Letzte Woche machten Videos von angeblichen Delfinen in den plötzlich wieder sauberen und klaren Kanälen von Venedig die Runde. Freudig wurde die «gute» Nachricht in den sozialen Medien weiter und weiter verbreitet. Am Wochenende berichteten dann diverse Websites und Magazine, dass es sich dabei um Fake News handelte. Das Delfin-Video stammt laut dem «National Geographic» aus Sardinien, wo Delfin-Sichtungen häufig sind (hier gehts zum Original). 

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Es ist allerdings nicht so, dass es in Venedig keine Delfine gibt. Der Gemeine Delfin, der Blau-Weisse Delfin und der Grosse Tümmler sind im Mittelmeer weit verbreitet. Während die ersten beiden Arten sich allerdings eher selten in der nördlichen Adria blicken lassen, ist der Grosse Tümmler dort ansässig und häufig. Das Forschungsprojekt «Dolphin Biology and Conservation» («Delfinbiologie und -Schutz») untersucht seine Präsenz im Mittelmeer und konnte an der gesamten Küste von Venetien schon 450 verschiedene Individuen identifizieren. 

Durch den Canale Grande schwimmen die Grossen Tümmler allerdings nicht. Doch in der Lagune von Venedig lassen sie sich ab und zu blicken – um dort Fische zu jagen. Denn Delfine sind nicht die menschenscheusten aller Tiere. Sie sind anpassungsfähig und schlau – und in den Gewässern Venetiens schwimmen sie gerne den Fischerbooten hinterher, um den einen oder andern Happen zu ergattern.

Eine «Rückeroberung», wie sie sich viele wünschen, findet also nicht statt. «In diesen Zeiten sehnen wir uns nach guten Nachrichten», heisst es bei der Meeresschutzorganisation Ocean Care auf Anfrage von «Tierwelt online». «Bei solchen Meldungen sollte man aber extrem vorsichtig sein.»

 

Es ist nämlich im Gegenteil weiterhin der Mensch, der in den Lebensraum der Grossen Tümmler der Adria eindringt. Wie das «Dolphin Biology and Conservation»-Projekt schreibt, gehört die Fischereiflotte Venetiens, zu einem grossen Teil bestehend aus mit Schleppnetzen operierenden Trawlern, zu den grössten Italiens. Die Fischbestände seien durch Überfisching und Missmanagement seit Jahrzehnten in einer «Krise». Ausserdem werden durch die Flüsse Po und Etsch Giftstoffe aus Landwirtschaft und Industrie ins Meer eingetragen. Trotz den widrigen Umständen gilt der Grosse Tümmler weltweit als nicht gefährdet und auch die adriatische Population scheint in gutem Zustand zu sein.

Schwäne sind immer da
Was für die Delfine gilt, gilt übrigens auch für die Schwäne, von denen es ebenfalls hiess, dass sie nach Venedig zurückgekehrt seien. Auch diese Meldung ist ein Fake. Die Schwäne sind nicht zurückgekehrt, sie waren immer schon da. Schwäne sind Kulturfolger und bevölkern die Gewässer vieler europäischen Städte. Durch grosse Menschenmassen lassen sie sich nicht abschrecken.

Möglicherweise hatte der originale Verbreiter oder die originale Verbreiterin dieser Nachricht jedoch gar keine bösen Absichten, sondern unterlag lediglich einem Trugschluss. Es hat nicht plötzlich mehr Tiere in den Städten. Nur fällt vielen erst erst jetzt auf, wo es ruhiger geworden ist, wieviele Wildtiere unsere Städte tatsächlich bevölkern.

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Das Wasser in Venedigs Kanälen dagegen ist laut «ABC News» wirklich klarer geworden – weil die Ablagerungen auf dem Grund viel weniger aufgewirbelt werden, seit fast keine Boote mehr fahren. Das bedeute jedoch nicht, dass die Wasserqualität besser oder das Wasser sauberer geworden sei. «Die Auswirkungen der Krise auf der Natur werden sich nicht innerhalb von einer Woche zeigen», heisst es auch bei Ocean Care. Ob und wie sich die Natur momentan erholen kann, bleibt abzuwarten.

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