Die ältesten Knochenfunde von Hausratten (Rattus rattus) in der Schweiz stammen laut einem Wissenschaftsartikel von 1994 in der Genfer «Revue de Paléobiologie» aus der Bronzezeit. Genauer, aus dem 11. Jahrhundert vor Christus. Gemacht wurden sie auf der Ausgrabungsstätte Champréveyres im neuenburgischen Hauterive. Was die Wanderratte (Rattus norvegicus) betrifft, deuten die meisten Quellen auf eine Ankunft in Europa im 18. Jahrhundert hin. In die Schweiz eingewandert ist sie gemäss der Datenbank invasiver Arten der Weltnaturschutzunion IUCN im Jahr 1809.

Ihren Siegeszug von Indien und Südostasien um die ganze Welt starteten die Ratten vermutlich vor rund 110 000 Jahren, wie eine globale Studie von 2011 nahelegt. Darin untersuchten Forscher mittels DNA-Vergleichen die Herkunfts- und Verbreitungsgeschichte der Hausratte. Viele bereits früher erlangte wissenschaftliche Erkenntnisse konnten dadurch bestätigt und ergänzt werden. 

Am Anfang stand eine starke Vermehrung der Nager in ihren Herkunftsregionen. Als Kulturfolger machten sie sich bald überall breit, wo es Menschen und damit auch leicht verfügbare Nahrung gab. Vor etwa 15 000 Jahren erreichten die ersten westwärts gewanderten Hausratten die Levante am östlichen Mittelmeer. Von dort verbreiteten sie sich wegen des zunehmenden Handels und der römischen Besiedlung bis nach Europa. Dies zunächst vor allem auf dem Land- und erst später auf dem Seeweg. Im Entdeckungszeitalter (15. bis 18. Jahrhundert) schafften sie schliesslich den Sprung nach Übersee, in die Neue Welt. Daher der Beiname «Schiffsratte».

Todbringer und Tempelhüter
In der Wissenschaft werden sowohl Haus- als auch Wanderratten als eine der grössten landwirtschaftlichen und urbanen Plagen der Welt bezeichnet. Zudem gelten sie als «Reservoir» und Vektor einer Vielzahl von Krankheiten, darunter die Pest. Ausgelöst vom Bakterium Yersinia pestis, wird diese vornehmlich vom Rattenfloh auf den Menschen übertragen. Wobei eine aktuelle Studie darauf hinweist, dass die europäische Pestpandemie von 1346 bis 1353 mit rund 25 Millionen Toten wohl eher auf das Konto von Menschenflöhen und -läusen geht. Den frühesten Nachweis des Erregers erbrachte im Juni 2018 ein Forscherteam unter der Leitung des deutschen Max-Planck-Instituts. Es fand ihn in zwei 3800 Jahre alten Skeletten aus der Region Samara im heutigen Russland.

Während viele Menschen Ratten fürchten, sind sie den Hindus in Indien heilig. Als Reittier des Gottes Ganesha wird der Nager als klug, umsichtig und geschickt bezeichnet. Zudem gelten Ratten als Nachkommen Karni Matas, der Inkarnation der Göttin Durga. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist diesbezüglich der Karni-Mata-Tempel im indischen Deshnok, in dem über 20 000 Ratten leben sollen, die von Gläubigen ständig mit essbaren Opfergaben versorgt werden. Auch in China hat die Ratte als Tierkreiszeichen an erster Stelle eine spezielle Bedeutung. Sie gilt als einfallsreich, vielseitig, intuitiv, reaktionsstark und anpassungsfähig.

In der europäischen Kultur hat die Ratte ebenfalls ihren Platz. Etwa in der Fabel vom Frosch, der Ratte und der Weihe des griechischen Dichters Äsop (6. Jahrhundert vor Christus). Der «Rattenfänger von Hameln» wiederum gehört zu den wohl bekanntesten mittelalterlichen deutschen Sagen. Sie handelt von einem Mann, der mittels Flötenspiel alle Mäuse und Ratten aus einer Stadt lockt und ins Wasser stürzen lässt. Als er von den Bewohnern dafür nicht bezahlt wird, rächt er sich. Besonders beliebt waren Ratten auch beim französischen Schriftsteller Jean de la Fontaine, der im 17. Jahrhundert einige Fabeln schrieb, in denen der Nager eine Hauptrolle spielt. Sei es als Opfer einer hinterlistigen Katze, als Retterin eines Löwen oder als eitles Ekel, das sein höhnisches Gebaren mit dem Leben bezahlt. Und wer kennt den Disneyfilm «Ratatouille» nicht ...?