Reh, Hirsch, Wildschwein, Gämse, Steinbock: Wer von der Jagd spricht, denkt zuerst an Huftiere. Sie sind es, die am häufigsten erlegt werden und auf dem Teller landen. Auch diesen Herbst. Beim Jagdgesetz allerdings, über das die Schweizer Bevölkerung am 27. September abstimmt, sind sie kaum mehr als Beigemüse. Der Abstimmungskampf dreht sich um andere Tiere; um Vögel und um Raubtiere – allen voran um den Wolf. 

Der Wolf steht auch am Anfang der nun vorgeschlagenen Erneuerung des aus dem Jahr 1988 stammenden Jagdgesetzes. Im März 2014 reichte der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler eine Motion ein mit dem Titel «Zusammenleben von Wolf und Bergbevölkerung». Sie verlangte vom Bundesrat, den Wolfsschutz so zu lockern, dass die Bestandesdichte und Rudelgrössen gesteuert werden können.

Präventive Abschüsse erlaubt
Der Bundesrat begrüsste Englers Vorstoss und National- und Ständerat nahmen sie mit gros­sem Mehr an. Auch für Naturschutzorganisationen war Englers Motion annehmbar. Doch statt nur den Umgang mit dem Wolf gesetzlich neu zu verankern, nahm der Bundesrat die Motion von Engler zum Anlass, das gesamte Jagdgesetz zu erneuern.

Und bei der Ausarbeitung geschah das, was Urs Leugger-Eggimann, Zentralsekretär der Naturschutzorganisation Pro Natura, folgendermassen beschreibt: «Bundesrat und Parlament packten zu viel in die Vorlage hinein, das Gesetz ist völlig missraten; da müssen Politikerinnen und Politiker nochmals über die Bücher.» Um dies zu erreichen, ergriffen Umwelt- und Tierschutzorganisationen das Referendum und sammelten innert kurzer Zeit mehr als 70 000 Unterschriften gegen das Gesetz.

Zu weit geht ihnen der Vorschlag von Bundesrat und Parlamentsmehrheit unter anderem beim Wolf. Das neue Gesetz sieht nämlich vor, dass Wolfsbestände reguliert werden dürfen, bevor sie überhaupt einen Schaden angerichtet haben: Für Abschüsse reicht künftig die Begründung, es stehe zu befürchten, dass Wölfe Schäden bei Schafherden verursachen könnten oder ihre natürliche Scheu vor dem Menschen zu verlieren drohten. Bis zur Hälfte der Jungtiere eines Rudels dürften in einem solchen Fall erlegt werden. Bewilligt werden die Abschüsse künftig nicht mehr vom Bund, sondern vom betreffenden Kanton – nach einer Information und Anhörung des Bundesamts für Umwelt. 

Für Urs Leugger-Eggimann sind die Verschiebung der Verantwortung zu den Kantonen und die Möglichkeit der vorbeugenden Bestandesregulierung zwei der wichtigsten Punkte, weswegen die Gesetzesrevision abzulehnen sei. Das neue Gesetz gehe bei der Regulierung bis an die Grenze dessen, was die Berner Konvention, das Übereinkommen zum Schutz europäischer Tier- und Pflanzenarten, erlaubt, sagt er. Seltene Tierarten müssten über Kantons- und Landesgrenzen hinweg geschützt werden. «Tiere halten sich nicht an Kantonsgrenzen, ein Wolfsrudel hat ein Streifgebiet von bis zu 300 Quadratkilometern.» Da sei es absurd, wenn künftig in der Schweiz 26 unterschiedliche Einzellösungen für den Umgang mit ihm gelten würden.

Frustration in Berggebieten
Kommt hinzu, dass das Referendumskomitee befürchtet, einige Kantone könnten sich künftig um den Artenschutz foutieren. «Uns fehlt das Vertrauen, dass alle Kantone verantwortungsvoll mit der ihnen übertragenen Kompetenz umgehen», sagt Leugger-Eggimann. Als Beispiel nennt er das Wallis, wo die Regierung mit ihrer Zustimmung zur kantonalen Volksinitiative «Für einen Kanton Wallis ohne grosse Raubtiere» klar zeige, dass der Wolf im Kanton unerwünscht sei. Zudem seien Kantonsregierungen anfälliger auf Druckversuche von Interessengruppen als der Bund.

Die Befürworter der Gesetzesrevision sind dagegen überzeugt, dass das neue Jagdgesetz ein konfliktfreieres Nebeneinander aller Naturnutzer ermöglicht. «Es ist ein Schutzgesetz, das diesen Namen verdient», sagt David Clavadetscher, Geschäftsführer des Verbandes JagdSchweiz. «Es nützt Tier, Natur und Mensch.» Dass die Kompetenz der Kantone verstärkt werde, sei richtig, findet Clavadetscher. «Sie haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie das können.»

In die gleiche Kerbe schlägt Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete. Eine vereinfachte Regulation des Wolfes sei dringend nötig, sagt er. «Der Wolfsbestand wächst exponentiell und sorgt für immer mehr Probleme.» Zum einen, indem er Nutztiere töte.

Zum anderen aber auch, was die touristische Nutzung und den landschaftlichen Wert der Berggebiete angehe. Schafzüchter würden frustriert aufgeben, was dazu führe, dass ganze Alpen nicht mehr bestossen werden. «Dadurch kommt es zu einer Verbuschung und Verwaldung.» Werde das neue Jagdgesetz nicht angenommen, sagt Egger, «dann sieht es düster aus für die Berggebiete». Zumal der Einsatz von Herdenschutzhunden dazu führe, dass sich Wanderer nicht mehr frei in den Bergen bewegen könnten.

Gerade bei den Herdenschutzmassnahmen sehen die Gegner einen weiteren Schwachpunkt der Vorlage. Zwar sieht die Revision vor, dass neu nur noch Tierhalter für gerissene Nutztiere entschädigt werden, die ihre Herden geschützt hatten. Doch die Regulierung einer Wolfspopulation setzt keine Herdenschutzmassnahmen voraus. «Das wird die Motivation für den Herdenschutz senken», sagt Urs Leugger-Eggimann. «Manche Halter werden darauf setzen, dass der Wolfsbestand sowieso dezimiert wird.»

Thomas Egger glaubt das nicht. Laut ihm ist es aber gar nicht möglich, überall Herdenschutzmassnahmen zu ergreifen. «In Steilhängen und in weitläufigen Gebieten stösst das Konzept an seine Grenzen.» Dass die Möglichkeit geschaffen werden soll, Wolfsrudel präventiv zu regulieren, findet er deshalb wichtig. «Die Erfahrung zeigt: Wenn man mit der Abschussbewilligung warten muss, bis eine bestimmte Anzahl Risse erreicht ist, hat sich ein Wolf oft schon wieder aus dem Staub gemacht.» 

«Biber-Trickli» im Parlament?
Das Prinzip der präventiven Regulierung ist nicht auf den Wolf beschränkt. Gemäss der Verordnung zum neuen Jagdgesetz, die der Bundesrat bereits bei den betroffenen Parteien und Verbänden in die Anhörung geschickt hat, gelten auch der Steinbock und der Höckerschwan als geschützte, aber dennoch regulierbare Arten. Beim Steinbock war dies schon bisher der Fall, hier werden die Vorschriften eher verschärft (siehe Text Seite 16). Den Höckerschwan erklärte der Bundesrat als regulierbar, um eine vom Parlament im Jahr 2016 überwiesene Motion zu erfüllen.

Grosse Sorgen bereitet den Umweltverbänden der Umstand, dass das neue Jagdgesetz dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, diese Dreierliste in Zukunft in Eigenregie zu erweitern. Werde das Gesetz angenommen, stünden wohl schon bald der Biber und der Luchs auf dieser Liste, befüchtet Urs Leugger-Eggimann von Pro Natura. «Dann kann man junge Biber abschiessen, nur weil man Angst hat, sie könnten mit ihren Bauten für eine Überschwemmung sorgen. Der Artenschutz wird mit dem Gesetz massiv geschwächt statt gestärkt.»

Dem widerspricht David Clavadetscher. Das Parlament habe in der Debatte zum Gesetz Biber und Luchs aus der Liste der geschützten und regulierbaren Arten gestrichen. Im Entwurf zur Jagdverordnung verweise der Bundesrat explizit darauf. «Es gibt somit keinen Grund anzunehmen, dass der Bundesrat diesbezüglich anders handeln wird.» 

Leugger-Eggimann seinerseits verweist auf die Diskussionen im Parlament, das den Luchs und den Biber zuerst auf die Liste der regulierbaren Arten setzte – und erst im letzten Moment davon strich. «Das hatte taktische Gründe im Hinblick auf die Abstimmung», ist er sich sicher. «Wir sprechen intern vom Biber-Trickli. Der Jagd nahestehende Politiker betonen schon jetzt, dass der Luchs noch nicht gelistet sei.»

Ein Dorn im Auge ist den Gegnern des Gesetzes aber nicht nur die Jagd auf geschützte Arten wie den Wolf, sondern auch jene auf manche bedrohte Arten. Jägerinnen und Jäger erlegen zum Beispiel Jahr für Jahr mehrere Hundert Schneehühner und Birkhähne und an die 2000 Waldschnepfen. Diesbezüglich habe man mit dem neuen Gesetz eine Chance verpasst, sagt Werner Müller, Geschäftsführer des Vogelschutzverbands BirdLife Schweiz. «Man hätte zumindest seriös abklären müssen, welchen Einfluss die Jagd auf die Bestände dieser Arten hat und ob sie geschützt werden müssten.» Ein Nein zum Jagdgesetz ermögliche ein besseres Gesetz.

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Kosmetik oder Polemik?
Beim Schneehuhn und beim Birkhahn, die zunehmend unter Störungen durch den Menschen und durch die Klimaerwärmung leiden, bleibt jagdlich alles beim Alten. Bei der Waldschnepfe wurde zwar die Jagdzeit von drei auf zwei Monate verkürzt, doch das bringe praktisch nichts, sagt Müller. «In dem Monat, der neu als Schonzeit gilt, werden gerade einmal vier Prozent der Waldschnepfen erlegt. 96 Prozent der Abschüsse sind also auch mit dem neuen Gesetz möglich.»

Auch bei der Jagd auf Enten streuen der Bund und die Befürworter laut Müller der Bevölkerung Sand in die Augen. Neu dürfen nur noch drei statt wie bisher 15 Entenarten bejagt werden. «Doch der Schutz der zwölf Arten betrifft nur gut zwei Prozent aller Abschüsse von Enten in der Schweiz», sagt Müller, «es ist eine kosmetische Verbesserung.»

Für David Clavadetscher von JagdSchweiz ist die Kritik an der Jagd auf bestimmte Vogelarten unverständlich. «Dies ist schlicht nicht Gegenstand der Vorlage und somit reine Abstimmungstaktik», sagt er. Das Gesetz werde in diesem Bereich nicht verändert. Und seit 2002 seien keine Vorstösse eingereicht worden, diese Arten von der Jagd auszunehmen. Bejagt würden diese Arten nur dort, wo die Bestände es erlauben, eine massvolle Jagd gefährde sie nicht. «Im letzten Jagdjahr etwa wurden in sechs Kantonen insgesamt 383 Birkhähne geschossen – und das bei einem Bestand von 12 000 bis 16 000.» Die Jäger hätten kein Interesse daran, eine Art in ihrem Bestand zu gefährden. «Der Feldhase zum Beispiel ist eine jagdbare Art. Aber in Kantonen wie Luzern oder Aargau, wo er selten geworden ist, haben die Jäger beschlossen, ihn nicht mehr zu bejagen.» Auch mit dem neuen Jagdgesetz, sagt Clavadetscher, könne die Bevölkerung auf die Eigenverantwortung der Jägerinnen und Jäger zählen.

Vernetzen und aufwerten Im neuen Jagdgesetz geht es nicht nur um Abschussregelungen, sondern auch um Schutzgebiete und die Vernetzung von Lebensräumen. So sieht die Revision Bundesbeiträge für Schutzgebiete und Vogelreser­vate vor. Und sie regelt den Schutz von rund 300 Wildtierbrücken und Wildtierunterführungen.