Brombeerstängel, die plötzlich kleine Pfropfen tragen; Besenheiden, an denen seltsame Lehmknollen kleben; sonnenbeschienene Wände, die mit Lehmklümpchen übersät sind – all das sind Werke von Töpferwespen. Letzteres zum Beispiel der Grossen Lehmwespe, Delta unguiculata. Sie ist die grösste heimische Töpferwespe, das Weibchen wird 2,5 Zentimeter lang. Das Kunstwerk, das sie töpfert, erinnert stark an eine griechische Amphore. Für jede braucht sie eine lehmige Stelle für den Baustoff, eine sonnige Mauer als Bauplatz, damit sich die Larve in der Wärme gut entwickeln kann, mehrere Stunden Zeit und besonnte Laubbaumwipfel, die von Raupen befallen sind. 

Eine Grosse Lehmwespe arbeitet an einem Brutnest auf einem Balkon in Zofingen AG (Video: Kilian Disler):

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Damit der Lehm sich gut verarbeiten lässt, feuchtet sie ihn mit Wasser an, das sie vorher eigens zu diesem Zweck getrunken hat und auf den Lehm ausspeit. Sie formt Kügelchen, transportiert sie zum Bauplatz und formt stundenlang an der Brutzelle. Denn nichts anderes ist die kleine Amphore: In sie hinein legt die Töpferwespe ein Ei – es hängt an einem Stiel von der Decke. Ausserdem wird der Nachwuchs mit einer prall gefüllten Speisekammer ausgestattet – in jeder Brutzelle sind zwei bis drei betäubte Nachtfalterraupen. 

Eine Grosse Lehmwespe bringt eine Raupe zum Nest (Video: Jérôme Gorgues):

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Dann mauert sie den Eingang zu und nimmt den Bau der nächsten Zelle nebenan in Angriff. «Geeignete Lehmstellen und Jagdgebiete können mehrere Hundert Meter voneinander entfernt sein», erklärt Seraina Klopfstein, Wespenexpertin am Naturhistorischen Museum in Basel. «Die Wespe legt in einem Tag locker ein paar Kilometer zurück.»

Wenn die Larve schlüpft, fällt sie dank ihrer Position, die sie wie eine Zimmerlampe über dem Nahrungsvorrat baumeln lässt, von selbst auf die Raupen. Nach höchstens zwei Wochen sind alle bis aufs Letzte ausgesaugt. Nur die Raupenhäute bleiben zurück. Die Larve spinnt dann einen Kokon und verbringt die nächsten Monate unbeweglich in der Brutzelle. Erst im nächsten Juni verlässt die neue Wespengeneration ihre Lehmhäuser. 

Vorstufe sozialer Insektenstaaten
Wenn man erst einmal davon weiss, sieht man solche Brutzellen plötzlich überall. Sie sehen im Endzustand aus, als hätten Kinder aus Langeweile Lehmklümpchen an die Wand geworfen. Denn die Grosse Lehmwespe lässt am Schluss all die kunstvollen Amphoren unter einer unscheinbaren Schutzschicht aus Lehm verschwinden, die sie zu einer glatten Fläche verstreicht. So wissen andere Insekten, welche die Wespen parasitieren, nicht, wo genau sich deren Larven befinden – die Chancen für den Nachwuchs steigen.

Töpferwespen leben stets solitär. Gerade das mache sie im Zusammenhang mit ihren hingebungsvollen Vorbereitungen für den Nachwuchs interessant, sagt Klopfstein: «Töpferwespen sind ein wichtiges Bindeglied zur Entstehung sozialer Insektenstaaten wie dem der manchmal lästigen sozialen Wespen, die gemeinsam Papiernester bauen.» Die Brutfürsorge der Töpferwespen ist eine weit fortgeschrittene Stufe im Vergleich zu Insektenarten, die ihr Ei einfach in geeigneter Umgebung ablegen. «Es ist spannend, welches Geschick die Wespen an den Tag legen. Sie betreiben einen riesigen Aufwand, damit die Startbedingungen für die nächste Generation optimal sind», sagt Klopfstein. 

Trotzdem ist auch die scheinbar sichere Behausung nicht vor Eindringlingen gefeit. Während der Bauphase betätigen sich Ameisen als Nesträuber, weshalb Töpferwespen ihre Nester manchmal in erstaunlichen Höhen anlegen. Aber auch so ist das sorgsam zugemörtelte Bauwerk nicht einbruchssicher. Die Schlupfwespe Stenarella domator zum Beispiel ist darauf spezialisiert, die Mini-Amphoren anzubohren.

Vollgestopft mit Rüsselkäferraupen
Andere Töpferwespen-Arten wie Odynerus spinipes, die seltene Gemeine Schornsteinwespe, graben sogar Gänge in Steilwände. Den Aushub vermischen die Weibchen mit Wasser, das sie herantransportieren. Sie bauen daraus eine charakteristische, wasserhahnförmige Röhre. Auch in ihrem Nest hängt jeweils ein Ei in einer eigenen Kammer. Die Nahrung für die Larve besteht aus bis zu 20 Rüsselkäferlarven. Die Wespe legt mehrere vom Hauptgang abzweigende Kammern an. Zum Schluss wird der Eingang mit Material aus der vorgebauten Röhre verschlossen. Die ganze Bautätigkeit dauert etwa zwei Wochen. Die Larvenentwicklung geht umso rascher: Nach nur einer Woche beginnen die Larven, sich Kokons zu spinnen. 

Die Gemeine Schornsteinwespe mit ihren typischen, wasserahnförmigen Röhren (Video: Jan Wijn):

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Gymnomerus laevipes wiederum macht es sich etwas leichter. Diese Art nutzt sozusagen lieber einen Altbau um, in diesem Fall Brombeerstängel. Sie nagt einen Stängel aus, kleidet diese Brutzelle mit Lehm aus und verschliesst das Ganze unauffällig mit dem Mark des Stängels. Natürlich nicht ohne vorher Rüsselkaferlarven hineinzustopfen. Die häufige Microdynerus exilis handhabt das genauso. Sie nutzt aber ebenso gern verlassene Frassgänge von Käfern, sofern diese etwas über zwei Millimeter breit sind. 

Die verbreitete Eumenes pedunculatus wiederum baut Nester aus Lehm, die sie an Pflanzenstängel, gern die Besenheide, wenige Zentimeter über dem Boden anheftet. Ihr dienen als Nahrungsvorrat bis zu zehn Spannerraupen, die sich ansonsten an Gartenpflanzen gütlich tun würden. Wer also seltsame Lehmknollen im Garten findet, kann sich glücklich schätzen und sollte sie einfach in Ruhe lassen. Bis die Wespen im Juni schlüpfen und dann tatkräftig bei der Schädlingsbekämpfung in nächster Generation helfen.