Pater Anastasius Kirchner war ein äus­serst gelehrter Mann. Er forschte im 17. Jahrhundert in Rom so ziemlich in jedem Wissensgebiet, das man sich vorstellen kann: Geologie, Astronomie, Medizin, Farbenlehre und vieles mehr. Und er war der Erste, der schriftlich festhielt, wie man ein Huhn in Trance versetzt.

In einer seiner zahlreichen Monografien beschrieb er den Vorgang wie folgt: Man nehme einen Hahn, drücke seinen Kopf sanft zu Boden – und ziehe mit einer Kreide, ausgehend vom Schnabel, einen Strich auf den Boden. Lässt man das Tier anschliessend los, verbleibt es regungslos in dieser seltsamen Haltung und starrt auf die Linie. Nach einer Minute oder so beginnt sich sein Blick zu klären und es trippelt davon.

Das funktioniert tatsächlich und sieht so aus (Video: balyona):

[EXT 1]

In manchen Texten wird Kirchners Experiment als Tierhypnose bezeichnet. Die meisten Wissenschaftler sind sich heute aber einig, dass das Phänomen mit der Hypnose, wie wir sie von Menschen kennen, nicht viel gemein hat. Zwar gibt es Berichte, wonach ein russischer Tiertrainer und Zirkuskünstler namens Durow in den 1920er- und 30er-Jahren seinen Hund unter Hypnose dazu gebracht haben soll, Gegenstände wie ein Telefonbuch zu finden. Seitdem ist es aber niemandem mehr gelungen, ein Tier in Trance mit Suggestionen zu dirigieren. Deshalb spricht man bei Tieren eher von einer Schreckstarre, einem Totstellreflex oder von einer Katalepsie.

Krokodil- und Löwenbändiger
Eine solche Starre kann bei einer Vielzahl von Tierarten auftreten – von Käfern, Stabheuschrecken und Spinnen über Fische, Reptilien und Vögel bis zu Ratten und Kaninchen. In der freien Wildbahn ist das Erstarren nämlich ein durchaus sinnvoller Schutzmechanismus. Weil manche Raubtiere primär auf Bewegungen ihrer Beute reagieren, hat ein stocksteifes Tier in einer ausweglosen Situation eine höhere Überlebenschance. Beim Nord-Opossum, einer amerikanischen Beutelratte, ist das Totstellen derart auffällig, dass sich im Englischen die Redewendung «playing possum» eingebürgert hat, um zu sagen, dass sich jemand tot oder schlafend stellt.

Mit entsprechendem Fachwissen kann auch ein Mensch Tiere in eine solche Schreckstarre versetzen. Taucher und Meeresforscher nutzen dies zum Beispiel manchmal, um Haie und andere Fische einfacher zu untersuchen. Beim Tigerhai etwa heisst es, man bringe ihn zum Erstarren, indem man die Hände leicht auf seine Augenpartie halte. 

Ein bekannter «Tier-Hypnotiseur» war der Ungare Ferenc Völgyesi. Von ihm gibt es Berichte und Bilder, wie er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sogar Bären, Löwen und andere Raubtiere erstarren liess. Krokodile packte er am Kopf, klappte ihnen mit einer raschen Bewegung den Rachen zu, legte sie auf den Rücken und presste seine Hand auf ihr Kinn – dort sollen sich hypnogene Druckpunkte befinden. Die Tiere erstarrten und blieben bewegungslos liegen. Dass die Technik funktioniert, zeigen auch Aufnahmen, die vor einigen Jahren im Rahmen einer BBC-Dokumentation gemacht wurden.

Ein Ausschnitt aus der BBC-Dokumentation, in der ein Alligator «hypnotisiert» wird (Video: BBC Studios):

[EXT 2]

Schabernack mit Truthühnern
Bei manchen Vögeln ist das Erzeugen einer Starre noch viel einfacher. Man packt sie und dreht sie mit einer raschen Bewegung auf den Rücken. Bei der Beringung von Zugvögeln wird diese Technik manchmal angewandt, um einen Vogel zu wägen, ohne ihn dafür in eine Büchse oder ein Kistchen zwängen zu müssen.

Im Starrezustand verlangsamen sich die Atmung und der Herzschlag eines Tieres. Wacht es wieder auf, macht es weiter, als wäre nichts gewesen. Trotzdem sollte man Schabernack unterlassen, wie ihn laut dem deutschen Hypnosetherapeut Bernhard Schütz im frühen 19. Jahrhundert Jugendliche in Südfrankreich getrieben haben sollen. Um Bauern zu ärgern, «verzauberten» die Buben demnach ganze Herden von Truthühnern. Dazu fingen sie ein Tier nach dem andern ein, steckten ihm den Kopf unters Gefieder und schwangen es mehrmals durch die Luft. «Daraufhin verfielen die Truthühner in eine Art Dornröschenschlaf, sie blieben wie tot auf der Wiese liegen», schreibt Schütz.

Orca überwältigt Weissen Hai
Der Mensch ist nicht das einzige Lebewesen, das andere Tiere gezielt in eine Schreckstarre zu versetzen vermag. Im Jahr 1997 wurde eine Gruppe von Walbeobachtern vor der Küste von San Francisco Zeuge eines ebenso brutalen wie erstaunlichen Vorgangs: Vor ihren Augen rammte ein Orca einen Weissen Hai in die Seite und nutzte dessen Benommenheit, um ihn auf den Rücken zu drehen. Mit der Folge, dass der gefürchtetste aller Haie in eine Starre verfiel. Nach einigen Minuten begann der Orca den wehrlosen Hai zu verspeisen. 

In den Jahren darauf fanden Wissenschaftler immer wieder Hinweise auf dieses hoch spezialisierte Jagdverhalten: 2014 filmte eine Unterwasserfotografin vor der Küste Costa Ricas, wie drei Orcas einem Tigerhai nachstellten. Als der Hai nach der Hetzjagd erschöpft und verletzt war, kehrten sie ihn auf den Rücken, wonach er keinen Wank mehr machte – genauso wie der Hahn von Pater Kirchner.

So hat sich die Szene abgespielt (Video: Barcroft TV):

[EXT 3]