Den allerbesten Ruf haben Schnecken nicht. Im Garten will sie kaum jemand haben – sie könnten sich ja am Blattsalat vergehen. Ihre Schleimspur auf der Fensterscheibe macht nach dem Sommerregen den Frühlingsputz gleich wieder zunichte. Und anfassen möchte man die glibbrigen Weichtiere ja auch nicht unbedingt. Nein, Schnecken bringen die meisten Menschen allerhöchstens Gleichgültigkeit entgegen.

Anders die Naturfreunde des Vereins Hotspots. Die Gruppierung mit dem eingängigen Untertitel «Verein zur Erhaltung und Aufwertung von Kulturlandschaften mit hoher Artenvielfalt» setzt sich mit diversen Projekten für die Natur in der ganzen Schweiz und im grenznahen Ausland ein: Für Orchideen oder den Glögglifrosch, für Uferschwalben, Kastanienselven – und eben für Schnecken.

«Man nimmt die Schnecken oft gar nicht recht wahr», sagt Julia Fürst. «Dabei sind sie so vielfältig und speziell.» Die Biologin koordiniert das Projekt für den Verein Hotspots, das im Juni dieses Jahres in eine neue, zweite Projektphase gestartet ist. Bis 2024 sollen fünf seltene Schneckenarten der Trockenwiesen und Ruderalflächen, so nennt sich der bevorzugte Lebensraum dieser Gruppe von spezialisierten Weichtieren, gefördert werden. 

Bei den geförderten Arten handelt es sich nicht etwa um schädliche Nacktschnecken, sondern um fünf kleine Häuschenschnecken, die grössten von ihnen knapp mehr als einen Zentimeter lang. Sie stehen allesamt auf der Schweizerischen Roten Liste der gefährdeten Weichtiere. «Vor ihnen müssen Gartenbesitzer keine Angst haben», sagt Julia Fürst. «Erstens ernähren sie sich praktisch nur von abgestorbenem Pflanzenmaterial und zweitens wandern sie gar nicht erst in Gärten ein; die sind ihnen viel zu dicht bewachsen.»

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Nicht zu trocken – nicht zu nass
Die geförderten Schnecken teilen sich ihre Vorliebe für trockene Standorte. «Sie benötigen viel Sonne und einen offenen Boden, der nicht vollständig überwachsen ist», erklärt Julia Fürst. Wo es nass ist, wuchert es, dann finden die Schnecken keine offenen Bodenstellen, in die sie sich eingraben können, um zu überwintern.

Zu trocken mögen es die Schnecken dann aber auch nicht, schliesslich sind sie zur Schleimproduktion auf Feuchtigkeit angewiesen. Wenn es ihnen zu heiss und zu trocken ist, graben sie sich ebenfalls ein – oder sie heften sich an einen Pflanzenstängel und verkriechen sich in ihr Häuschen. 

Diese Schneckenarten sind also ganz schön wählerisch – und bekommen dadurch auch immer mehr Probleme, einen geeigneten Lebensraum zu finden. Die immer intensivere Landwirtschaft hat zur Folge, dass für den Schneckengeschmack zu viel und zu üppiges Gras wächst. Wo die Landwirtschaft aufgegeben wird, verbuscht das Land, dann wird es zu schattig für die Schnecken. Böschungen entlang von Strassen oder Schienen wären ein toller Lebensraum, werden aber zunehmend verbaut oder beim Mähen gleich gemulcht – wenn dabei die Schnecken nicht selbst zerhäckselt werden, sorgt das zurückbleibende organische Material für zu fruchtbaren Boden.

Schnecken pflücken ist Handarbeit 
Damit die anspruchsvollen Häuschenschnecken nicht ganz aus dem Schweizer Mittelland verschwinden, führt der Verein Hotspots nun diverse Projekte zur Habitatsaufwertung durch. In Bubendorf BL etwa wurde eine stillgelegte Kalksteingrube entbuscht. In Diessenhofen TG wurde zusammen mit den SBB eine Eisenbahnböschung aufgewertet und in Mühledorf BE soll der Waldrand für die Zebraschnecke aufgelichtet werden. Das alles hilft nicht nur den Schnecken selber, sondern auch einer Vielzahl von Insekten, die sich in ähnlicher Vegetation wohlfühlen, aber auch einer Reihe Pflanzen – und sogar Reptilien wie der Ringelnatter und der Zauneidechse.

Anders als bei vielen anderen Tieren ist es bei der Schneckenförderung aber nicht immer damit getan, ihnen einen passenden Lebensraum anzubieten. Während Insekten fliegend ziemlich schnell vorwärtskommen und Pflanzensamen auf dem Rücken grösserer Tiere weit herumkommen, haben Schnecken, wie es Julia Fürst ausdrückt, «eine eingeschränkte Mobilität». 

Heisst: Wird ein neuer geeigneter Lebensraum für eine bedrohte Schneckenart geschaffen, müssen die Tiere zuweilen von Hand umgesiedelt werden. Das ist umständlich und soll laut Fürst nicht die Norm sein. «Hauptziel des Projekts ist es, diejenigen
Lebensräume aufzuwerten, in denen die bedrohten Schneckenarten bereits vorkommen.» Soll jedoch ein neuer Schnecken-Hotspot entstehen, sind ein paar helfende Hände Gold wert – insbesondere, wenn das neue Zuhause weit weg vom nächsten Schneckenvorkommen liegt.

«Manche Experten sagen, es braucht tausend Tiere, um eine gesunde Population aufbauen zu können», sagt Biologin Fürst. «Aber es ist unrealistisch, überhaupt so viele Schnecken aufzutreiben.» Einzeln werden sie von einem Standort «gepflückt» und in ihre neue Heimat gebracht. Nicht tausend auf einmal, eher fünfzig, oder vielleicht hundert. «So viele wie möglich halt.»

www.hotspots-verein.ch