Das Erbrochene eines Pottwals wurde früher von Parfümherstellern in aller Welt mit Gold aufgewogen: Ambra heisst die wachsartige, grauschwarze Substanz, die im Verdauungstrakt von Pottwalen gebildet wird. Frisch ausgeschieden, riecht Ambra zwar eher abstossend. Nach einiger Zeit jedoch, und dank dem Kontakt mit Luft, Salzwasser und Licht, entwickelt die Substanz einen äusserst angenehmen Duft, der von Experten als tabakartig, balsamartig und sogar aphrodisierend beschrieben wird. Verantwortlich, so neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, ist hierfür eine Substanz namens Ambrein. Zudem hat Ambra die wunderbare Eigenschaft, Düfte länger haltbar zu machen. All diese Eigenschaften machen die wunderliche Substanz für Parfümproduzenten sehr interessant.

Wie Ambra genau gebildet wird, ist auch unter Experten strittig. Hermann Melville, Autor des Weltbestsellers «Moby Dick», glaubte noch daran, dass Ambra lediglich im Darmsystem kranker Pottwale entstehen kann: «Wer würde wohl denken, dass die feinsten Damen und Herren sich an einem Wohlgeruch laben, den man aus den ruhmlosen Gedärmen eines kranken Pottwals holt! Und doch ist es so. Der graue Amber wird von manchen für die Ursache, von anderen für die Folge mangelhafter Verdauung gehalten, an der Wale mitunter leiden. Wie eine solche Dyspepsie zu kurieren wäre, lässt sich schwer sagen; es sei denn, man gibt dem Patienten drei, vier Bootsladungen Rhabarberpillen ein und verzieht sich dann schleunigst aus der Schusslinie.»

Heute vermuten die meisten Wissenschaftler, dass Ambra beim Verdauen der Nahrung entsteht. Pottwale ernähren sich nämlich fast ausschliesslich von riesigen Kalamaren. Diese gewaltigen Tintenfische sind jedoch mit einem unverdaulichen, scharfkantigen Hornkiefer ausgestattet, der bei der Passage durch den Pottwaldarm oft Verletzungen der Darmwand hervorruft, auf die der grösste Zahnwal der Welt zum Wundverschluss mit der Produktion von Ambra reagiert. 

Allerdings, so zeigen Forschungsergebnisse, produzieren gerade mal fünf Prozent aller Pottwale überhaupt Ambra. Das Durchschnittsgewicht eines Ambrabrockens beträgt dabei rund zehn Kilogramm. Es wurden aber auch Stücke von bis zu 100 Kilogramm gefunden. Normalerweise wird der Ambrabrocken vom Pottwal nach einiger Zeit ausgeschieden, genauer gesagt erbrochen. Die Auswürfe werden, da sie leichter sind als Wasser und daher auf der Meeresoberfläche treiben, auch heute noch hie und da an einen Strand angeschwemmt. 

Brite findet 2013 einen wertvollen Klumpen Ambra

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Darf man’s behalten?
So fanden etwa 2006 der Fischer Leon Wright und seine Frau Loralee bei einem Spaziergang an einem südaustralischen Strand einen etwas eigenartig riechenden Brocken von wachsartiger Konsistenz mit einem Gewicht von über 15 Kilogramm. Wright nahm den Brocken trotz seines unangenehmen Geruchs mit nach Hause, um dort festzustellen, dass es sich um Ambra handelte. Laut Experten hatte der Fund, bei einem zurunde gelegten Preis von 17 Euro pro Gramm, einen Wert von mehr als 240 000 Euro.

Ein noch grösserer Ambrabrocken wurde 2012 in einem Pottwalkadaver gefunden, der vor der niederländischen Insel Texel angespült worden war. Den Wert dieses Brockens schätzte man damals auf rund eine halbe Million Euro. Stellt sich natürlich die Frage: Gesetzt den – zugebenermassen unwahrscheinlichen – Fall, dass man einen echten Ambra­brocken am Strand findet, darf man ihn dann behalten und verkaufen? So ein Fund könnte einem ja ein Vermögen einbringen. 

Nun, die Gesetzeslage ist von Land zu Land verschieden. Generell darf man nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen Tiere oder Teile von Tieren, die durch dieses Abkommen geschützt sind, nicht besitzen oder handeln. Allerdings schliesst das Abkommen Urin, Kot oder eben Ambra aus, wenn es auf «natürliche Weise» ausgeschieden wurde, also erbrochen worden ist. In Ländern der EU darf man deshalb einen am Strand angespülten Ambrabrocken behalten. In den USA und in Australien sieht man das anders. Dort ist der Besitz und Handel von Ambra streng untersagt.

Warum Ambra so wertvoll ist (auf Englisch)

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Ambra vom Hefepilz
Schon in den 1930er-Jahren gelang es übrigens, Ambra künstlich herzustellen – aus Inhaltsstoffen von Pflanzen wie dem Muskatellersalbei. Unglücklicherweise war die Herstellung ineffizient, teuer und teilweise auch umweltschädlich. Zudem erreichte die künstlich hergestellte Ambra nicht die gleiche Duftnote, wie die natürliche.

2019 aber gelang es österreichischen Forschern, ein neues, deutlich besseres Herstellungsverfahren von künstlicher Ambra zu entwickeln, das dazu noch ein besseres Endprodukt liefert. Die Wissenschaftler veränderten einen Hefepilz namens Pichia pastoris gentechnisch so, dass er Ambrein, den Wirkstoff von Ambra, herstellt. 

Die Ausbeute mit dieser Methode ist nach Aussagen der Wissenschaftler sieben Mal höher als mit der alten Methode und deutlich umweltfreundlicher, weil bei der Herstellung weniger Ressourcen verbraucht werden. Die Hefepilze werden nämlich lediglich mit Zucker, Glyzerin oder anderen einfachen Kohlenstoffquellen gefüttert. Dazu kommt, dass der Duft dieses künstlichen Ambreins eins zu eins der echten Ambra entspricht. Die Österreicher haben das Verfahren denn auch zum Patent angemeldet. Bis zur Marktreife der gentechnisch hergestellten Ambra dürfte
jedoch noch einige Zeit vergehen.