Im Sommer 2015 beobachtete Rassim Khelifa, Entomologe an der Universität Zürich, wie eine weibliche Torf-Mosaikjungfer an einem Teich in Arosa von einem Männchen verfolgt wurde, eine Bruchlandung hatte und auf dem Rücken liegen blieb. Doch tot war sie nicht. Kurz nachdem das Männchen weggeflogen war, flog auch das Weibchen gesund und munter wieder davon. Der verblüffte Khelifa ging der Sache nach. Seine Ergebnisse hat er vor einigen Monaten im Fachjournal «Ecology» veröffentlicht. 

Während 72 Stunden beobachtete Khelifa das Verhalten der weiblichen Libellen nach der Eiablage an zwei Teichen, einer in Arosa und einer in der Lenzerheide. Nach der Eiablage seien die Weibchen am anfälligsten für Belästigung seitens der Männchen, da diese ständig auf der Suche nach neuen Partnern die Teiche umschwärmen. Von 35 beobachteten Weibchen wurden alle von einem Männchen verfolgt. 31 der Weibchen entschlossen sich zu einer Bruchlandung, 27 von ihnen täuschten daraufhin ihren Tod vor, 21 hatten damit Erfolg. Die Weibchen, die nicht abstürzten, sondern weiterflogen, wurden alle von den Männchen eingeholt.

Extrem effektiv
Ein Vortäuschen des eigenen Todes kommt im Tierreich zwar einigermassen häufig vor – die Tiere tun dies allerdings meist, um Fressfeinde irrezuführen. Um sexueller Nötigung zu entgehen, sei das Verhalten aber extrem selten und erst bei vier anderen Arten dokumentiert: einer Spinne, zwei Raubfliegen und der Europäischen Gottesanbeterin, schreibt Khelifa. Auch von Torf-Mosaikjungfern sei schon bekannt gewesen, dass sie ihren Tod vortäuschen, um nicht gefressen zu werden. Deshalb vermutet Khelifa, dass es sich beim Verhalten der Weibchen um eine sogenannte Exaptation handelt – eine Zweckentfremdung. Die Weibchen haben den Gebrauch des bereits vorhandenen Verhaltens ausgeweitet und es sich zu Nutze gemacht. «Extreme Sexualkonflikt-Lösung» nennt Khelifa das Ganze. Extrem auf jeden Fall – aber auch effektiv.