In Pflegestationen aufgepäppelte Orang-Utans sollten deshalb künftig nur in ihrer Herkunftsregion in die Freiheit entlassen werden. Kreuzungen zwischen den in Indonesien lebenden Unterarten könnten fatale Folgen haben: Solche Mischlinge haben zumindest in einigen Fällen nur geringe Fortpflanzungs- und Überlebenschancen - darauf weist eine Studie von Forschern des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hin.

Durch Abholzung und Wilderei ist der Lebensraum der einzigen noch in Asien vorkommenden Grossen Menschenaffen bedroht; die Bestandszahlen schwinden seit Jahren. Es existieren zwei Arten von Orang-Utans: Die einen leben auf der Insel Borneo, die anderen etwa 1200 Kilometer entfernt auf der Insel Sumatra.

Die Umweltstiftung WWF schätzt den Bestand des Borneo-Orang-Utans auf rund 54'000 Tiere. Von weitaus weniger Orang-Utans gingen Experten bisher bei der Art auf Sumatra aus. Nach einer in «Science Advances» vorgestellten Studie sollen auf Sumatra allerdings doppelt so viele der Tiere leben wie bisher angenommen: Statt geschätzt 6600 sind es demnach mehr als 14'600. Der Lebensraum der Sumatra-Orang-Utans sei drastisch unterschätzt worden, erklärt das Team um Serge Wich von der John Moores University in Liverpool. Die Tiere lebten auch in höher gelegenen Berggebieten, westlich des Tobasees im Norden der Insel sowie in Waldgebieten mit Holzeinschlag.

DNA-Tests zeigen den kleinen Unterschied
Der Borneo-Orang-Utan wird in drei geografisch isolierte Unterarten unterteilt, die im Laufe Zehntausender Jahre abgewandelte Merkmale entwickelt haben. Für den Menschen seien diese mit blossem Auge kaum zu erkennen, jedoch liessen sich die Unterarten durch DNA-Tests klären, erläutert die Max-Planck-Forscherin Linda Vigilant, die mit Graham Banes die Studie zu den Gefahren von Kreuzungen erstellt hat.

Mithilfe solcher DNA-Analysen bewerteten die Max-Planck-Forscher Auswilderungen in den Tanjung Puting Nationalpark im Süden der Insel Borneo. Mehrfach wurden dort demnach Tiere einer nicht in der Region heimischen Unterart entlassen.Immer wieder sei es in der Folge zu Kreuzungen der seit etwa 176'000 Jahren getrennten Unterarten gekommen - mit negativen Folgen für den Nachwuchs. «Das wäre so, als wenn man einen Neandertaler mit einem Menschen von heute kreuzen wollen würde», sagt Vigilant.

Als Beispiel wird das Muttertier Siswoyo genannt, das im Lebensraum der anderen Unterart ausgesetzt wurde: Das Weibchen brachte demnach vergleichsweise schwache und weniger überlebensfähige Junge zur Welt.Siswoyo habe in zwei Generationen nur acht Nachkommen gehabt, zwei davon seien schon als Jungtiere gestorben. Ihre einzige Tochter wurde drei Mal Mutter, wie es in der Studie weiter heisst. Eines dieser Jungtiere starb bei der Geburt, ein anderes in den ersten Lebensjahren. Das Dritte überlebte, war aber häufig krank.

«Wir können solche negativen Auswirkungen auch bei Hunden sehen», sagt Vigilant. Durch Überzüchtung und Kreuzung verschiedener Arten entstünden weniger robuste Nachkommen. Im schlimmsten Fall vererben die aus Kreuzungen resultierenden Orang-Utans die schlechten Eigenschaften weiter.Durch die genetischen Defizite habe der Nachwuchs geringere Überlebens- und Fortpflanzungsfähigkeiten. «Die Population würde langfristig schrumpfen», erklärt Vigilant.

Gen-Tests vor Auswilderung
Es kann aber auch ganz anders verlaufen, erläutert sie an einem zweiten Beispiel: Das Weibchen Rani gründete eine grosse Familie mit mindestens 14 Nachkommen über drei Generationen. Bei ihr habe die Fortpflanzung mit Artgenossen aus der anderen Unterart gefruchtet - die Forscher sprechen in diesem Fall von Hybrid-Vitalität.

Zwei Weibchen seien eine recht kleine Probe für eine Aussage, schränkt Vigilant ein. «Aber unsere Ergebnisse reichen aus, um ernsthaft Alarm zu schlagen.»

In den Auffangstationen auf Borneo und Sumatra stünden derzeit etwa 1500 Orang-Utans vor ihrer Auswilderung. Bevor die Tiere in die Freiheit entlassen werden, sollten jetzt Gen-Tests gemacht werden, um die Unterarten in der Wildnis künftig wieder voneinander getrennt zu halten, fordern die Wissenschaftler.

«Sie sehen einander zwar relativ ähnlich, aber diese Orang-Utans hatten seit Zehntausenden von Jahren keine gemeinsamen Vorfahren», betont Vigilant. Hoffnungsvoll stimmt Experten, dass es offenbar noch weit mehr freilebende Orang-Utans gibt als gedacht.