Mit einer langen Pinzette packt Marco Thommen den Skorpion, der sich in eine Ecke der sandgefüllten Plastikbox verkrochen hat, am Schwanz. Parabuthus villosus steht auf der Box, das ist eine hochgiftige Art aus Südafrika und Namibia, wobei dieses Exemplar mit seinem rotbraunen Körper zur eher seltenen Farbvariation oranje morph gehört, wie Thommen ebenfalls auf der Etikette vermerkt hat. 

Er legt das Tier in eine grössere, offene Schale, deren Boden ebenfalls mit Sand und ein paar flachen Steinen bedeckt ist. Dann holt er, noch immer mit der Pinzette, aus einer anderen Box einen zweiten, dickeren Skorpion, und gesellt ihn zum ersten. Der kleinere ist das Männchen, der grössere das Weibchen. Wenn alles klappt, paaren sich die beiden und im kommenden Sommer wird das Weibchen irgendwann plötzlich Dutzende winzige, durchsichtige Jungtiere auf dem Rücken mit sich herumtragen. Sobald sie von dort heruntersteigen, muss Thommen sie voneinander trennen, um zu verhindern, dass sie einander auffressen. Er will sie an Börsen und via Internet tauschen oder verkaufen, um die Kosten für seine Zucht zu decken. Die Tiere werden gefragt sein: «Die Oranje morph ist in der Hobbyhaltung derzeit wenig im Angebot», sagt er. 

154 Skorpionarten
Mit über zehn Laufmeter an Spinnen und Skorpionen hatte das Team vom «Arachno Room» an der letzten Börse aufgewartet. Das Team, das sind Marco Thommen, Ka­tia und Thomas Krüttli, Patrick Keller und Marc Krähenbühl, allesamt Liebhaber von Spinnen­tieren – wissenschaftlich: Arachniden – aus Liestal und Umgebung. Der «Arachno Room», das ist jener 120 Quadratmeter grosse Raum auf einem ehemaligen Fabrikareal in Liestal, wo sich die fünf fast täglich treffen – und wo sie ihre Spinnen und Skorpione halten. «Ich weiss nicht, wie viele Tiere es sind», sagt Thommen. «Allein Skorpione haben wir von 154 Arten.» 

Darunter der Heterometrus swammerdami aus Asien, der gross wie eine Hand wird, und einige sehr seltene wie der Jaguajir pintoi, von dem es in der Schweiz vermutlich nur gerade zwei Halter gibt. Dazu kommt eine Vielzahl von Spinnenarten, besonders Vogelspinnen und Schwarze Witwen, daneben ein paar Schlangen, einige Tausend- und Hundertfüs­ser sowie die Gottesanbeterinnen der neunjährigen Tochter des Ehepaars Krüttli.

Ungezählt bleiben auch die Stunden, die sie investiert hatten, um den Raum einzurichten. Während Monaten haben sie an Abenden und Wochenenden Wände und Böden gestrichen, Heizungen mit Zeitschaltuhren installiert, Regale zusammengeschraubt, bis sie am 1. September dieses Jahres zur offiziellen Eröffnung einladen konnten. Nun ist kaum mehr vorstellbar, dass die fünf Spinnentier-Liebhaber zuvor mit knapp einem Viertel der Fläche ausgekommen sind. An den Wänden reihen sich die Regale aneinander, darin Terrarien, die mit Steinen, dürren Ästen und Rindenstücken hübsch eingerichtet sind, und sich stapelnde Plastikboxen mit den kleineren Tieren. Wer die Ohren spitzt, hört das Kratzen der dünnen Beine an den Kunststoffwänden ihrer Behausungen. Drei separate Kammern stehen für Arten aus trockenen Wüstengebieten – wie den Parabuthus villosus – zur Verfügung, beim Öffnen der Tür schwappt dem Besucher eine Hitzewelle entgegen.

Faszination statt Phobie
Im Eingangsbereich steht ein Tresen. «Hier essen wir manchmal gemeinsam zu Abend», erzählt Thommen. Dahinter lagern in einem Gestell Plastikböxchen mit Futtertieren, vor allem Heimchen. Zum Glück müssen die Skorpione und Spinnen nur alle ein bis zwei Wochen Essen kriegen – bis die Tiere in jedem einzelnen Schächtelchen und Terrarium mit Beute versorgt sind, dauert es mehrere Stunden. Abgesehen davon brauchen die Achtbeiner aber wenig Pflege. Bei den trockenen Terrarien müssen gelegentlich übrig gebliebene Flügel und Beine von Futtertieren rausgesammelt werden und ab und zu muss der Sand gesiebt werden. Bei feuchteren Böden reicht es, ein paar Asseln hineinzugeben, die das Reinigen übernehmen. 

Doch in den «Arachno Room» gehen die fünf nicht nur, um sich um ihre Tiere zu kümmern, sondern auch wegen der Menschen – «Spinner», wie sie sich in Anspielung auf ihre Lieblingstiere selber bezeichnen. Marco Thommen war der Erste gewesen, schon als Kind hielt er Stabheuschrecken und Reptilien, bis er dann zu seinen Spezialgebieten, Skorpionen und Schwarzen Witwen, fand. «Mich fasziniert, wie so ein kleines Tier für einen Menschen gefährlich werden kann», sagt er. Selber ist er auch schon gestochen worden, es war keine der ganz giftigen Arten, sondern fühlte sich ungefähr wie ein Wespenstich an. 

Über sein Hobby kam er in Kontakt zu Katia und Thomas Krüttli, inzwischen ist er Götti ihrer Tochter. Kaum zu glauben, dass Thomas einst unter Spinnenphobie litt. Über seine Frau gewöhnte er sich an diese Tiere, und inzwischen lässt er auch Vogelspinnen über seine Hand laufen.

Tanz der Scherenträger
Bei Patrick Keller waren es die Eltern, die Spinnen nicht mochten. Sobald er von zu Hause auszog, machte er sich kundig und landete via Facebook bei Marco Thommen. Und Marc Krähenbühl, das neuste Mitglied, stiess vor einem Jahr dazu, als sein eigener Keller für seine 250 Spinnen zu klein wurde. Er trägt – wie die drei Gründungsmitglieder – nicht nur ein schwarzes T-Shirt mit der Inschrift «Arachno Room», sondern auch ein Tattoo des Schriftzugs mit Skorpion und Vogelspinne auf dem Unterschenkel.

Alle fünf sind voll berufstätig, die Spinnentiere sind und bleiben ein Hobby. Aber eines, das sie mit einer Ernsthaftigkeit betreiben, die sie bei anderen Haltern und Züchtern zuweilen vermissen. «Da sieht man Tiere, die falsch oder gar nicht angeschrieben sind», sagt Katia Krüttli. Und Patrick Keller ergänzt: «Oder humide Arten, die in ariden Terrarien gehalten werden.» Die Unterscheidung zwischen humid und arid, feucht und trocken, ist so ziemlich das Grundsätzlichste, was es in der Haltung von Skorpionen zu beachten gilt. 

Dass die fünf Liestaler die Herkunft ihrer Tiere kennen und sich bemühen, jedem Tier die passende Umgebung zu bieten, zahlt sich aus. Während bei anderen Skorpione eingehen, haben sie Züchtungserfolg. Die beiden Parabuthus villosus in der Paarungsbox haben sich an den Scheren gepackt. In den nächsten Stunden werden sie sich in dieser Position hin und her ziehen – ein regelrechter Paarungstanz. Bis dann das Männchen eine stachelförmige Samenkapsel, genannt Spermatophore, auf einen flachen Stein oder ein Rindenstück platziert und das Weibchen darüberzieht. Das Liebesspiel ist für das Männchen aber nicht ohne Risiko. Gelegentlich kommt es vor, dass das Weibchen seinen Partner nach der Befruchtung verspeist. Bei seltenen Arten sitzt Marco deshalb stundenlang neben der Paarungsbox und überwacht die Tiere. Doch vom Parabuthus villosus, oranje morph, besitzt er mehrere Männchen und wagt es, der Natur ihren Lauf zu lassen. 

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