Der Raubtierpark im solothurnischen Subingen war eine «Oase im Industriegebiet», wie noch immer auf einem Schild zu lesen ist. Doch da ist nur noch eine Baustelle. Die Raubtiere sind in den vergangenen Monaten in den Sikypark nach Cré­mines BE gebracht worden. Der 69-jährige René Strickler lebt aber derzeit noch im Haus auf dem Gelände in Subingen und kümmert sich um den Abbau. 

Herr Strickler, wann haben Sie Ihre Raubkatzen zuletzt gesehen?
Das war gestern.

Sie fahren täglich zum Sikypark?
Ja, das brauchen die Tiere. Das Vertrauen, das ich zu ihnen aufgebaut habe, soll nicht schwinden. Ich werde deshalb auch in eine Wohnung ziehen, die nur 15 Kilometer vom Sikypark entfernt ist.

Was benötigen Raubkatzen, damit es ihnen gut geht?
Sie brauchen Beschäftigung und Herausforderungen. Der grösste Feind der Raubtiere ist die Langeweile. Von einem Tag auf den anderen nur Ausstellungsobjekte zu sein, wäre nicht gut für die Tiere. In der Wildnis haben sie die Aufgabe, Futter zu besorgen. Das müssen wir kompensieren, damit diese Fähigkeiten nicht verkümmern. 

Sie sind also der Ansicht, dass Raubtiere Kontakt zu Menschen brauchen, wenn sie nicht in der Wildnis leben?
Die sogenannte Hands-Off-Haltung mit möglichst wenig Kontakt zu Menschen kann funktionieren bei einer Affengruppe, in welcher sich die Tiere gegenseitig beschäftigen. Bei Tigern, wo in der Regel ein einzelnes Männchen mit einem einzelnen Weibchen zusammen gehalten wird, reicht das nicht aus.

Geht es also für Ihre Tiere ähnlich weiter wie bisher? 
Sie haben keine Manege mehr. Aber wir versuchen, ein Agility-Programm in den Aussenanlagen aufzubauen, wo die Tiere etwa über Baumstrünke laufen, damit regelmässig etwas passiert in ihrem Tagesablauf. 

Wann werden die Besucher dies sehen?
Das ist noch offen. Zuerst geben wir den Tieren die notwendige Zeit, um sich gut einzuleben.

Was sind die Vorteile des neuen Standorts?
Der Park ist in die Natur eingebettet und die Luft ist besser als hier im Industriegebiet von Subingen. Die Anlagen sind grösser und gut möbliert. Die Tiger können zum Beispiel auf fast vier Meter hinaufklettern und alles überblicken. 

In der Schweiz verzichten inzwischen fast alle Zirkusse auf Raubtiere. Was halten Sie von diesem Trend?
Es gibt in Ländern wie Deutschland und Italien Zirkusse mit schlechter Tierhaltung, die zu Recht in der Kritik stehen. Ich habe selber einst ein Engagement beim grössten Zirkus der USA, den Ringling Brothers, abgelehnt, weil mir die Tierhaltung nicht gefallen hat. Aber es ist falsch, alles über einen Kamm zu scheren – es gibt auch Zirkusunternehmen mit sehr guter Tierhaltung. Beim Zirkus Knie zum Beispiel, mit dem ich drei Saisons machte, bauten wir immer grosse Aussenanlagen auf. Das Problem heutzutage ist aber der mangelnde Platz. Die Gemeinden verbauen die Stellplätze, manchmal passt nur noch gerade das Zelt hin. Deshalb musste der Zirkus Knie auf Raubtiere verzichten. 

Wie reagieren Raubtiere auf die ständigen Ortswechsel?
Wenn Tiere immer wieder neue Gerüche, neue Bodenbeschaffenheiten, neue Nachbarn kennenlernen, ist dies für sie reizvoll. Ein umherziehender Löwe ist aufgeweckter als einer in einem Zoo, der zwar ein relativ gros­ses Gehege hat, dieses aber nach zwei Wochen bis zum letzten Winkel kennt. Doch wie gesagt, entscheidend sind die Aussenanlagen. Ich habe solche mit Felsen und Wasserfällen gebaut und hatte denn auch nie Probleme mit sogenannten Tierschützern. 

Gemäss Ihrer Website wurden Sie gar ausgezeichnet für vorbildliche Tierhaltung.
Ja, am Zirkusfestival in Monte Carlo und auch von einer Tierschutzorganisation in Australien, wo die Tierschutzgesetze äusserst streng sind. Aber das bedeutet mir nicht viel. Eine wahre Auszeichnung ist für mich, wenn eine Löwin Junge kriegt und mir signalisiert, dass ich dabei sein soll. Löwin «Pat» hatte einst das Gebären hinausgezögert, bis ich zu ihr hineinging. Als die drei Jungen dann da waren, leckte die Mutter sie ab und legte sie mir in den Schoss. 

Was gefällt Ihnen so sehr an der Arbeit mit Raubtieren?
Man hat es mit ehrlichen Geschöpfen zu tun und muss ehrlich zu ihnen sein. Menschen gegenüber kann man zum Beispiel Angst überspielen. Ein Raubtier fällt keine Sekunde darauf herein. Doch wenn man authentisch ist und Vertrauen aufbaut, zeigen sich die Tiere liebesbedürftig. 

Was gefällt Ihnen so sehr an der Arbeit mit Raubtieren?
Man hat es mit ehrlichen Geschöpfen zu tun und muss ehrlich zu ihnen sein. Menschen gegenüber kann man zum Beispiel Angst überspielen. Ein Raubtier fällt keine Sekunde darauf herein. Doch wenn man authentisch ist und Vertrauen aufbaut, zeigen sich die Tiere liebesbedürftig. 

Der Begriff «Dressur» hat unter Tier­freunden einen zweifelhaften Ruf. 
Gute Dressur ist förderlich für das Tier und funktioniert spielerisch und mit Freude. Sie basiert auf einem Vertrauensverhältnis und ermöglicht dem Tier auch Freiheit. Es ist wie mit einem Hund, der von der Leine gelassen werden kann, wenn er gewisse Begriffe kennt. Für das Vertrauen braucht es aber Regeln – ähnlich wie im Strassenverkehr, wo sich Lastwagen und Schulkind auch an Regeln halten müssen, um auf derselben Strasse verkehren zu können. 

Was wäre ein Beispiel für eine Regel in der Manege?
Als Erstes lehrt man das Tier, wo sein Platz ist. Das tut man, indem man ihm mit einem Stück Fleisch diesen Platz zeigt. Das muss alles ohne Gewalt gehen, mit Gewalt käme man bei Raubtieren nicht weit. 

Hat sich durch Ihre Arbeit mit Tieren auch Ihr Umgang mit Menschen verändert?
Ja, ich sehe stets das Gute im Gegenüber. Ich bin vertrauensselig und dadurch auch schon enttäuscht worden. 

Die grösste Enttäuschung war wohl, als Ihnen 2009 der Mietvertrag in Subingen gekündigt wurde. 
Ich erhielt die Kündigung, obwohl es keinen Nachmieter für den Platz gab. Damit begann ein langer Kampf. Es ging dabei nicht um mich, ich habe eine schöne Wohnung in Rapperswil und bin nicht in Subingen verwurzelt. Gekämpft habe ich für meine Tiere. Ich musste Zeit gewinnen, bis wir einen geeigneten Platz gefunden hatten. 

Das ist Ihnen gelungen. Wird Ihr Leben nun ruhiger?
Ja, ich habe nicht mehr die Betriebsleitung mit ihrer riesigen Verantwortung und täglichen Belastung. Darüber bin ich sehr froh. Das macht jetzt Marc Zihlmann, der schon bei mir gearbeitet hat und die Tiere kennt.

Gibt es nun die ersten Ferien seit über dreissig Jahren?
Dieses Jahr war ich bereits mit meiner Freundin eine Woche in Holland. Ich möchte auch fliegen lernen; wer so intensiv gelebt hat, braucht Herausforderungen. Das hält auch geistig fit, und das ist wichtig mit den Tieren, sie spüren es.