Wenn wir an einen langen Hals im Tierreich denken, fällt uns sofort die Giraffe ein, mit einer Körperhöhe von bis zu sechs Metern das höchste Landtier der Welt. Allein der Hals einer Giraffe ist bis zu 2,5 Meter lang und kann bis zu 250 Kilogramm wiegen. Der Giraffenhals hat trotz dieser Länge nur sieben Halswirbel, wie wir Menschen und die anderen Säugetiere auch. Allerdings sind das gewaltige Halswirbel: Ein einziger Giraffenwirbel ist in etwa so gross, wie ein Aktenordner.

Aber warum hat eine Giraffe eigentlich so einen langen Hals? Eindeutig geklärt hat die Wissenschaft diese Frage bis heute nicht. Es existieren jedoch verschiedene Theorien. Dank ihres langen Halses haben sich Giraffen eine Nahrungsquelle erschlossen, die sie nicht mit anderen Tieren teilen müssen: die Blätter von Bäumen, die sich hoch oben im Geäst befinden. Die bekannteste Theorie besagt: Wenn eine Giraffe dank einer zufälligen Mutation, also einer zufälligen Veränderung ihres Erbgutes, einen längeren Hals hat, dann kommt sie besser an die Nahrung hoch oben in den Bäumen, als eine Giraffe mit einem kürzeren Hals. Ein Vorteil, der sich letztendlich in der Evolution durchgesetzt hat.

Giraffen kämpfen mit ihren Hälsen

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Schutz vor der afrikanischen Hitze?
Eine zweite Theorie sagt dagegen, dass ein besonders langer Hals den Giraffenbullen dabei hilft, ihre Gene durchzusetzen. Die Bullen kämpfen in der Brunftzeit oft miteinander um das Vorrecht, sich mit einer Giraffendame paaren zu können. Und zwar, indem sie ihre Hälse gegeneinanderschlagen. Ein Vorgang, der in der Fachsprache als «Necking» bezeichnet wird. Und da gewinnt meistens der Giraffenbulle, der einen längeren Hals hat. Nach siegreicher Schlacht darf er selbstverständlich seine Gene weitergeben, das heisst, gemäss dieser Theorie geht der lange Hals der Giraffen auf eine sexuelle Selektion zurück.

Und dann gibt es noch die Theorie, dass der lange Hals und die langen Beine der Giraffe dabei helfen, nicht zu überhitzen. Betrachtet man eine Giraffe von vorne, ist ihre Kontur lang und schmal. Das heisst, schaut eine Giraffe frontal in die Sonne, dann ist eine geringere Körperfläche der Sonneneinstrahlung und damit der Hitze ausgesetzt, als wenn sie seitlich zur Sonne steht. Sie kann also allein dadurch, wie sie sich in die Sonne stellt, ihre Körpertemperatur regulieren. Ein Vorteil in den heissen Savannen Afrikas.

Ihr Blut in sechs Meter Höhe bis hin zu ihrem Gehirn zu pumpen und so mit Sauerstoff zu versorgen, diese bemerkenswerte Leistung schafft die Giraffe, weil sie einen unglaublich hohen Blutdruck hat. Er ist mit 280 zu 180 doppelt so hoch wie bei uns Menschen. Dazu hat die Giraffe ein sehr leistungsstarkes Herz, das stolze 13 Kilogramm wiegt und bis zu 60 Liter Blut pro Minute pumpt. Zum Vergleich: Das Herz eines Menschen wiegt gerade mal 300 Gramm.

Nur wenige Minuten im Tiefschlaf
Übrigens: Das immer wieder gerne kolportierte Gerücht, dass Giraffen im Stehen schlafen müssen, weil sie sich mit ihrem langen Hals und ihren langen Beinen aus einer liegenden Position nicht mehr aufrichten können, entspricht nicht der Wahrheit. Eine Giraffe legt sich zum richtigen Schlafen, sprich zum Tiefschlaf, wie andere Säugetiere auch, auf den Boden. Dabei faltet sich das gewaltige Tier regelrecht zusammen. Es klappt seine Beine ein, legt sich auf den Boden, biegt den langen Hals ganz nach hinten und legt den Kopf auf einem der Hinterbeine ab. Dadurch verhindert die Giraffe, dass während des Tiefschlafs, wenn sich ihre Muskulatur entspannt, der Kopf auf dem Boden aufschlägt.

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Allerdings kommt eine Giraffe aus dieser komplizierten Liegeposition nur schwer und mühsam wieder nach oben. Am schnellen Aufstehen hindern sie einerseits der lange Hals und die langen Beine, die erst wieder entknotet werden müssen. Andererseits die 1,5 Tonnen Gewicht, die zumindest im Fall eines Giraffenbullen nach oben gewuchtet werden müssen. Genau deshalb legen sich Giraffen nur ungern zum Schlafen hin und auch nur dann, wenn sie sich sehr sicher fühlen. Und der Tiefschlaf dauert oft nur wenige Minuten, bis zu höchstens einer halben Stunde. Denn in dieser Schlaf-Position ist eine Giraffe natürlich nicht verteidigungsfähig. Sie kann ihre gefürchteten Huftritte, die auch schon mal einem Löwen ein paar Knochen brechen können, nicht einsetzen. Wohl deshalb hat die Giraffe noch eine zweite Schlafart in petto. Sie döst mehrmals am Tag. Und das kann sie in der Tat auch im Stehen.

Die Giraffe ist aber keinesfalls das einzige Tier, das einen extrem langen Hals hat. Es gibt zum Beispiel ein Insekt, das ihr diesbezüglich Konkurrenz macht – bei ganz anderen Grössenmassstäben selbstverständlich. Es handelt sich um ein Tier, das ausschliesslich auf der Insel Madagaskar vorkommt und bei dem schon der Name verrät, dass es einen langem Hals hat – der Giraffenhalskäfer.

Die Kämpfe der Giraffenhalskäfer

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Ein Käfer mit einem Gelenk im Hals
Giraffenhalskäfer werden bis zu 2,5 Zentimeter lang und haben eine auffallend schwarz-rote Färbung. Allerdings haben bei dieser Käferart Männchen und Weibchen einen verschieden langen Hals. Der Hals des Männchens, der übrigens sogar ein Gelenk aufweist, ist unglaublich lang und macht fast zwei Drittel der Gesamtlänge des Tieres aus. Der Hals des Weibchens ist dagegen nur halb so gross wie der des Männchens. Ein so signifikanter Unterschied im Aussehen von Männchen und Weibchen wird in der Biologie als Geschlechtsdimorphismus bezeichnet.

Die Wissenschaft hat durch gründliches Beobachten des Liebeslebens der kleinen Käfer herausgefunden, warum das Männchen einen so deutlich längeren Hals hat als das Weibchen. Er dient als Waffe, wenn die Männchen in der Balz um die Gunst eines Weibchens kämpfen. Die Käfermänner versuchen dabei mit ihren langen Hälsen ihren Rivalen zu schlagen, zu drücken oder am besten vom Blatt zu schieben. Das Prinzip ähnelt also der Vorgehensweise bei den Giraffenbullen, die ja, wie bereits erwähnt, ebenfalls mithilfe ihrer Hälse um die Weibchen kämpfen. Und auch bei Giraffenhalskäfern gilt: Nur der Sieger darf sich, als Belohnung, mit dem umworbenen Weibchen paaren.