Frau Brendl, haben Sie mit dem grossen Echo auf Ihre Medienmitteilung zur Corona-Impfstoffgewinnung aus Haien gerechnet?
Stefanie Brendl: Nein, ich hätte nie gedacht, dass die Nachricht weltweit für Schlagzeilen sorgen würde. Wir hatten sie vor einer Weile ausgewählten Journalisten geschickt, in der Hoffnung, dass jemand mit Recherchen zum Thema beginnen würde. Zuerst schien es aber niemanden zu interessieren – bis der «Daily Telegraph» das Thema aufgriff. Seither stehen die Telefone bei Shark Allies nicht mehr still. Aus der ganzen Welt kommen Interviewanfragen, die ich nach Möglichkeit beantworte. Doch wir sind hier nur zu Zweit, daher ist es gerade sehr anstrengend. Leider wurden wir zudem falsch verstanden.

In welcher Hinsicht?
Natürlich sorgen Schlagwörter wie «Covid-19» und «Hai-Tötung» in derselben Überschrift für Aufmerksamkeit. Aber die Schlagzeile, wonach nun 500’000 Haie sterben müssen, damit man die gesamte Weltbevölkerung impfen und gegen Corona immunisieren kann, ist aus dem Zusammenhang gerissen. Das habe ich so nie gesagt.

Wie lautete denn Ihre ursprüngliche Kernbotschaft?
Wir hatten herausgefunden, dass gewisse Pharma-Konzerne Squalen, ein natürliches Öl aus der Leber der Haie, als möglichen Bestandteil eines globalen Impfstoffs sehen. Die Substanz wird bereits in der Medizin eingesetzt und gilt als Verstärker der Medikamentenwirkung.

Wenn es schon Alternativen zur Herstellung gibt, sollte man sie von Anfang an ebenfalls in Erwägung ziehen und ihr Potenzial ausloten.

Stefanie Brendl
Shark Allies

Auf welche Annahmen stützten Sie Ihre Berechnungen?
Wir haben die Annahme getroffen, dass man zur Impfung der Menschheit Millionen Dosen eines solchen Impfstoffs benötigen würde. Wenn man davon ausgeht, dass das Virus mutiert und sich neue Stämme entwickeln, vervielfacht sich dieser Wert. Man man muss den Impfstoff dann nämlich anpassen, oder gar einen gänzlich neuen entwickeln. Zudem müsste man alle Jahre wohl wieder Auffrisch-Impfungen machen. Wir hatten die Gefahr aufgezeigt, dass bei einem Durchbruch in der Forschung plötzlich Bedarf nach grossen Mengen Squalen aus Hunderttausenden Haien vorhanden ist. Das könnte zu massenhaften Hai-Tötungen führen.

Gibt es Alternativen zur Herstellung von Squalen?
Durchaus. Der Stoff lässt sich unter anderem aus gewissen Pflanzen gewinnen, wie das in der Kosmetik-Industrie und der Medizin teilweise schon gemacht wird. Auch die Herstellung mit Hilfe von Bakterien ist eine Variante. Diese Methoden zur Gewinnung sind allerdings aufwändiger und teurer, als wenn man den Stoff Hailebern entnimmt. Erst als wir wussten, dass es Alternativen gibt, gingen wir mit der Medienmitteilung an die Öffentlichkeit.

Mit welchen Zielen?
Es geht mir keinesfalls darum, die Produktion und die Erforschung eines Impfstoffs zu behindern. Die Coronalage ist ernst. Es ist unglaublich wichtig, ein Mittel gegen das Virus zu finden. Und dass man nun zu Beginn der Forschungen mit tierischem Squalen arbeiten muss, lässt sich nicht vermeiden. Aber wenn es schon Alternativen zur Herstellung gibt, sollte man sie von Anfang an ebenfalls in Erwägung ziehen und deren Potenzial ausloten. Wenn die Massenproduktion eines Impfstoffs beginnt, ist es sonst zu spät. 

Welche Folgen hätte das Töten von einer halben Million Haie?
Grundsätzlich ist es nicht günstig für ein Ökosystem, wenn es seinen Hauptjäger verliert. Die Haie sorgen in den Ozeanen für eine Balance in der Nahrungskette. Indem sie kranke und schwache Tiere fressen, halten sie unter anderem die Riffe gesund. Die Fischerei würde die Auswirkungen ebenfalls spüren, die Erträge würden zurückgehen.

Das überrascht.
Ja, denn man denkt immer, dass die Zahl der Speisefische abnimmt, wenn viele grosse Haie anwesend sind. Dabei ist das Gegenteil der Fall. In einem intakten Ökosystem fressen die Grossen die Kleinen, die sich normalerweise wiederum von den nächst Kleineren ernähren. Das geht so weiter bis zu Arten, in deren Beuteschema die Speisefische gehören. Damit stehen sie mit den Fischern in Konkurrenz. Um auf die Zahlen zurückzukommen – es spielt natürlich eine Rolle, von welcher Art man wieviele Tiere jagt.

Dass das Thema in der Weltöffentlichkeit angekommen ist, ist wichtig.

Stefanie Brendl
Shark Allies

Weshalb?
Es gibt bedrohte Haiarten. Wenn man von ihnen nur schon 1000 Tiere tötet, hat das einen grösseren Einfluss, als wenn man dieselbe Zahl einer verbreiteteren Art fängt. Hinzu kommt, dass uns schlichtweg Erkenntnisse fehlen, wie es in den Tiefen der Ozean hinsichtlich der Populationen aussieht.

Ist das Züchten von Haien eine Option?
Leider nicht, obwohl ich mir das wünschte. Doch grosse Haiarten legen nicht Tausende Eier wie kleine Fische. Diese Jäger pflanzen sich nur langsam fort. Die einzige Möglichkeit, sie in genügender Zahl im Ökosystem zu behalten, ist, sie zu schützen. Man muss ihnen die notwendige Zeit und die Orte zur Reproduktion gewähren.

Was haben Sie mit Ihrer Kampagne bisher erreicht?
Dass das Thema in der Weltöffentlichkeit angekommen ist! Das ist wichtig, denn immerhin beziehen bisher fünf der rund 20 Impfstoffe, die gerade in eine nächste Testphase übergegangen sind, tierisches Squalen mit ein. Zumindest scheint das Bewusstsein gereift zu sein, dass die Herstellung eines Impfstoffs im grossen Rahmen auf Kosten dieser Spezies gehen könnte. Die Kunde scheint bis zu einzelnen Pharmafirmen vorgedrungen zu sein, die durch die Berichterstattung aufgeschreckt wurden und sich bei uns gemeldet haben.

Wie geht es weiter?
Wir werden weiterhin Aufklärungsarbeit leisten. Ich möchte noch einmal betonen, es geht nicht darum, die Forschung aufzuhalten. Aber wir müssen die Nachhaltigkeit fördern und von Anfang Alternativen zur Impfstoffherstellung suchen. Sonst macht sich die Menschheit dereinst Vorwürfe, Arten ausgerottet zu haben.

Zur Person
Stefanie Brendl ist Gründerin und CEO der Tierschutzorganisation Shark Allies. Sie hat sich dem Schutz der Haie verschrieben. Die 54-Jährige ist in Deutschland aufgewachssen und lebt seit vielen Jahren im pazifischen Raum. Dort hat sie schon als Tauchinstruktorin, Unterwasserfotografin und Journalistin gearbeitet.