In einem Laborexperiment liess ein Wirkstoff aus der Gruppe der weit verbreiteten Neonikotinoide die Zahl eierlegender Hummelköniginnen um 26 Prozent schrumpfen. Für das Überleben einer Population habe das dramatische Folgen, berichten britische Forscher im Fachjournal «Nature Ecology & Evolution». Bei verbreitetem Einsatz der Substanz liege ihr errechnetes Aussterberisiko bei etwa 28 Prozent – und das sei noch vorsichtig geschätzt.  

Die Wissenschaftler um Gemma Baron von der Royal Holloway University of London in Egham hatten eine sehr sensible Phase im Lebenszyklus der Dunklen Erdhummel (Bombus terrestris) betrachtet: Nach dem Winterschlaf sind die Königinnen auf sich allein gestellt, wenn sie ein Nest bauen. Fressfeinde, Parasiten und Krankheiten oder eben Umweltgifte können ihnen dann schwer zusetzen.  

Das Team liess 319 befruchtete Hummelköniginnen überwintern und variierte dabei drei Faktoren: die Länge des Winterschlafes, den Befall mit einem Parasiten und das Vorhandensein des Neonikotinoids Thiamethoxam. Verwendet wurde über zwei Wochen eine Dosis des Wirkstoffes, wie sie auch durch landwirtschaftlichen Pestizideinsatz in der Natur vorkomme, betonen die Wissenschaftler.  

Das Ergebnis: Ein kurzer Winterschlaf verringerte erheblich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Hummelkönigin Eier legte. Einen verstärkenden Effekt des Pestizids fanden die Forscher in diesem Fall nicht, ähnliches galt für den Parasitenbefall.

Stressreaktion auf Insektizid  
Mit Thiamethoxam belastete Königinnen legten früher Eier, zudem legten 26 Prozent weniger Königinnen Eier als in der Kontrollgruppe unbelasteter Tiere. Den Zeit-Effekt erklären Baron und Kollegen mit einem Phänomen, das auch von anderen Arten bekannt ist: Angesichts von Feinden oder anderem Umweltstress beginnen manche Tiere früher als üblich mit ihren Fortpflanzungsaktivitäten.  

In Modellrechnungen schlossen die Forscher dann aus den gewonnenen Daten auf das Risiko einer Population, wegen des Thiamethoxam-Einsatzes in einem Gebiet zu verschwinden. «Wenn Königinnen keine Eier produzieren und neue Völker hervorbringen, ist es möglich, dass Hummeln ganz aussterben», erklärte Baron.  

Die Bedenken gegen den Einsatz von Neonikotinoiden betreffen vor allem drei Eigenschaften: Die mobilen Moleküle werden in alle Pflanzenteile, auch die Blüten und Pollen, aufgenommen und verbreiten sich zudem in der Umwelt. Die Wirkstoffe bleiben sehr lange in der Natur. Und sie sind schon in geringen Mengen wirksam.

Teilverbote in der EU und der Schweiz  
Drei Neonikotinoid-Insektizide, Thiamethoxam, Imidacloprid und Clothianidin, sind in der EU bereits für das Beizen von Saatgut (mit Ausnahme der Futter- und Zuckerrübe) und als Spritzmittel in blühenden Kulturen verboten, andere Anwendungen sind jedoch noch erlaubt. Auch in der Schweiz herrscht für diese Mittel ein Teilverbot.  

Erst kürzlich hatte ein Team um Ben Woodcock vom britischen Natural Environment Research Council gezeigt, dass Neonikotinoide die Überwinterungsfähigkeit und den Fortpflanzungserfolg von Bienen und Hummeln beeinträchtigen können. Bienenforscher der Universität Bern hatten zudem vergangenes Jahr mit internationalen Kollegen gezeigt, dass Neonikotinoide die Spermienqualität männlicher Honigbienen beeinträchtigt und damit die Fortpflanzung der Insekten stört.  

Nachdem lange Zeit die Honigbiene im Mittelpunkt der Forschung stand, zeigten Wissenschaftler 2016 mit einer Studie, dass vermutlich auch Wildbienen und Schmetterlinge unter Neonikotinoiden zu leiden haben. Frühere Studien legten zudem nahe, dass die Wirkstoffe das Gedächtnis und den Orientierungssinn von Bienen beeinträchtigen.