäusen, Elefanten, Walen und noch weiteren Tieren setzt man schon lange auf akustische Methoden, um sie zu nachzuweisen», sagt Suter. «Wölfe sind prädestiniert dazu, akustisch erfasst zu werden. Denn sie heulen, um mit Mitgliedern ihres Rudels und auch mit Wölfen ausserhalb ihres Territoriums zu kommunizieren, und das ist über weite Distanzen hörbar.»

Also besorgte sich Suter sogenannte Songmeter – robuste, wasserdichte Aufnahmegeräte, die draussen im Gelände platziert über Wochen in definierten Zeitfenstern und Frequenzen Tonaufnahmen machen. Bei den Wölfen im Natur- und Tierpark Goldau führte eine seiner Studentinnen im Rahmen einer Semesterarbeit erste Stimmaufnahmen durch und legte die idealen Einstellungen fest. Da Suter für seinen ersten Feldtest in der Schweiz bei den Behörden auf taube Ohren stiess, fuhr er im August 2014 mit sechs Songmetern im Gepäck in ein waldreiches Gebiet der Toskana, wo Forscher die Wolfspopulation seit 20 Jahren überwachen. Dort liess er die Geräte während 30 Nächten in bekannten Wolfsterritorien Tonaufnahmen machen.

Die Auswertung der Daten wurde nun im Fachmagazin «Bioacoustics» publiziert. «Wir konnten zeigen: Wenn es in einem Gebiet Wolfsrudel hat, kann man die mithilfe von Songmetern zuverlässig akustisch nachweisen. Wolfsgeheul kann auf eine Distanz von mindestens drei Kilometern erfasst werden», fasst Suter die Hauptresultate zusammen. Die italienischen Wolfsforscher seien begeistert von der Methode und möchten laut Suter weiter mit den Songmetern arbeiten, denn es würde ihnen viel von ihrer aufwendigen und teilweise gefährliche Nachtarbeit ersparen. 

Gefahr der Verwechslung mit Autos
Denn zurzeit machen sie das Monitoring, indem sie nachts in die teilweise abgelegenen Wolfsterritorien fahren und selbst Wolfsgeheul imitieren, um eine Antwort zu provozieren. Während seines Aufenthalts in der Toskana hat Suter die Wolfsforscher mehrmals zu solchen nächtlichen Ausflügen begleitet. «Wir bekamen nur ein einziges Mal Antwort. Und wenn man keine Antwort bekommt, weiss man nicht, ob es nun tatsächlich keine Wölfe im Gebiet hat. Vielleicht wollten sie einfach nicht antworten, vielleicht waren sie auch am anderen Ende des Territoriums.»

Insbesondere Einzelwölfe in fremdem Territorium hätten kein Interesse daran, durch ihr Heulen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. «Wolfsrudel verteidigen ihr Territorium aggressiv. Dringt ein fremder Wolf in ihr Gebiet ein, machen sie kurzen Prozess mit ihm. In Wolfsgebiet zu heulen, um eine Antwort zu provozieren, stellt denn auch einen ziemlich grossen Eingriff dar», erklärt Stefan Suter.

Mit dem Songmeter könnte man auf solche Eingriffe verzichten und sich gleichzeitig aufwendige Nachtarbeit sparen. Natürlich braucht es auch Zeit, die nächtlichen Aufnahmen auszuwerten. Aber mithilfe eines Programms, das die Tonaufnahmen auch optisch abbilde, könne man zwölf Stunden Aufnahmen in etwa zehn Minuten visuell durchgehen, sagt Suter. Nur wenn man Frequenzen im Bereich des Wolfsgeheuls erkenne, müsse man zur Kontrolle noch reinhören – denn manche Störgeräusche sehen dem Wolfsgeheul optisch sehr ähnlich. Als Beispiel nennt Suter das Geräusch, das Auto­pneus auf der Strasse verursachen: «Auf weite Distanz hat das praktisch dieselbe Frequenz wie ein tiefer Wolfsheuler.»

Schwieriger herrauszufiltern ist das Heulen von Hunden. Hier sind laut Suter Zusatz­infos nötig. Entweder ebenfalls aufgenommene Geräusche wie etwa das Blöken von Schafen, die gleichzeitig mit dem Heulen ihres Herdenschutzhundes aufgenommen werden, oder ein Bellen des heulenden Hundes selbst. Falls keine solchen Zusatzgeräusche aufgezeichnet sind, müsse man mit einbeziehen, wo Hofhunde leben und in welchem Umkreis diese sich frei bewegen. «Dadurch könnte man wohl die meisten Hunde ausschliessen.»

Im Gegensatz zu Fotofallen, die geschickt platziert werden müssen, damit sie Wölfe aufnehmen, können Songmeter grossflächig die Anwesenheit von Wölfen nachweisen. Mithilfe der Aufzeichnungen ist es auch möglich, die Mindestgrösse des Rudels herauszuhören. Denn die Mitglieder eines Wolfsrudels stimmen oft zum gemeinsamen Heulen an, wenn sie zusammenkommen oder bevor sie zur Jagd aufbrechen. «Oft beginnen alte Wölfe mit flachen Heulern, dann stimmen Jungtiere in den Chor mit ein», sagt Suter. Da Jungtiere in höheren Frequenzen heulen als ausgewachsene Wölfe, lässt sich anhand der Tondaten auch feststellen, ob sich ein neues Wolfsrudel gebildet oder ob ein bestehendes Wolfsrudel neuen Nachwuchs hat.

Direkt nach der Geburt von Jungtieren im Mai und auch im Juni, wenn diese noch nicht mobil sind, verhalten sich Wölfe zwar sehr still und heulen selten. «Da wollen sie nicht verraten, wo sie ihre Jungtiere verstecken», sagt Suter. Doch sobald die Jungwölfe mobil werden und beginnen, ihre Umgebung zu erkunden, ist Kommunikation nötig, auch damit die Kleinen die Gruppe wieder finden.

Stimmdatenbank für Schweizer Wölfe
Diesen Spätsommer und Herbst durfte Suter seine Geräte in Zusammenarbeit mit der nationalen Raubtier-Koordinationsstelle Kora erstmals auch in der Schweiz aufstellen, in den Kantonen Freiburg und Tessin. Der Kanton Tessin hatte ihn angefragt, um zu erfahren, ob es auch in diesem Jahr wieder Nachwuchs gab, und im August konnten Jungwölfe anhand ihrer Stimmen nachgewiesen werden.

Suter hat unterdessen schon das nächste Ziel vor Augen: Er möchte für die Schweizer Wölfe eine Stimmdatenbank aufbauen. Dass man mithilfe entsprechender Computerprogramme Wolfsindividuen anhand ihrer Stimmen identifizieren kann, haben britische Forscher bereits nachgewiesen. «Leider haben sie mit einem sehr teuren Programm gearbeitet. Wir möchten das nun auf ein Open-Source-Programm übertragen», sagt Suter. «Wenn das gelingt, könnten wir in Zukunft viel einfacher und genauer beobachten, wie sich unsere Wölfe bewegen.»