GT047 hatte es wohl nicht immer leicht in seinem Leben. Der zwölfjährige Bartgeier gehörte 2007 zu den ersten wildgeschlüpften Exemplaren der wiederangesiedelten Greifvögel in der Schweiz. Im Schweizer Nationalpark wurde er gross. Im Mai dieses Jahres jedoch wurde sein toter Körper von Berggängern im Val Chamuera bei La Punt im Engadin gefunden.

Nun liegen die Untersuchungsergebnisse des Bündner Amts für Jagd und Fischerei vor: Der Bartgeier wies einen gebrochenen Halswirbel und Schnittverletzungen auf. Laut den Behörden und der Stiftung Pro Bartgeier deutet dies auf einem Kampf mit einem Steinadler hin. Die Verletzungen stammen von den Krallen des «Königs der Lüfte». 

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Der Bartgeier GT047 liegt nach dem verlorenen Kampf mit dem Steinadler tot im Val Chamuera.
  Bild: David Jenny

 

Es seit nicht das erste Mal, dass in der Schweiz ein Bartgeier von einem Steinadler getötet wurde, sagt Daniel Hegglin, Geschäftsführer der Stiftung Pro Bartgeier. «Obwohl sie im Prinzip keine grossen Konkurrenten sind.» 

Der Bartgeier, der grösste einheimische Greifvogel, ernährt sich ausschliesslich von Aas, und zwar hauptsächlich von Knochen. Der Steinadler ist der zweitgrösste heimische Greifvogel und im Gegensatz zum Bartgeier ist er ein aktiver Jäger. Junge Adler fressen aber auch Aas – wenn auch nur das Fleisch. Halten Bartgeier neu in einem Gebiet Einzug, werden sie deshalb oft von jungen Steinadlern attackiert, wie Hegglin erklärt. Die Altvögel dagegen streiten sich um geeignete Plätze für ihren Horst. «Wenn beide Arten über längere Zeit im gleichen Gebiet beheimatet sind, nehmen die Konflikte ab», sagt Hegglin. Warum das so ist, kann er nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Adler könnten gelernt haben, dass die Geier ihnen bei der Nahrungssuche eigentlich gar nicht gross in die Quere kommen. Oder die Vögel gewöhnen sich einfach aneinander. «Das ist schwierig zu interpretieren», sagt Hegglin.

Tödliche Krallen
Geraten die beiden Arten aneinander, können Bartgeier sehr wehrhaft sein. Aber: «Der Adler ist der Gefährlichere. Seine messerscharfen Krallen sind Instrumente zum Töten. Der Bartgeier hat sowas nicht», sagt Hegglin. Es sei ihm kein Fall bekannt, bei dem ein Bartgeier einen Steinadler tödlich verletzt hätte oder eine Auseinandersetzung unter Bartgeiern tödlich ausgegangen sei.

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  Mit seinen messerscharfen Krallen tötet der Steinadler seine Beute. Bild: Weyrichfoto

 

So hat auch Bartgeier GT047 seine letzte Begegnung mit einem Steinadler nicht überlebt. Doch auch zuvor erlebte er schon Ungemach. Röntgenaufnahmen zeigten, dass in seinem Körper drei Schrotkugeln steckten. Bereits vor längerer Zeit sei auf ihn geschossen worden, schreibt die Stiftung Pro Bartgeier. Wann und wo sich die versuchte Wilderei ereignete, sei nicht klar, da Bartgeier in ihren ersten Lebensjahren im gesamten Alpenbogen umherfliegen. 

Der Vorfall zeige jedoch, dass Wilderei im Alpenraum nach wie vor vorkomme, auch wenn sich Bartgeier grosser Beliebtheit erfreuen. Seit der Wiederansiedlung wurden schon auf zehn Bartgeier geschossen, sechs davon starben. Solche Straftaten können sich empfindlich auf die Population auswirken, da sich Bartgeier nur sehr langsam fortpflanzen. Eine strenge Verfolgung und Ahndung jeglicher Art von Wilderei ist deshalb laut der Stiftung für den Schutz des Bartgeiers von grosser Wichtigkeit.

Ein Steinadler und ein Bartgeier fliegen zusammen durch die französischen Alpen (Video: WILDASLIFE NATURE FILMS: Simon Littlejohn):

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