Wildtiere gebären ihren Nachwuchs zu dem Zeitpunkt, an dem die Umweltbedingungen einen optimalen Fortpflanzungserfolg ermöglichen. Rehkitze kommen deshalb zu Beginn der Vegetationszeit zur Welt. Wenn dieser nun neuerdings vor den angestammten Geburtsterminen der Rehe liegt, suchen die säugenden Rehgeissen vergeblich nach den gut verdaulichen Jungpflanzen, die ihre Milch so bekömmlich machen. Denn die Zeit des optimalen Nahrungsangebots und die Setzzeit der Rehe überlappen immer seltener, wie eine Studie unter der Leitung von Kurt Bollmann, Wildtierbiologe an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, beweist.

Während in höheren Lagen die Synchronizität von Vegetation und Rehgeburten noch optimal ist, driften Botanik und Zoologie in den tiefen Lagen auseinander. Das WSL-Forschungsteam hat Daten der letzten 45 Jahre verglichen. In dieser Zeit haben sich der Vegetationsbeginn um 20 Tage und der erste Heuschnitt um 14 Tage nach vorne verschoben. Damit konnten die Rehe nicht annähernd mithalten: Ihre Setztermine verschoben sich in all den Jahren nur um drei Tage nach vorn. «Ein Grund für die langsame Anpassung des Setztermins ist der Umstand, dass die Fortpflanzung des Rehs durch das Tag/Nacht-Verhältnis gesteuert ist. Dieses verändert sich nicht durch den Klimawandel», erläutert die Forschungsgruppe in einer Mitteilung vom Wochenende.

Flucht nach oben?
Noch ist die Lage nicht dramatisch. «Dank der relativ kleinräumigen und mosaikartigen Bewirtschaftung der verschiedenen Landwirtschaftskulturen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten wachsen, findet das Reh auch nach den optimalen Bedingungen im Wiesland genügend Nahrung», sagt Bollmann. Es ist aber möglich, dass die Rehe in Zukunft im Mittelland seltener werden und die Hügel- und Berglagen stärker besiedeln werden, weil dort die Vegetationsentwicklung später einsetzt und somit besser mit den Setzterminen übereinstimmt.

Dabei spielt auch die Witterung im Winter und zur Aufzuchtzeit eine Rolle. Die Forschenden empfehlen darum, das seit 1971 mittels Ohrmarkierung praktizierte Rehkitzmonitoring fortzusetzen und in den tieferen Lagen zu verdichten: «So können Bestandsveränderungen beim Reh rechtzeitig festgestellt und das Jagdmanagement entsprechend angepasst werden÷, sagt Maik Rehnus, Erstautor der Studie.