Die Schweiz ist die Kokainhochburg Europas. Das zeigte eine Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht im März 2018. Die Städte Zürich, St. Gallen, Genf, Basel und Bern gehören zu den europäischen Top Ten in Sachen Kokainkonsum – in dieser Reihenfolge. Zürich belegt den zweiten Platz hinter Barcelona, an Wochenenden sogar den ersten. Mehr als 1100 Milligramm Kokain pro 1000 Personen werden dann in der Limmatstadt pro Tag konsumiert. Blickt man auf die interaktive Karte, stellt man fest, dass der Konsum von Kokain im letzten Jahr auch in anderen Ländern angestiegen ist.    

Woher die Beobachtungsstelle das weiss? Sie hat das Abwasser untersucht. Und genau da liegt das Problem. Denn übers Abwasser geraten Kokain und andere Drogen in Flüsse, Seen und Meere. «Kokain ist die am häufigsten gefundene illegale Droge im Oberflächenwasser», schreiben Anna Capaldo von der Universität Neapel und ihr Team in ihrer letzte Woche im Fachjournal «Science of the Total Environment» erschienen Studie. Gründe dafür seien einerseits der «enorme Weltweite Konsum» und die «unterschiedliche Effizienz der Abwasserreinigungssysteme». Neben Drogen landen ausserdem Medikamente im Wasser, ebenso wie Schwermetalle, Antibiotika, Hormone und Pestizide.

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="0b5f3f9e-756a-4e72-a32f-3c6b2cfd91c0" data-langcode="de"></drupal-entity>
Gesundes (oben) und durch Kokain beeinträchtigtes (unten)
Muskelgewebe eines Aals.
  Bild: Anna Capaldo et al. Zoo

Hyperaktive Aale
Um mehr über Auswirkungen des Kokains auf die im Wasser lebenden Tiere herauszufinden, mussten in Capaldos Labor Europäische Aale (Anguilla anguilla) herhalten. Diese wurden während 50 Tagen einer Konzentration von 20 Nanogramm (0,00002 Milligramm) Kokain pro Liter ausgesetzt. Das entspreche der Realität in der Umwelt, wo die Kokainkonzentration zwischen 0,4 und 44 Nanogramm pro Liter schwanke.    

Die Resultate waren eindeutig: Während bei den Aalen auf Kokain nichts auf einen allgemein beeinträchtigten Gesundheitszustand hindeutete, zeigten sie Anzeichen von Hyperaktivität und schwammen schneller umher. Die Forscher fanden Ansammlungen der Droge im Gehirn, in den Muskeln, den Kiemen, der Haut und anderen Geweben. Die Muskulatur zeigte Symptome von Verletzung wie Faserrisse und Schwellungen. Auch 10 Tage nach dem Absetzen des Kokains waren diese noch nicht verheilt. In früheren Studien fanden Capaldo und ihre Kollegen bereits heraus, dass das Kokain auch die Hormone beeinflusst: Es wird vermehrt das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet, was zu Fettabbau im Tier führen kann. Auch erhöhte Dopamin-Werte wurden gemessen, was das Erreichen der Geschlechtsreife verhindern könnte.  

Kurz: «Alle Hauptfunktionen der Tiere könnten [durch das Kokain] verändert werden», sagt Capaldo zum «National Geographic». «Wir kennen die Auswirkungen von solchen Substanzen und Kombinationen von Substanzen im Wasser nicht, aber es ist klar, dass sie das Überleben und den Gesundheitszustand der Aale beeinflussen können.» 

Schwimmen ohne zu Fressen
Und das sind schlechte Nachrichten für die schlangenförmigen Fische, denn der Europäische Aal ist vom Aussterben bedroht. Der Grund dafür ist unter Anderem das Zubauen seiner natürlichen Wanderwege durch die Flüsse, in welchen sie ihre ersten fünf bis zwanzig Lebensjahre verbringen. Danach werden sie geschlechtsreif und beginnen ihre Reise von fast unglaublichen 6000 Kilometern, auf der sie ohne Nahrung zu sich zu nehmen gegen den Golfstrom durch den Atlantik schwimmen. Nach ein bis anderthalb Jahren erreichen sie die Sargassosee in der Nähe der Bahamas, wo sie sich mit ihren letzten Kraftreserven paaren, laichen und schliesslich sterben. Nach dem Schlüpfen driften und schwimmen die Larven nach Europa zurück.    

Hat also ein Aal eine beeinträchtige Muskulatur und kann sich nicht genug Fett anfressen, sinken seine Chancen, die Wanderung zu schaffen. Forscher sehen eine mögliche Lösung des Problems in verbesserter Technologie zur Abwasserreinigung und hoffen, dass Capaldos Studie genug Aufmerksamkeit generiert, damit mehr in solche Technologien invesiert wird.

Ebenfalls auf die prekäre Situation des Aals aufmerksam machen will der Schweizerische Fischereiverband. Er hat ihn deshalb zum Fisch des Jahres 2018 erkoren («Tierwelt Online» berichtete