Haben Sie schon von singenden Affen gehört? Und kennen Sie die weltweit bedrohtesten Menschenaffen der Welt? Nein? Dann sind Sie nicht allein. «Wenn ich von Gibbons erzähle, wissen viele nicht, worum es sich dabei handelt», sagt Thomas Geissmann. Der Forscher analysiert seit den 1980er-Jahren Gibbon-Gesänge.

Seine Begeisterung für die Affen entdeckte er einst bei einem Zoobesuch. «Der Gesang der Gibbons beeindruckte mich sofort und liess mich nicht mehr los», erinnert sich der Wissenschaftler, der am Anthropologischen Institut der Universität Zürich arbeitet. «Mir war damals noch nicht klar, dass die Tiere in freier Wildbahn so bedroht sind.» Seitdem engagiert sich Geissmann mit Herzblut für die Gibbons. Leider interessiere sich sonst kaum jemand für die baumbewohnenden Primaten, im Gegensatz zu den anderen Menschenaffen – Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans –, bedauert der Zoologe.

Früchte als Hauptnahrung
Um sich ein Bild vor Ort zu machen, reiste Geissmann vor rund 30 Jahren erstmals nach China, einem der natürlichen Lebensräume der in Südostasien beheimateten Gibbons (siehe Kasten). Das Reich der Mitte rühmte sich, gleich sechs Gibbonarten zu beherbergen. Doch schon bald fanden Geissmann und andere Forscher heraus, dass es nur noch vier Arten gibt und eine davon, der Hainan-Schopfgibbon, zählt gerade einmal 25 Tiere.

«Ohne unsere Arbeit hätte bis heute niemand gemerkt, dass in China in den letzten 20 Jahren zwei Gibbonarten ausgestorben sind», sagt der 57-Jährige mit trauriger Miene. «Trotz dieser alarmierenden Befunde ist es sehr schwierig, Sponsoren zur Rettung dieser Menschenaffen zu finden. Das ist frustrierend.» Selbst grosse Naturschutzorganisationen engagieren sich kaum für die bedrohten Primaten. Auch die Medien zeigten sich wenig motiviert, auf den Gibbon-Zug aufzuspringen, weil die Tiere zu unbekannt und damit für ein breites Publikum uninteressant seien.

Thomas Geissmann lässt sich aber nicht entmutigen. Unermüdlich kämpft er für eine (bessere) Zukunft der Menschenaffen. Er gibt eine Fachzeitschrift über Gibbons heraus und gründete die «Gibbons Conservation Alliance», eine Organisation, die sich für die Rettung und den Schutz der singenden Affen einsetzt. Zu den Projekten gehören das Einrichten von Schutzgebieten und das Aufforsten von Waldlücken mit Futterbäumen. «Gibbons ernähren sich vorwiegend von Früchten, weil sie Blätter nicht gut verdauen können», erklärt Geissmann. Es sei wichtig, dass das Revier einer Gibbonfamilie genügend Fruchtbäume habe. Gibbons können ein Revier nur bis zu einer gewissen Grösse wirksam gegen andere Gruppen verteidigen. Bei selektiv ausgeholzten Wäldern könne daher die Ernährung in der Trockenzeit nicht mehr gewährleistet werden.  

Faszinierende Duettgesänge
Geissmann weist darauf hin, dass jeder die Gibbons unterstützen kann, etwa mit Geldspenden. Doch dafür müsse zunächst das Bewusstsein für die prekäre Situation der Primaten geweckt werden. Einen Beitrag dazu soll die Ausstellung «Gibbons – die singenden Menschenaffen» im Anthropologischen Institut der Universität Zürich leisten. Der Besucher hat zu Beginn das Gefühl, einen Wald zu betreten. Danach lernt er die Gibbons Schritt für Schritt kennen: die Arten, die Lebensräume, die Fortbewegung, die Sozialstruktur und natürlich die «Musik» der Tiere, die in einem Video angehört werden kann.

Der einzigartige Gesang der Gibbons:

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«Die meisten Gibbonarten produzieren Duettgesänge», sagt Geissmann. Weibchen und Männchen singen jeweils unterschiedliche Strophen und koordinieren diese nach festen Regeln. Zudem kenne man von vielen Arten auch Sologesänge der Männchen. Diese dienen vermutlich dem Verteidigen von Territorien, der Anzeige der eigenen Fitness und eventuell der Partnersuche. Bei Duetten dagegen sind partnerbewachende Funktionen wahrscheinlich. «Die verpaarten Gibbons stimmen sich aufeinander ab und beantworten Rufe des Partners mit den dazugehörigen eigenen Strophen – in den richtigen Zeitintervallen», erklärt Geissmann und lächelt.

Die Ausstellung beschäftigt sich aber auch mit traurigen Kapiteln. Dazu gehört der kontinuierliche Niedergang der Gibbons. In China zum Beispiel haben die Sänger bereits 99 Prozent ihres Verbreitungsgebietes verloren. Und der Ausrottungsprozess hält weiter an. Schuld daran ist einerseits der Handel mit Wildfleisch, da Gibbons in Asien als Basis zur Herstellung traditioneller «Medizin» sehr begehrt sind. Die grösste Bedrohung für die Gibbons besteht aber in der Vernichtung, Zerstückelung und der Ausholzung des Waldes.

Passend dazu wird man beim Verlassen der Ausstellung mit erschreckenden Bildern von gerodeten Wäldern konfrontiert. «Wenn wir jetzt nichts unternehmen, werden weitere Gibbonarten aussterben», warnt Geissmann. Der Forscher wird alles dafür tun, um das zu verhindern. Schliesslich seien Gibbons sein Leben. Und sollten nur ein paar Fünkchen seiner Leidenschaft auf andere Tierfreunde übergehen, gibt es noch Hoffnung für die kleinen Menschenaffen.

Die Gibbon-Ausstellung ist bis April 2016 verlängert worden. http://www.gibbonconservation.org

Informationen zu der Schutzorganisation «Gibbon Conservation Alliance»

Website des Gibbons Research Lab von Thomas Geissmann

Unbekannte Verwandte
Gibbons sind als Menschenaffen näher mit dem Menschen verwandt als zum Beispiel mit Pavianen oder Languren. Sie leben in den immergrünen tropischen Regenwäldern Südostasiens in kleinen Familiengruppen von zwei bis zu sechs Tieren. Neben ihrem Gesang macht die Primaten ihre Fortbewegung einzigartig. Mit ihren langen Armen bewegen sie sich akrobatisch schwinghangelnd fort. Am Boden gehen Gibbons nicht etwa wie die meisten Affen auf allen Vieren, sondern menschenähnlich aufrecht.

Gibbons umfassen 19 Arten und vier Gattungen: Siamangs, Hulocks, Schopfgibbons und Kleingibbons. Die Gattungen liegen verwandtschaftlich so weit auseinander wie Menschen und Schimpansen. Weltweit lässt sich ihre Zahl nicht beziffern. Es steht aber fest, dass Gibbons die bedrohtesten Menschenaffen der Welt sind.