Im Kindergarten ist nichts zu machen. Kathrin Hirsbrunner steht auf dem Spielplatz und zeigt über das Kirchenmäuerchen in Richtung Friedhof. Dort drüben, aus dem hohen Gras, kommen sie her. Wo der Gärtner zum Wohl der Artenvielfalt faul blieb, statt – wie neben den Gräbern – fürs Auge der Trauernden zu schniegeln, von dort hätten sich die Wühlmäuse den Weg aufs Kindergartenareal gebahnt. Unter den Steinplatten hindurch. Da könne sie halt auch nichts machen. 

Hirsbrunner ist die einzige professionelle Mauserin der Schweiz. Heute wurde sie von der Schwyzer Zürichseegemeinde Freienbach gerufen, um zum Rechten zu schauen. Hauptsächlich im Kindergarten. Aber wenn sie schon mal hier ist ...

Ein paar Hundert Meter weiter jedenfalls steckt ein halbes Dutzend rot-weisser Fähnchen in einem Grasbord, das Hirsbrunner zuvor schon inspiziert hatte. «Das ist jetzt typisch Wühlmaus», sagt sie und zeigt auf einen kleinen, schiefen Haufen lockerer Erde. Die Mäuse hätten es sich rund um die vor kaum zehn Jahren gepflanzten Bäume zwischen Sportanlage und Rebberg gemütlich gemacht – und gehörigen Schaden angerichtet. «In den ersten drei Monaten sind drei der Bäume eingegangen. Die zu ersetzen kommt die Gemeinde ziemlich teuer.» 

Die Tiere graben ihre unterirdischen Gänge und fressen mit Vorliebe Wurzeln. Bäume vor Wühlmäusen zu schützen ist denn auch einer der häufigsten Aufträge der Mauserin in den Städten. «Die Gemeinden überbauen Landwirtschaftsflächen, schaffen Grünflächen und pflanzen Bäume an», sagt Hirsbrunner. «Aber  die Mäuse verreisen nicht, nur weil gebaut wird. Die freuen sich über frisch gepflanzte Bäume und Blumenmischungen.»

Kein Köder, kein Gift
Ansonsten sind es hauptsächlich Landwirte, die auf die Dienste der Mausefängerin zählen. Zum einen wegen Wühlmäusen, zum anderen aber auch aufgrund von Maulwürfen. «Das ist ein ganz herziges Tier, das fange ich nicht gerne», sagt Hirsbrunner, «aber bei Bauern ist es manchmal desaströs.» Ein Maulwurf bringe über den Winter locker mal  200 Kilogramm Dreck an die Oberfläche. «Bis die Mäuse das hinkriegen, braucht’s schon deutlich mehr.» 

Wenn Private anrufen, sei es meist keine grosse Sache. «Dieses Berühmte ‹Ich habe Löcher im Garten›, das ist zu 90 Prozent die Feldmaus», sagt Hirsbrunner. Die Wühlmaus mache nur wenige Löcher; hier und dort eins zur Belüftung, während die Feldmaus, gegen die kaum etwas unternommen werden muss, gerne viele winzige Schlupflöcher gräbt. 

Einzig auf dem Areal von Flugplätzen geht Hirsbrunner auch gegen «Feldmäusli» vor, wie sie die Nager stets in der Verniedlichungsform nennt. «Sie kommen zum Loch raus, rennen rum und tauchen wieder ab – diese Bewegung sehen die Greifvögel.» So angelockte Bussarde und Milane würden zur Gefahr für startende und landende Flugzeuge. 

Ameisen krabbeln ihr über die Füsse, die in offenen Sandalen stecken. Hirsbrunner schüttelt sie immer wieder ab, während sie mit einer Sonde, einem langen Metallstab, in der Erde rund um den Wühlmaushaufen herumstochert. So findet sie heraus, wo sich die Gänge befinden. Wo die Sonde keinen Widerstand spürt und durchrutscht, hat die Maus gegraben. 

Hier gräbt nun auch die Mauserin. Mit einem meterlangen Metallrohr sticht sie ins Erdreich, dreht den Griff und zieht das Gerät wieder aus dem Boden – mitsamt 20 Zentimeter Erde. Darunter kommt der Wühlmausgang zum Vorschein. Mit einem umfunktionierten Esslöffel stochert sie im Loch herum, erfühlt, wo der Gang hinführt. 

Wenn sie mit der Position zufrieden ist, spannt sie die Falle und steckt sie ins eben gebohrte Loch. Topcat heisst die Falle und sie besteht im Wesentlichen aus einem Metallzylinder und einer Schnappfeder. Kein Köder, kein Gift. «Braucht es nicht», sagt Hirsbrunner. «Das ist, wie wenn ich Ihnen eine Falle vor dem Kühlschrank aufstelle. Irgendwann kommen Sie sowieso daran vorbei.» Das offene Loch sorgt für Durchzug, das passt der Maus nicht, will es wieder reparieren. «Meistens haben sie einen ganz regelmässigen Rhythmus: Drei Stunden sind sie aktiv, dann ruhen sie wieder drei Stunden.»

Mehr als hundert Fallen am Tag
Kathrin Hirsbrunner ist seit 13 Jahren professionelle Mauserin. Eine Quereinsteigerin, die sich damals neu orientieren wollte. Als der einzige Mausefänger aufhörte, wusste sie, dass sie übernehmen wollte. Reich wird sie mit dem Job nicht. «Für mich allein reicht es, aber eine Familie ernähren könnte ich damit nicht», sagt sie. Jahrelang habe sie zu wenig für ihre Dienste verlangt. Heute seien ihre Stundenansätze in Ordnung. Landwirten komme sie aber noch immer ab und an etwas entgegen. 

Mehr als hundert Fallen stellt sie zuweilen an einem Tag auf. Dann hat sie ständig etwas zu tun. Stellt hier Fallen auf und hört sie weiter hinten zuschnappen. «Das Geräusch höre ich weit herum, auch wenn es rund herum lärmig ist. Das habe ich vollkommen drin.»

Ein schlechtes Gewissen habe sie nie, sagt Hirsbrunner. Sie wisse schon, dass ihr Job darin bestehe, Tiere zu töten. «Aber ich sehe, was sie für Schäden anrichten und muss dieses Problem lösen.» Immer wieder werde sie von Passanten angefeindet und Mörderin geschimpft. Andere würden ihr für ihren Einsatz danken. «Und dann gibt es noch viele, die keine Ahnung haben, was ich hier mache», sagt sie und grinst. «Wasserstand messen ist fast das Beste, was ich bis jetzt gehört habe.»

Lebendfang ist nicht realistisch
Drei Stunden dauert es diesmal nicht. Nach kaum einer Viertelstunde wird Hirsbrunners Redefluss durch ein metallisches Schnappgeräusch unterbrochen. Etwas ist ihr in die Falle gegangen. Sie zieht den Zylinder aus der Erde und tatsächlich – eine faustgrosse Wühlmaus klemmt mit dem Kopf in der zugeschnellten Falle fest und macht keinen Wank mehr.

Die Mauserin öffnet die Falle und klemmt die reglose Maus an Kopf und Schwanz zwischen die behandschuhten Finger. Sie zieht. Ein Ruck, ein etwas schauriges Knackgeräusch, dann ist die Maus «gestreckt». Hirsbrunner bricht ihr so das Genick, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich tot und nicht nur bewusstlos ist. 

Die Wühlmäuse lebendig zu fangen sei nicht realistisch, sagt sie. «Dafür müsste ich den ganzen Tag neben der Falle sitzen.» Sie tue aber ihr Bestmögliches, die Tiere korrekt zu behandeln. «Wenn ich einen Bauern sehe, der eine Maus fängt und sie unter dem Stiefel zerdrückt, werde ich stinkwütend!» Die tote Wühlmaus legt Hirsbrunner neben dem Fähnchen ins Gras und spannt die Falle von Neuem. Es gibt nämlich noch mehr zu fangen unter diesem Baum: In jedem Mäusebau lebt eine ganze Wühlmausfamilie, bestehend aus einem Elternpaar und rund vier Jungtieren. Sind sie einmal alle gefangen, dienen die toten Mäuse dann doch noch einem guten Zweck: «Die bringe ich dem Fuchs in den Wald.» Er wird sich freuen.