Im Kanton Zürich hat die Pflanzenvielfalt in den vergangenen 100 Jahren deutlich abgenommen. Nachgewiesen hat dies ein Forscherteam der Universitäten Zürich und Bonn sowie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). So verschwanden durch die Vereinheitlichung der einst vielfältigen Landschaft viele Lebensräume – allen voran die Feuchtgebiete, die um rund 90 Prozent schrumpften. Siedlungen breiteten sich auf Kosten der Kulturlandflächen immer mehr aus, wobei die Intensivierung der Landwirtschaft zu einer Verarmung der Wiesen- und Ackerhabitate führte.

Insgesamt seien alle Pflanzengemeinschaften deutlich monotoner geworden. Wenige häufige Arten dominieren. Besonders schwer haben es spezialisierte Pflanzen, die nur von wenigen Insektengruppen oder gar nur von einer einzigen Art bestäubt werden können. «Wie die Vegetation vor 100 Jahren aussah, ist für uns kaum mehr vorstellbar», sagt Michael Kessler vom Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik der Universität Zürich gemäss einer Mitteilung der selbigen. «Aber unsere Daten zeigen, dass etwa die Hälfte aller Arten deutlich abgenommen hat; nur zehn Prozent der Arten haben dagegen zugenommen.» Die Resultate lassen sich laut den Forschern bis auf kleine regionale Einschränkungen auf ganz Mitteleuropa übertragen.

Bei der letzte Woche in «Ecological Applications» veröffentlichten Studie halfen 250 Hobby-Botanikerinnen und -Botaniker mit, den ganzen Kanton Zürich zu kartieren. Das Kartierungsprojekt läuft schon seit zehn Jahren.

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Ein Viertel weniger in dreissig Jahren
Gar auf der Titelseite des Fachblatts «Science» landeten ebenfalls letzte Woche Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Jena-Halle-Leipzig (iDiv) mit ihrer Analyse von Insektenbeständen an 1676 Standorten weltweit. Die «aktuell umfassendste Studie ihrer Art» kommt zum Schluss, dass die Bestände weltweit um 0,92 Prozent pro Jahr abnehmen. «0,92 Prozent klingt vielleicht nicht nach viel, aber es bedeutet 24 Prozent weniger Insekten über dreissig Jahre und sogar eine Halbierung über 75 Jahre», sagt Erstautor Roel van Klink in einer Medienmitteilung des iDiv. «Der Rückzug der Insekten findet leise statt – in nur einem Jahr bemerken wir das nicht. Es ist wie wenn man an den Ort zurückkehrt, wo man aufgewachsen ist. Nur wenn man jahrelang nicht dort war, bemerkt man, wie viel sich tatsächlich verändert hat – leider oft zum Schlechteren.»

Gemäss der Mitteilung fülle die Arbeit die Lücken der vielbeachteten «Krefeld-Studie» von 2017, welche den Rückgang der Insekten in deutschen Naturschutzgebieten dokumentierte und die öffentliche Diskussion um das Insektensterben ins Rollen brachte. Denn nun zeigt sich: Auf der ganzen Welt haben es die Insekten schwer. Am stärksten betroffen sind gemäss der neuen Studie Teile der USA sowie Europa, insbesondere Deutschland. In Europa verstärkten sich die negativen Trends in den letzten Jahren – die grössten Rückgänge wurden seit 2005 beobachtet.

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Süsswasserinsekten erholen sich
Wie das Forscherteam weiter herausfand, leben heute weniger Insekten in Bodennähe als früher. Auch die fliegenden Insekten wurden weniger. Die Zahl der Insekten, die in Bäumen leben, blieb im Schnitt unverändert. Bei den Süsswasserinsekten stieg sie sogar. Insekten, die ihr Leben zeitweise im Wasser verbringen wie Libellen, Köcherfliegen und Wasserläufer nahmen um 1,08 Prozent pro Jahr zu – das entspricht 38 Prozent über einen Zeitraum von 30 Jahren. Letztautor Jonathan Chase vom iDiv freut sich: «Die Zahlen zeigen, dass wir die negativen Trends umkehren können. In den letzten fünfzig Jahren wurde weltweit viel getan, um verschmutze Flüsse und Seen wieder zu säubern. Dadurch haben sich möglicherweise viele Populationen von Süsswasserinsekten erholt. Das stimmt zuversichtlich, dass wir die Trends auch bei Populationen umkehren können, die momentan zurückgehen.»

Als Grund für die Rückgänge gilt der Verlust des natürlichen Lebensraums der Insekten. Um den Sechsbeinern zu helfen, kann man aber auch auf dem heimischen Balkon oder im Garten etwas tun. So ruft auch die Naturschutzorganisation Pro Natura dazu auf, bei der heutigen Öffnung der Gärtnereien keine «für die Natur wertlosen» Neophyten wie Sommerflieder oder Kirschlorbeer zu kaufen. Vielmehr solle man einheimische Wildpflanzen und Sträucher wie Kornelkirsche oder Weissdorn pflanzen. Sie bieten Nahrung und Heimat nicht nur für Insekten, sondern auch für viele weitere Tiere.