Kolibris besitzen ein wunderschön schillerndes Gefieder, sind winzig klein und herzig. Diese Attribute machen sie bei den meisten Menschen zu Sympathieträgern. Die süssen Vögelchen können untereinander aber auch ganz schön rabiat sein. Vor allem die Männchen geben sich gerne aggressiv.

Wie in der Vogelwelt häufig tragen auch die Männchen verschiedener Kolibriarten ein viel bunteres und auffälligeres Federkleid als die Weibchen. Bei diesen Arten balzen die buntgefärbten Männchen um die Gunst der Weibchen. Und diese suchen sich dann den schönsten ihrer Verehrer aus, da dieser auch für den stärksten Nachwuchs sorgen kann. Schon Charles Darwin beobachtete dieses Phänomen und nannte es sexuelle Selektion.

Weibchen im Männchenkleid
Bei den in Zentral- und Südamerika heimischen Weissnackenkolibris haben Forschende um Jay Falk von der US-amerikanischen Cornell University und dem Smithsonian Tropical Research Institute in Panama etwas ziemlich Sonderbares festgestellt. Hier tragen nämlich etwa 20 Prozent der Weibchen die gleiche schillernde Federpracht wie die Männchen – sie sind sogenannt androchrom. Das weniger auffällig gefärbte Gefieder der übrigen Weibchen bezeichnet man als heterochrom.

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Als wäre das nicht schon seltsam genug, stellte das Forschungsteam obendrein fest, dass sämtliche Jungvögel vor der Geschlechtsreife ebenfalls eine androchrome Färbung aufweisen. «Das ist wirklich ungewöhnlich. Normalerweise schauen die Jungen wie die Weibchen aus und das ist fast durchgehend bei allen Vögeln so», sagt Falk in einer Medienmitteilung. «Bei den Weissnackenkolibris aber schauen die Jungen wie die Männchen aus. Es war also klar, dass hier etwas los ist, dem wir auf dem Grund gehen müssen.»

Sexuelle Selektion kommt in diesem Fall als Erklärung für die farbigen Weibchen und Jungvögel nicht in Frage, denn Letztere müssen sich ja noch nicht mit der Suche nach Paarungspartnern herumschlagen. Wie Falk und sein Team in ihrer im Fachjournal «Current Biology» dann auch schreiben, sei in diesem Fall wohl eher eine Form sozialer Selektion am Werk.

Weniger Aggression
Wie die Forschenden in einem Versuch zeigen konnten, verhalten sich die androchromen Männchen an Futterstellen viel öfter aggressiv gegenüber heterochromen Weibchen – androchrome Weibchen dagegen liessen sie weitgehend in Ruhe, andere Männchen und Jungtiere ebenso. Das gilt sogar für androchrome und heterochrome Tiere anderer Kolibriarten. Weil sie weniger aggressiv angegangen werden, haben androchrome Weibchen damit auch mehr Zugang zu der Futterstelle. Dies stellten die Forschenden ebenfalls fest.

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Die Weibchen müssen es also selbst in die Hand nehmen, wenn sie männlicher Belästigung entgehen wollen – eine Tatsache, die manch einer Leserin bekannt vorkommen dürfte. Weissnackenkolibri-Weibchen greifen dabei zu einem eigentlich ziemlich drastischen Mittel: sie geben sich als Männchen aus. Ob dies allerdings bewusst geschieht, in den Genen festgelegt ist oder von gewissen Umweltfaktoren abhängt, wissen die Forschenden indes – noch – nicht.

Vor Räubern geschützt
Auch weshalb die grosse Mehrheit der Weibchen trotzdem heterochrom bleibt, ist nicht ganz klar, denn: «Wir fanden nicht viele Vorteile für diesen Gefiedertyp», heisst es in der Studie. Dennoch seien heterochrome Weibchen als Paarungspartnerinnen stark bevorzugt. Doch es gäbe keine Hinweise darauf, dass der Bruterfolg der Weibchen vom Zugang zu Männchen abhängig sei. Viel eher sei anzunehmen, dass die unauffällig gefärbten Weibchen beim Brüten weniger von Raubtieren gefunden und gefressen werden. Eine Erklärung, die für alle Vogelweibchen mit dezentem Federkleid postuliert wird.

Es sei auf alle Fälle bemerkenswert, dass die schillernden Farben der Weibchen in diesem Fall kein Resultat sexueller Selektion seien, wie man das gemeinhin bei grossen Unterschieden zwischen den Geschlechtern im Tierreich annimmt. Bei den Weissnackenkolibris entstanden die androchromen Weibchen aufgrund einer sozialen Situation. Dies, so schreiben die Forschenden, sollte in Zukunft auch in Betracht gezogen werden, wenn man die auffälligen Merkmale mancher Männchen studieren will.