Das Zebra hat sie. Der Tiger auch. Genauso wie das Okapi, der Kaiserfisch und die Streifenwanze. Streifen sind im Tierreich ein Dauerbrenner. Auch Flecken, Punkte und andere Muster sind allgegenwärtig. So schreibt denn auch Otmar Bucher, Grafiker und Autor des 2014 erschienenen Buches «Design by Nature – Warum Tiere so aussehen, wie sie aussehen»: «Eigentlich sollte man nicht nur von Streifen sprechen, sondern von der Gesamterscheinung eines Tieres. Wenn beide Geschlechter gleich aussehen, kann man von einer Tracht sprechen. Diese dient primär zur Unterscheidung der Arten. Zum Beispiel verteidigen die bunten Falterfische ihr Territorium nur gegen Artgenossen.» 

Auch das Rotkehlchen attackiert Artgenossen mit dem roten Brustfleck; Jungvögel, denen der rote Fleck noch fehlt, lässt es unbehelligt. Eine Tarntracht tragen laut Bucher immer beide Geschlechter, wie zum Beispiel die Erdkröten. Dasselbe gelte auch für die Warntracht, wie etwa bei den Hornissenschwärmern, die harmlos sind, aber wie gefährliche Hornissen aussehen.

Wenn sich die Geschlechter einer Art deutlich unterscheiden, spricht man laut Bucher nicht von Trachten, sondern von Geschlechtsdimorphismus. Beispiele sind die Schleppe des Pfaus, die Mähne des Löwen, das Geweih des Hirschs. Es sind Imponierorgane, um Weibchen zur Paarung anzuregen, aber auch um Nebenbuhler einzuschüchtern. Dabei werden oft regelrechte Balzrituale abgehalten. Als Kuriosum gilt der Hirscheber (Babirusa): Seine grotesk geformten Eckzähne sind zerbrechlich und funktionieren nur noch als optische Signale. 

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Echte Tarnkleider bei Jungtieren
In Tierbüchern und Fernsehsendungen wird immer wieder kolportiert, dass die Streifen des Tigers und die Flecken des Leoparden raffiniert gut tarnen. Das trifft laut Bucher nur dann zu, wenn diese Katzen sich gerade in der «richtigen» Umgebung aufhalten, vor allem im Wald mit vielen Schatten und Lichtflecken. Doch sowohl der gefleckte Leopard als auch der ungemusterte Löwe kommen in Afrika und Asien in einer Vielzahl von unterschiedlichen Habitaten vor, die sich teilweise überschneiden. Selbiges gilt für den musterlosen Puma und den gefleckten Jaguar in Zentral- und Südamerika. «Das heisst, dass gefleckte und zugleich schlichte Grosskatzen in den gleichen Lebensräumen vorkommen. Das weist darauf hin, dass es sich nicht um eigentliche Tarnfelle, sondern eher um Trachten zur Erkennung der Art handelt», sagt Bucher. Es sei also falsch, wenn man allen Streifen- und Fleckenmustern automatisch eine Tarnwirkung zuschreibe.

Wie Bucher weiter ausführt, sieht dies bei den Jungtieren anders aus: Babys von Grosskatzen tragen in der Regel ein echtes Tarnkleid. Auch Rehkitze, Wildschwein- und Tapirfrischlinge sind mit Flecken oder Streifen gut getarnt – allerdings nur, wenn sie sich bei Gefahr reglos verhalten und so mit der Umgebung «verschmelzen».

Zebras, für deren Streifen es verschiedene Erklärungsversuche gibt, unter anderem auch die Tarnung, verhalten sich nicht reglos, sondern sogar ziemlich auffällig, wie Otmar Bucher in seinem Buch schreibt. In diffusem Licht oder in der flimmernden Mittagshitze fallen sie aus grösserer Entfernung tatsächlich etwas weniger auf als etwa die einheitlich dunklen Gnus, werden aber trotzdem häufig angegriffen. Deshalb, so kommt Bucher zum Schluss, könnte man die Zeb­rastreifen als Arterkennungstracht bezeichnen. Dafür spreche auch, dass es zwischen den drei Zebraarten kaum zu Paarungen kommt, obwohl sich ihre Lebensräume teilweise überschneiden.

Doch auch innerhalb der Arten sehen keine zwei Zebras gleich aus – ein jedes hat ein individuelles Streifenmuster. Dies würden die Zebras wohl wahrnehmen, meint Bucher. «Doch im Sinne der persönlichen Erkennung sind die Muster wohl unwichtig, auch schlichte, ungemusterte Pferde erkennen sich. Dass sich Zebras am Geruch oder an der Stimme erkennen, ist besonders dann wichtig, wenn eine Zebragruppe nachts von Hyänen oder Löwen versprengt wird. Auch bei den Gnus ist es so.»

Die Fellzeichnung entsteht im Embryo
Die individuellen Unterschiede bei den Zebras sind genetisch bedingt. Wie alle anderen Organismen, die sich sexuell fortpflanzen, bekommt ein Zebra einen Teil seiner Gene von der Mutter und den anderen Teil vom Vater. Dieser Mix bewirkt, dass kein Zebra gleich aussieht wie das andere. So wie auch kein Mensch genau gleich aussieht wie der andere – es sei denn, es handle sich um eineiige Zwillinge.

Auf die Gene müssen wir auch schauen, wenn wir wissen wollen, wie solche Streifenmuster überhaupt entstehen. Ein neues Buch des englischen Chemikers, Physikers und Autors Philip Ball mit einem Titel, der jenem von Bucher ähnelt, und mit vielen farbenprächtigen Bildern – «Designed by Nature – Die Natur als genialer Gestalter» – geht der Sache in einem Kapitel auf den Grund. Demnach war der Erste, der eine Theorie über Musterbildung bei Tieren aufgestellt hat, der britische Mathematiker Alan Turing, der sich 1952 eigentlich mit entwicklungsbiologischen Fragen befassen wollte. 

Er stellte sich einen Embryo vor als Ansammlung von Zellen, in denen biochemische Stoffe herumtreiben und Gene, welche die Entwicklung steuern, ein- oder ausschalten. Sind die Stoffe erst gleichmässig verteilt, kann das Gemisch spontan inhomogen werden, sodass die Konzentration von gewissen Stoffen an einigen Stellen höher ist als an anderen. Diese Stoffe bilden sich, von Genen gesteuert, während der Entwicklung des Embryos in der Haut. Sie treiben von Zelle zu Zelle und regen die Pigmentproduktion entweder an oder hemmen sie. So entsteht das Muster auf dem Embryo.

Solche Turing-Muster finden sich nicht nur in der Fellzeichnung von Tieren. Biologen glauben, dass sie in der gesamten Embryonalentwicklung eine wichtige Rolle spielen. 2012 etwa studierten britische Forscher die Entwicklung von Gaumenfalten bei Mäusen. Dabei gelang es ihnen, jene Moleküle zu identifizieren, die aufgrund ihrer Verteilung die Ausprägung der Gaumenfalte festlegen und damit Turings Theorie zu beweisen. Dennoch ist noch immer vieles über die Entstehung der Muster unbekannt. Und auch was ihre Bedeutung für die Tiere betrifft, haben Biologen noch einiges zu erforschen.

Literaturtipps:

– Otmar Bucher: «Design by Nature», Verlag: NZZ-Libro, ISBN: 978-3-03823-873-7, ca. Fr. 42.–

– Philip Ball: «Designed by Nature», Verlag: Theiss, ISBN: 978-3-8062-3279-0, ca. Fr. 52.–