Sobald die ersten Schneeflocken fallen, stürmen Wintersportler in die Berge. Und es werden immer mehr. So hat sich allein zwischen 2008 und 2014 die Zahl der Schneeschuhläufer verdoppelt. Und auch das Freeriding und Skitourenfahren sind längst im Breitensport angekommen. 

Was Bergsportgeschäfte und Tourismusorganisationen freut, kann für das Birkhuhn oder die Gämse schnell zur tödlichen Gefahr werden. Wegen der tiefen Temperaturen und des kargen Nahrungsangebots müssen Wildtiere im Winter vor allem eins: Energie sparen. Dafür brauchen sie Gebiete, in denen sie die kalte Jahreszeit möglichst ungestört verbringen können – in Wildruhezonen und Wildtierschutzgebieten (siehe Box).  

Werden Wildtiere durch Skifahrer oder Schneeschuhwanderer gestört, ergreifen sie die Flucht. Dabei verbrauchen sie im tiefen Schnee viel mehr Energie als im Sommer. Das wiederum führt zu einem geringeren Fortpflanzungserfolg, Krankheit oder gar zum Erschöpfungstod der Tiere. Viele Wintersportler wissen gar nicht, welch verheerende Folgen ihr Verhalten für die Wildtiere haben kann. Hier setzt die Kampagne «Respektiere deine Grenzen – Schneesport mit Rücksicht» an. Sie will den Schneesportlern bewusst machen, welchen Einfluss sie auf Wildtiere haben, und wie sie ihr Verhalten möglichst verträglich gestalten können, ohne auf den Wintersport verzichten zu müssen.

Rückzugsräume
In der Schweiz gibt es zweierlei Rück-
zugsgebiete für Wildtiere im Winter: Wildruhezonen werden durch Kantone ausgeschieden und sind entweder rechtsverbindlich oder lediglich empfohlen.

Als Wildtierschutzgebiete gelten die vom Bund ausgeschiedenen
46 Eidgenössische Jagdbanngebiete.

Innerhalb von rechtsverbindlichen Wildruhezonen und Wildtierschutzgebieten dürfen nur die in der Karte eingezeichneten erlaubten Routen und Wege begangen werden. Bei einer Übertretung riskiert man eine Strafanzeige oder Ordnungsbusse.

Zentrale Botschaft der Kampagne sind vier einfache Verhaltensregeln, die es zu beachten gilt: Erstens sind Wildruhezonen und -schutzgebiete zu berücksichtigen, weil sie Wildtieren Rückzugsräume geben. Zweitens sollte man im Wald auf den bezeichneten Routen bleiben, damit sich Wildtiere an den Menschen gewöhnen können. Drittens sind der Waldrand und schneefreie Flächen zu meiden, weil das die Lieblingsplätze der Wildtiere sind. Und viertens sind Hunde an der Leine zu führen, weil Wildtiere sich vor frei laufenden Hunden fürchten. 

Kampagne zeigt Wirkung
Die Kampagne wurde 2010 vom Schweizerischen Alpenclub und dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) lanciert und wird seit 2016 im Auftrag der Mitgliedorganisationen und mit Unterstützung des Bafu vom Verein «Natur & Freizeit» durchgeführt. Dabei probiert man, die Wintersportler von A bis Z abzuholen, wie Kampagnenleiter Reto Solèr sagt. «Angefangen bei Webportalen und Bergsportgeschäften, in denen sich Wintersportler ausrüsten, über Postautos, die die Schneebegeisterten in die Berge bringen bis hin zum Tourismusbüro vor Ort sind die vier Verhaltensregeln überall präsent.»

Von 2010 bis und mit dem Winter 2017 / 18 haben die Kampagnenverantwortlichen rund 880 000 Flyer, mehr als 5000 Plakate und rund 140 000 Hänge­ettiketten bei Wintersportprodukten in Läden an Skitourenfahrer, Schneeschuhläufer und Freerider abgegeben. Hinzu kommt eine Webplattform, wo alle Wildruhezonen und Wildschutzgebiete der Schweiz jährlich aktualisiert und in Kartenform abgefragt sowie ausgedruckt werden können. 

All diese Elemente der Kampagne tragen Früchte, wie Solèr betont. In bisher drei Evaluationen durch das Markt- und Sozialforschungsunternehmen Demoscope und die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) wurde nach der Wirkung der Kampagne auf Wintersportler gefragt. «Auf die Frage, ob die Verhaltensregeln bekannt sind, war besonders in den ersten paar Jahren eine starke Zunahme zu verzeichnen», sagt Solèr. Zwischen 2012 und 2016 stieg der Bekanntheitsgrad der Verhaltensregeln bei Schneeschuhläufern und Skitourenfahrern von gut 60 auf knapp 80 Prozent, bei den Freeridern von 44 auf 75 Prozent.

Ein ähnliches Bild zeigte sich beim Slogan «Schneesport mit Rücksicht»; ihn kannten im April 2016 rund 85 Prozent der Befragten. Noch deutlicher zeigte sich der Erfolg der Kampagne bei der Frage, ob ihnen Wildruhezonen bekannt sind: Hier antworteten 90 Prozent mit «Ja». 

Als zweites Indiz für den Erfolg der Sensibilisierungskampagne nennt Solèr die Tatsache, dass der Verein durch 17 Mitgliedorganisationen aus Natur und Sport abgestützt ist und eng mit der Outdoor- und Tourismusbranche zusammenarbeitet. Bis heute haben sich 270 Unternehmen zur Kommunikation der vier Verhaltensregeln und zur Umsetzung von Sensibilisierungsmassnahmen verpflichtet.

Bewusstsein ist grösser denn je
Das zeige, wie stark das Thema bereits ins Bewusstsein gedrungen sei, sagt Solèr. «Gleichzeitig werden so auch die vielen Schneesportler erreicht, die nicht in Verbänden organisiert sind.» Ein möglicher dritter Indikator für den Erfolg der Kampagne wäre deren Einfluss auf die Wildtierpopulation. Man könnte eruieren, wie sich etwa die Population der Gämse in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, dazu gibt es auch Zahlen. «Hier direkt auf die Kampagne zu schliessen, wäre allerdings schwierig», sagt Solèr. «Schliesslich gibt es eine Vielzahl an Faktoren, die auf eine Population einwirken wie etwa Krankheiten oder auch die Jagd. Da ist es kaum möglich, den Einfluss unserer Kampagne zu messen.» 

Wichtig sei, dass die Kampagne die Menschen erreiche und deren Verhalten beeinflusse. Dass das passiert, erfährt Solèr auch immer wieder im Gespräch mit Wintersportlern, die angeben, dass das Bewusstsein für die Problematik heute grösser sei denn je. «Noch vor zehn, zwanzig Jahren waren sich nur die wenigsten bewusst, dass Skifahrer neben der Piste nicht nur Lawinen auslösen, sondern auch Wildtiere stören. Heute sieht das anders aus.» Solche Rückmeldungen bestätigen denn auch, dass es richtig war, die Kampagne über eine lange Zeit hin zu planen – auch in Zukunft. «Umso mehr, da es im Wintersportbereich jedes Jahr viele Neueinsteiger gibt, ist es wichtig, dranzubleiben», sagt Solèr. 

www.respektiere-deine-grenzen.ch