Dunkel, kalt und sehr viel Druck: So unwirtlich die Tiefsee auch scheint – sie beherbergt Leben. Dies ist spätestens seit der Forschungs-Expedition der HMS Porcupine von 1869 bekannt. Damals holten der schottische Zoologe Charles Wyville Thomson und sein Freund William B. Carpenter Bodenproben aus über 4000 Metern Tiefe – und brachten nicht nur 69 Kilogramm Schlamm, sondern auch Würmer, Plankton, Glasschwämme und Stachelhäuter ans Licht. Heute, rund 150 Entdeckungsjahre später, ist die Tiefsee noch immer für Überraschungen gut: So haben Forschende des Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) in den USA unlängst nachgewiesen, dass viele Tiefseetiere von den Tieren in der Nähe der Meeresoberfläche gefressen werden. In ihrer Veröffentlichung hielten Anela Choy, Steve Haddock und Bruce Robinson fest, «dass Tiefseefische die wichtigste Futtergrundlage bilden für viele kommerziell wichtige Raubtiere wie zum Beispiel Thunfische.»

Eine Reise von der Meeresoberfläche bis hinunter zur tiefsten Stelle der Tiefsee im Marianengraben im Westpazifik (11 034 Meter) führt durch insgesamt fünf verschiedenen Zonen, sogenannten Pelagiale (Pelagos ist griechisch für Meer), in denen unterschiedliche Bedingungen vorherrschen. 

Ab wie vielen Metern dabei das Meer damit beginnt, eine «Tiefsee» zu sein, ist umstritten. Hält man es mit den Geologen, beginnt im Gebiet der Schelfkante ab einer Meerestiefe von rund 200 Metern die Tiefsee. Was oberhalb liegt, wird als «lichtreiche Zone» (Epipelagial) bezeichnet. Diese oberste vom Licht beeinflusste Schicht ist besonders artenreich. Ausserdem ist hier der Aufbau von Biomasse besonders gross, dank Algen, Cyanobakterien und Seegras, die Photosynthese betreiben, also mithilfe von Licht energiereiche Stoffe produzieren. 

Die eigentliche Tiefsee beginnt ab 200 Metern und erstreckt sich bis in 1000 Metern Tiefe (Mesopelagial). In dieser Dämmerlichtzone leben etwa die Beilfische (Sternoptychidae) mit ihren übergrossen Augen. In den Schuppen auf der Bauchseite tragen die Fische zum Schutz vor Fressfeinden Leuchtorgane, die ein bläuliches Licht abgeben und damit den Schattenwurf nach unten vermindern. 

Für einen Menschen ist der Wasserdruck in dieser Tiefe bereits viel zu hoch. Einen Eindruck davon, wie viel ein Mensch aushält, vermittelt ein Experiment eines französischen Unternehmens von 1992. Damals erreichten Taucher in einer Druckkammer eine theoretische Rekord-Tiefe von 700 Metern unter der Wasseroberfläche – theoretisch, weil sich die Druckkammer über dem Meeresspiegel auf dem Land befand. Um den in dieser Tiefe herrschenden Druck von 70,1 bar auszugleichen mussten die Taucher nach der Teilnahme an dem Experiment eine 550-stündige Dekompressionsphase absolvieren. 

Fische und Bakterien leuchten
Die weitere Reise auf den Meeresgrund bringt noch mehr Druck (bis 400 bar), immer tiefere Temperaturen (noch maximal vier Grad) und ab 1000 Metern komplette Dunkelheit mit sich. Nur Fische und Bakterien erzeugen Licht in Form von Biolumineszenz. In diesem sogenannten Bathypelagial sind etwa die Tiefsee-Anglerfische (Ceratioidei) zu Hause, deren Weibchen auf dem Kopf ein Leuchtorgan tragen. Aber auch Pottwale kann man hier antreffen (bis in 3000 Meter Tiefe) auf der Jagd nach dem bis zu 18 Meter gros­sen Riesenkalmar Architeuthis dux, der zusammen mit dem ähnlich grossen Kolosskalamar die grössten Augen des Tierreiches besitzt (bis 27 Zentimeter). Diese Riesenaugen haben die Kalamare nicht, um Beute zu erspähen, sondern um ihre Fressfeinde, die Pottwale, möglichst schon von Weitem zu erkennen.

Im Übergang zum Abyssopelagial finden sich die meisten hydrothermalen Schlote. Diese sogenannten Raucher und ihre Umgebung bilden ein eigenes Biotop mit vielen, meist nur in dieser Umgebung lebenden Arten. Zu den erstaunlichsten Lebewesen dort gehört etwa der bis zu 1,7 Meter lange und armdicke riesige Bartwurm Riftia pachyptila, der weder Maul, noch Magen, Darm oder Darmausgang besitzt. Er ernährt sich durch Bakterien, die in seinem Inneren leben und schwefelhaltiges Wasser in für ihn brauchbare Nährstoffe umwandeln. 

Das Abyssopelagial erstreckt sich bis in 6000 Meter Tiefe. Hier herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt – bis auf wenige Gebiete, in denen die erwähnten Schlote das Wasser auf über 400 Grad aufheizen. 

Die tiefsten Meeresregionen schliesslich bezeichnet man als Hadopelagial. Diese Zone reicht hinab bis in die Tiefseegräben in etwa 11 000 Meter Tiefe. Wie viele Tiefseegräben es insgesamt gibt, ist noch unklar – schliesslich wurde nur ein kleiner Bereich bereits erforscht. Von den bekannten dreissig Gräben sind sechs tiefer als 10 000 Meter – darunter neben dem Marianengraben der Tongagraben (10 882 Meter) und der Boningraben (10 540 Meter). Alle sechs Tiefstgräben liegen im westlichen Pazifik. 

Vor allem Mikroorganismen
Auch an diesen tiefsten Punkten der Erde tummelt sich Leben. Erstaunlich viel sogar, wie ein Forscherteam 2013 in der Fachzeitschrift «Nature Geoscience» geschrieben hat. Trotz der widrigen Lebensbedingungen durch den extrem hohen Wasserdruck seien die Mikroorganismen in dieser tiefsten Senke der Erdoberfläche aktiver als in seichteren Meeresgebieten. Auch Wirbeltiere kommen in diesen unvorstellbaren Tiefen vor. Den aktuellen Tiefenrekord hält ein Scheibenbauch (Pseudoliparis amblystomopsis) mit 8178 Metern. 

Das Gebiet, in dem sich manche Tiefsee-Bewohner bewegen, ist dabei erstaunlich gross und umfasst verschiedene Zonen. So leben etwa Laternenhaie (Etmopteridae) in Wassertiefen zwischen 100 und 2500 Metern und Viperfische (Chauliodus) jagen in Tiefen zwischen 400 und 4400 Metern. 

Und auch wenn bizarre Kreaturen wie die Hasselhoff-Krabbe (Kiwa tyleri) mit ihrer Brustbehaarung oder der glibbrige Blobfisch (Psychrolutes marcidus) für viele Menschen den eigentlichen Zauber der Tiefsee ausmachen, bilden diese in der Gesamtschau eine Minderheit. 90 Prozent der Biomasse in der Tiefsee bestehen nämlich aus Mikroorganismen, die mit blossem Auge meist gar nicht erkennbar sind.

Literaturtipp: Leo Ochsenbauer: «Tiefsee – Reise zu einem unerforschten Planeten», Verlag Kosmos, ISBN: 978-3-440-13261-6, auch als eBook erhältlich: ca. Fr. 12.–