Rot und auffallend schön ist sie, die Libelle, die es sich auf einem Blatt am heimischen Gartenteichlein bequem gemacht. «Wunderbar», denkt sich die libellenunkundige «Tierwelt»-Online-Redaktorin, schiesst ein Foto und will einen Bestimmungsversuch wagen. Das Mittel dazu: «Libellen der Alpen – der Bestimmungsführer für alle Arten» des italienischen Insektenforschers Matteo Elia Siesa. Bereits letztes Jahr erschien das Buch im Schweizer Hauptverlag zum ersten Mal auf Deutsch und landete im November 2019 als Rezensionsexemplar auf den Schreibtischen der «Tierwelt»-Redaktion. Dem winterlichen Libellenmangel geschuldet konnten wir es bis jetzt nicht auf seine Tauglichkeit überprüfen – die Corona-Homeoffice-Zeit eignet sich dazu nun aber bestens.

Die Libellen – so lernen wir im Buch auf den ersten Seiten – werden grundsätzlich eingeteilt in die zwei Unterordnungen der Grosslibellen und der Kleinlibellen. Die dritte Unterordnung, die Urlibellen, kommen nur in Asien vor. Die Gross- und die Kleinlibellen unterscheiden sich im Körperbau in einigen Punkten. Der augenfälligste Unterschied jedoch ist die Tatsache, dass Grosslibellen die Flügel in Ruhestellung seitlich vom Körper abstehend halten, die Kleinlibellen dagegen halten sie über dem Rücken geschlossen. Unsere rote Libelle im Garten tut das Letztere, womit sie sich eindeutig als Kleinlibelle zu erkennen gibt.

Das herauszufinden war einfach, jetzt wird es komplizierter. Auf einer Doppelseite bietet das Buch einen Bestimmungsschlüssel, der einen zu der richtigen Familie leiten soll. Bei den Kleinlibellen geschieht dies vor allem aufgrund der Flügel, die aber, weil Kleinlibellen sie ja über dem Rücken geschlossen halten, auf dem Foto schwer zu erkennen sind. Von Nodus und Arculus ist hier die Rede, von Radialadern und Pterostigmata. Auf den vorhergehenden Seiten in den einführenden Kapiteln werden diese Begriffe aber erklärt – mitsamt Illustration.

Das Pterostigma – eine farbige Zelle nahe der Flügelspitze – könnte durchaus länglich aussehen. Auch sind im Flügel einige fünfeckige Zellen zu sehen. Das, so sagt das Buch, deutet auf de Familie der Teichjungfern. Blättert man diese nun aber durch, so findet man unsere rote Libelle nicht.

[IMG 2-14]

Identifizierung gelingt
Nächster Versuch. Das Pterostigma sieht länglich aus, weil die beiden Flügel übereinander liegen, entscheiden wir. Eigentlich ist es aber kurz. Und es sind doch mehr viereckige als fünfeckige Zellen zu sehen. Ausserdem weisen die Beine keine Verbreiterungen auf. Dieses Mal landen wir bei den Familien der Schlanklibellen und – bingo! – hier ist sie, die Frühe Adonislibelle.

Diese Kleinlibelle hat ein sehr grosses Verbreitungsgebiet, das von Marokko über den Nordiran bis nach Russland reicht, erfährt man aus dem Buch. Im Alpenraum ist sie häufig und nicht gefährdet. Man findet sie meist in Höhenlagen von 200 bis 700 Metern, in der Schweiz gibt es aber bei Oberhalbstein GR eine Population, die sich auf 1950 Meter hinaufgewagt hat.

Überhaupt enthält das Buch sehr viel Lehrreiches über diese urtümlichen Insekten, die im Alpenraum noch wenig erforscht sind. So gibt es in den Alpen Populationen von kälteliebenden Libellenarten, die sich seit der letzten Eiszeit hier halten und sonst nur in Nordeuropa vorkommen. Am höchsten hinaus fliegt in der Schweiz die Torf-Mosaikjungfer, die den Riffelsee bei Zermatt auf 2757 Metern über Meer besiedelt.

Der Libellenführer, der zum ersten Mal alle 89 Arten des Alpenbogens vereint, eignet also sowohl zum Bestimmen in der Praxis – wer sich bereits auskennt und mit den Fachbegriffen vertraut ist, ist zwar im Vorteil, doch auch als Laie kriegt man es hin –, als auch einfach zum Lesen und um Neues zu erfahren. Und wer weiss, vielleicht schaut man ja bei der nächsten Wanderung mit anderen Augen auf den Bergsee. Oder auch nur auf den Teich im eigenen Garten.

[IMG 15]

Matteo Elio Siesa: «Libellen der Alpen
– der Bestimmungsführer für alle Arten»
1. Auflage 2019
Flexobroschur, 240 Seiten; 735 Fotos und 260 Illustrationen
Haupt Verlag
44.- Franken
ISBN: 978-3-258-08097-0